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90 Minuten… in einer “No-go-Area”

(Astrid Geisler) Grau ist der Him­mel über Cot­tbus, und das Vor­pro­gramm hil­ft auch nicht gegen die trübe Atmo­sphäre. Erst schwärmt der TV-Kom­men­ta­tor vom deutschen Team-DJ Ger­ald Asamoah. Dann haucht Soul­sänger Xavier Naidoo “Peace!” hin­aus ins Fernse­hdeutsch­land. Ein Kneipen­gast mault: “Singt hier jet­zt schon ein Bim­bo für den anderen?” 

Es ist kurz vor Fünf, kurz vor Argen­tinien gegen Deutsch­land. Die Besuch­er star­ren auf den Fernse­her, der über einem Spielau­to­mat­en unter der Kneipen­decke hängt. “Jet­zt soll´n wir wohl schon auf die Schwarzen stolz sein”, wirft ein Mann in Jeans und Freizei­themd ein. “Schwarz — wenn die wenig­stens Grün wären!” Im Sta­dion ver­li­est Bal­lack eine Erk­lärung gegen Ras­sis­mus. Applaus bran­det in die Kneipe. Der Mann im Freizei­themd jault auf. “Der kriegt Applaus für den Mist!” 

Der Fußbal­labend kann begin­nen im “Bistro an der Zusch­ka”, ein­er kleinen Sportkneipe im Cot­tbusser Stadt­teil Neu Schmell­witz. Vor dem Fen­ster liegt der Park­platz eines Super­mark­ts. Dahin­ter blickt man auf Plattenbauten. 

Glaubt man der Pro­pa­gan­da bran­den­bur­gis­ch­er Neon­azis, dann ist die Uni­ver­sitätsstadt Cot­tbus eine Zone, in der sich die Welt auch zur Fußball-WM nicht zu Gast bei Fre­un­den fühlen sollte. Jeden­falls taucht­en nach Auskun­ft des Innen­min­is­teri­ums unter anderem in Cot­tbus von Recht­sex­tremen gedruck­te Fly­er mit unmissver­ständlich­er War­nung auf: “No-go-Area!” Eine zynis­che Antwort auf die von Exregierungssprech­er Uwe-Karsten Heye aus­gelöste Debat­te um Gefahren­zo­nen in Ost­deutsch­land — eine Debat­te, die inzwis­chen längst im WM-Taumel versank. 

In den Fen­stern von Neu Schmell­witz hängt nur hier und da eine Deutsch­land­fahne. In der Tram­lin­ie 4 beken­nen zwar einige Fahrgäste Farbe, aber längst nicht nur mit neudeutschem WM-Plun­der. “Ger­man Trou­ble­mak­er” prangt in Runen­schrift auf dem Pul­li eines Glatzkopfs. Eben­falls an Bord: Jungs in T‑Shirts der ein­schlägi­gen Szen­e­marken “Londs­dale” und “Thor Steinar”. 

Solche Deutsch­land­fans kreuzen in der kleinen Sportkneipe an der “Zusch­ka” nicht auf. Auch von Euphorie für die Nationalelf ist nach 45 Minuten nichts zu sehen. Zigaret­ten­qualm trübt die Sicht. Die Stim­mung ist so ähnlich. 

Ein paar Türen weit­er gibt´s hinge­gen immer Grund zum Jubeln — beim 1:0 für Argen­tinien, genau­so wie beim Aus­gle­ich­str­e­f­fer. “Ibos Best Dön­er” ist bis auf den let­zten Platz beset­zt. Eine deutsche Frau fiebert für Argen­tinien. Wirt Ibo hält munter dage­gen: “Was soll das?”, ruft er. “Bist du Aus­län­der oder was?” An der Wand hän­gen Wim­pel von Galatasaray, vom FC Bay­ern, aller­hand Flaggen — und über Ibos Kopf ein schwarz-rot-gold­en­er Schal mit dem Schriftzug “Superdeutsch­land”. Ein Mann kommt here­in und begrüßt mit Hand­schlag drei Fans, die das Spiel auf Rus­sisch analysieren. “Thor Steinar” ste­ht auf seinem Pul­li. Der Wirt hinge­gen trägt zur Feier des Tages ein T‑Shirt mit den Flaggen aller WM-Län­der. “Jet­zt! Deutsch­land!”, skandiert Ibo immer wieder, wenn er ger­ade keine Teigtasche füllen muss. “Jet­zt! Deutschland!” 

Auch in der deutschen Sportkneipe geht es inzwis­chen lauter zu. Das Elfme­ter­schießen hat begonnen. Lehmann hält. Ein bul­liger Typ mit bestop­pel­tem Schädel springt auf, reckt den recht­en Arm in die Luft, die Hand flach nach vorn gestreckt. “Lii­i­iehmäään!!!”, brüllt er. Hat jemand etwas gesehen? 

Der Lehmann-Fan klappt den hit­ler­grüßen­den Arm hek­tisch weg, murmelt etwas, das eine Entschuldigung sein kön­nte. Der Jubel ring­sherum ver­schluckt seine Worte. Gegenüber im Super­markt wird hek­tisch Bier nachgekauft. Der Abend hat ger­ade erst begonnen. 

Am Cot­tbusser Haupt­bahn­hof sitzt ein Afrikan­er auf ein­er Bank und wartet. Neben ihm guckt ein bierseel­iger Deutsch­er aus schwarz-rot-gold­e­nen Stoff­bah­nen her­aus. Die bei­den kom­men ins Gespräch. Der Schwarze berichtet, er sei aus Ghana, studiere in Cot­tbus, lebe aber in Berlin. Das Spiel habe er auf dem Cam­pus angeschaut. Der Deutsche berichtet, auch er sei Stu­dent. “Most Ger­mans are real­ly nice peo­ple”, ver­sichert er dem Kom­mili­to­nen. “But there are some idiots. Racists. That is very, very sad.” “Ger­many played very well”, sagt der Ghanaer. “But Ghana also has a great team!”, erwidert der Deutsche. Sein Zug nach Zit­tau fährt ein. Er muss. “May be, we meet again at the uni­ver­si­ty!” Hin­ter ihm flat­tert die Deutschlandfahne.

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