INFORIOT Wir dokumentierten im folgenden einen Demoaufruf der Autonomen Antifa Nordost Berlin (AANO).
„Daß der Faschismus nachlebt; daß die vielzitierte Aufarbeitung der
Vergangenheit bis heute nicht gelang und zu ihrem Zerrbild, dem leeren und
kalten Vergessen, ausartete, rührt daher, daß die objektiven gesellschaftlichen
Voraussetzungen fortbestehen, die den Faschismus zeitigten.“
Theodor W. Adorno, Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit
Als am Morgen des 11. September 2001 zwei entführte Passagiermaschinen die Türme
des World Trade Centers zum Einsturz brachten, feierten Antisemiten und
Antiamerikaner diesen gelungenen Angriff auf den ‘Weltfeind’. Die Maßnahmen, die
die USA in Folge des antisemitisch motivierten Anschlages zur Bekämpfung des
Terrors unternahmen, führten weltweit zur verstärkten Äußerungen von
antiamerikanischen und antisemitischen Ressentiments. Im Taumel, endlich in
antiimperialistischen Bündnissen einer Masse anzugehören, die sich offen der
imaginierten Autorität USA entgegenstellen konnte, taten sich mal wieder die
Deutschen besonders hervor.
Ein Beispiel: Horst Mahler, früher im RAF-Umfeld aktiv, heute Neonazianwalt,
Holocaustleugner, selbsternanntes Opfer der „judäo-amerikanischen
Fremdherrschaft“ usw., versuchte sich durch antisemitische Auftritte
unterschiedlichster Art seit Jahren an die Spitze der deutschen Selbstfindung zu
manövrieren. Seit dem 11. September 2001 immer erfolgreicher.
Seinen Wohnort Kleinmachnow teilt er sich mit Brandenburgs Innenminister Jörg
Schönbohm (CDU), der als Fossil deutscher Law and Order Politik Migranten,
Homosexuelle und Linke versucht zu schikanieren, wo er kann. Die Anschläge in
New York bezeichnet er als Folge der multikulturellen Gesellschaft. Schönbohm
nutzte die weit verbreitete Angst nach dem 11. September 2001 aus, um für eine
verstärkte Überwachung, die Aufstockung der Etats im Bereich Innere Sicherheit
und die Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes zu werben. Ein Mann des starken
Staates. Für die Landtagswahl am 19. September hat er sich vorgenommen, Matthias
Platzek (SPD) als Ministerpräsident von Brandenburg abzulösen. Den 11. September
2004, eine Woche vor der Wahl, sehen wir als geeigneten Zeitpunkt sowohl Mahler
als auch Schönbohm unsere Antipathie vor die Haustür zu tragen.
schon GEZahlt?
Ein weiteres Beispiel: Groß Gaglow (Cottbus-Süd). Wie in Teltow-Seehof
(Brandenburg) wehren sich hier die Nachfahren der Täter gegen ein laufendes
Rückübertragungsverfahren ehemaligen jüdischen Eigentums.(2) Hier wurden 1935
die Eigentümer von 22 Parzellen aus ihren Häusern vertrieben. Nur wenig später
wurden die Grundstücke an Deutsche verkauft.
Die Bewohner des 1930 von der Jüdischen Landsarbeitsgesellschaft erworbenen
Gesamtgrundstücks wurden bereits früh Ziel antisemitischer Attacken ihrer
deutschen Nachbarn. Dies gipfelte in einem 1932 durchgeführtem
Sprengstoffanschlag auf eines der Häuser. Da in der DDR eine Entschädigung nicht
in Frage kam, konnten die enteigneten jüdischen Familien erst nach der
Wiedervereinigung ihren Anspruch auf Rückübertragung gerichtlich geltend machen.
Bis auf einige Wenige weigern sich die heutigen Bewohner die geforderte
‘Entschädigung’ zu leisten. Bisher hat das Landesamt zur Regelung offener
Vermögensfragen (Larov) den Antrag auf Rückübertragung abgelehnt.
Die Jewish Claims Conference (JCC) vertritt nun für die früheren Eigentümer die
Ansprüche auf die Parzellen. Genau damit hat z.B. der Vorsitzende des extra
gegründeten ‘Vereins der Restitutionsbedrohten’ Karl Homer ein Problem. „Wenn da
jemand käme, der keine Existenz hat und nicht weiß, wo er hin soll, mit dem
würde ich meinen Acker teilen.“ (1) Mit der JCC tritt hier jedoch statt des
mittellosen zu bemutternden Judens, eines Opfers also, eine schlagkräftigere
Organisation an, die nicht um deutsche Almosen zu betteln braucht. Wenn Juden
selbstbewusst ihr Recht einfordern, sei es, dass Israel auf staatliche
Souveränität und sein Selbstverteidigungsrecht besteht, oder Arisierungsopfer
auf eine ‘Entschädigung’ pochen, sieht der deutsche Gutmensch wieder den
Landräuber oder Imperialisten vor sich … the never ending german disaster.
who the fuck is Mahler?
„Deutscher Antiamerikanismus ist nicht allein auf die negativen Erfahrungen
zweier Weltkriege zurückzuführen. Tiefer und weiter reichend für das Phänomen
einer gleichsam mentalen Amerikafeindlichkeit sind jene historischen Schichten,
in denen sich über einen langen Zeitraum hinweg antiwestliche Mentalitäten
ablagerten.“
Dan Diner, Feindbild Amerika — Über die Beständigkeit eines Ressentiments
Wie der aktuelle Gerichtsprozess gegen Mahler beweist, ist er ein prominenter
Stichwortgeber und Tabubrecher der extremen Rechten. Mit spektakulären Aktionen,
wie der 2003 geplanten Fahrt in das Vernichtungslager Auschwitz, um vor Ort zu
beweisen, dass die Vergasung jüdischer Menschen nicht stattgefunden habe, und
seinen Auftritten in den Medien und vor Gerichten zum Anschlag auf das World
Trade Center am 11. September schafft er es immer wieder in die breite
Öffentlichkeit. Vor allen Dingen der „jüdischen Weltverschwörung“ und dem „…
Krieg der jüdischen Organisationen gegen das Deutsche Volk…“ widmet Mahler
seine ganze Arbeitskraft. Anstatt seine Rente zu genießen, sitzt er an seinem
Schreibtisch auf der intellektuellen Jagd nach allem Jüdischen und dessen
angeblichen Verbündeten.
Er, der Horst, hält sich für einen „Reichsbürger, des Deutschen Reiches“, der
nicht der Zuständigkeit der deutschen Justiz unterstellt ist, und befürchtet
tagtäglich in seinem Wahn dass „die ethnische Durchmischung des Deutschen
Volkes“ zum „Völkermord“ an diesem ach so edlen Volk führen könnte. Dieser
notorische Antisemit glaubt nämlich öffentlich äußern zu dürfen, dass „das
judäo-amerikanische Imperium“ diesen sogenannten „Dritten Weltkrieg“ brauche,
weil „beide — die USA und Israel“ moralisch und wirtschaftlich am Ende seien.
Natürlich ist in seinem Weltbild dem „Deutschen Volk“ die heroische Aufgabe
zuteil geworden als Kämpfer gegen diesen teuflischen Plan mal schnell die
„westlichen Werte und ihre Verwertung aufzuheben, also geistig zu vernichten“.
Was Mahler so alles konkret „geistig zu vernichten“ gedenkt, beschreiben er und
seine Kumpanen Reinhold Oberlercher und Uwe Meenen vom sog. „Deutschen Kolleg“
in dem Text „Der Untergang des judäo-amerikanischen Imperiums“ sehr deutlich.
Dort steht im zehnten Punkt der etwas unübliche, aber ebenso vernichtende,
Lösungsvorschlag eines deutschen Antisemiten: „Auf der Tagesordnung der
Weltgeschichte steht … die Beendigung Israels durch Unterwerfung aller Juden
unter die islamische Herrschaft und die Auflösung der USA in exklusive
Siedlungskolonien der verschiedenen Völkerschaften, die staatsrechtlich zu
echten Volkskolonien, zu Siedlungserweiterungsräumen ihrer Muttervölker und
Vaterländer gemacht werden. Damit ist dann der blutigste Imperialismus der
Weltgeschichte, das Anti-Imperium der Anti-Nation abgewickelt und in eine
Weltordnung der souveränen Völker in gegen Fremdinterventionen gesicherten
Kulturräumen verwandelt.“
Solche Sätze schreibt Mahler in dem verschlafenen Ort Kleinmachnow im Lan
d
Brandenburg. Seine Aktivitäten im internationalen Netzwerk der
Geschichtsrevisionisten sowie die zahllosen antisemitischen Hetztiraden in der
Öffentlichkeit machen ihn trotz seines offensichtlichen Wahns gefährlich. Er
wird von Jungnazis hofiert, die NPD rückt zwar offiziell von ihm ab, aber
verdankt zu großen Teilen auch ihm ihre Legalität und die antifaschistische
Linke attackiert ihn nur wenn er Montags demonstrieren geht oder sich in eine
Frankfurter Szenekneipe verirrt. Doch wir wollen ihn in ‘seiner Heimat’ besuchen.
lets rock!
„Lass uns diskutieren denn in unserm schönen Land,
sind zumindest theoretisch alle furchtbar tolerant
Worte wollen nichts bewegen Worte tun niemanden weh
Darum lass uns drüber reden, Diskussionen sind ok
Nein“
Die Ärzte, Deine Schuld
Mit Antisemiten diskutieren wir nicht. Wenn Antisemiten zuschlagen, egal ob
verbal oder nonverbal, dann wollen wir dafür sorgen, dass sie es nie wieder tun.
Aber die staatshörig-autoritäre Antwort auf die antisemitische Realität in
Deutschland ist nicht unsere Lösung.
Die beiden Demonstrationen sind unsere Art der Antwort auf die vielen
unterschiedlichen antisemitischen Aufwallungen hier in diesem Land. Groß Gaglow
und Kleinmachnow sind zwar nur zwei Hotspots von vielen, doch sie stehen
exemplarisch für alle. Freundinnen und Freunde Israels müssen sich nicht nur
gegen die Diffamierung des Staates Israel wenden, sondern auch die alltägliche
Bedrohung durch die antisemitische Realität in diesem Lande zur Kenntnis nehmen
und attackieren. Egal ob in Berlin oder Brandenburg.
Antisemiten angreifen! In Groß Gaglow, Kleinmachnow und überall!
/// Antifaschistische Demonstrationen
//// Groß Gaglow 12:00 Uhr — Start: Zielona Gora Str. / Hegelstr.
//// Kleinmachnow 15:00 Uhr — Start: Zehlendorfer Damm / Käthe Kollwitz-Str.
Anmerkungen:
(1) zitiert nach Lausitzer Rundschau, 17.06.2004
(2) Siehe Jungle World 18/2004