(Astrid Geisler) Grau ist der Himmel über Cottbus, und das Vorprogramm hilft auch nicht gegen die trübe Atmosphäre. Erst schwärmt der TV-Kommentator vom deutschen Team-DJ Gerald Asamoah. Dann haucht Soulsänger Xavier Naidoo “Peace!” hinaus ins Fernsehdeutschland. Ein Kneipengast mault: “Singt hier jetzt schon ein Bimbo für den anderen?”
Es ist kurz vor Fünf, kurz vor Argentinien gegen Deutschland. Die Besucher starren auf den Fernseher, der über einem Spielautomaten unter der Kneipendecke hängt. “Jetzt soll´n wir wohl schon auf die Schwarzen stolz sein”, wirft ein Mann in Jeans und Freizeithemd ein. “Schwarz — wenn die wenigstens Grün wären!” Im Stadion verliest Ballack eine Erklärung gegen Rassismus. Applaus brandet in die Kneipe. Der Mann im Freizeithemd jault auf. “Der kriegt Applaus für den Mist!”
Der Fußballabend kann beginnen im “Bistro an der Zuschka”, einer kleinen Sportkneipe im Cottbusser Stadtteil Neu Schmellwitz. Vor dem Fenster liegt der Parkplatz eines Supermarkts. Dahinter blickt man auf Plattenbauten.
Glaubt man der Propaganda brandenburgischer Neonazis, dann ist die Universitätsstadt Cottbus eine Zone, in der sich die Welt auch zur Fußball-WM nicht zu Gast bei Freunden fühlen sollte. Jedenfalls tauchten nach Auskunft des Innenministeriums unter anderem in Cottbus von Rechtsextremen gedruckte Flyer mit unmissverständlicher Warnung auf: “No-go-Area!” Eine zynische Antwort auf die von Exregierungssprecher Uwe-Karsten Heye ausgelöste Debatte um Gefahrenzonen in Ostdeutschland — eine Debatte, die inzwischen längst im WM-Taumel versank.
In den Fenstern von Neu Schmellwitz hängt nur hier und da eine Deutschlandfahne. In der Tramlinie 4 bekennen zwar einige Fahrgäste Farbe, aber längst nicht nur mit neudeutschem WM-Plunder. “German Troublemaker” prangt in Runenschrift auf dem Pulli eines Glatzkopfs. Ebenfalls an Bord: Jungs in T‑Shirts der einschlägigen Szenemarken “Londsdale” und “Thor Steinar”.
Solche Deutschlandfans kreuzen in der kleinen Sportkneipe an der “Zuschka” nicht auf. Auch von Euphorie für die Nationalelf ist nach 45 Minuten nichts zu sehen. Zigarettenqualm trübt die Sicht. Die Stimmung ist so ähnlich.
Ein paar Türen weiter gibt´s hingegen immer Grund zum Jubeln — beim 1:0 für Argentinien, genauso wie beim Ausgleichstreffer. “Ibos Best Döner” ist bis auf den letzten Platz besetzt. Eine deutsche Frau fiebert für Argentinien. Wirt Ibo hält munter dagegen: “Was soll das?”, ruft er. “Bist du Ausländer oder was?” An der Wand hängen Wimpel von Galatasaray, vom FC Bayern, allerhand Flaggen — und über Ibos Kopf ein schwarz-rot-goldener Schal mit dem Schriftzug “Superdeutschland”. Ein Mann kommt herein und begrüßt mit Handschlag drei Fans, die das Spiel auf Russisch analysieren. “Thor Steinar” steht auf seinem Pulli. Der Wirt hingegen trägt zur Feier des Tages ein T‑Shirt mit den Flaggen aller WM-Länder. “Jetzt! Deutschland!”, skandiert Ibo immer wieder, wenn er gerade keine Teigtasche füllen muss. “Jetzt! Deutschland!”
Auch in der deutschen Sportkneipe geht es inzwischen lauter zu. Das Elfmeterschießen hat begonnen. Lehmann hält. Ein bulliger Typ mit bestoppeltem Schädel springt auf, reckt den rechten Arm in die Luft, die Hand flach nach vorn gestreckt. “Liiiiehmäään!!!”, brüllt er. Hat jemand etwas gesehen?
Der Lehmann-Fan klappt den hitlergrüßenden Arm hektisch weg, murmelt etwas, das eine Entschuldigung sein könnte. Der Jubel ringsherum verschluckt seine Worte. Gegenüber im Supermarkt wird hektisch Bier nachgekauft. Der Abend hat gerade erst begonnen.
Am Cottbusser Hauptbahnhof sitzt ein Afrikaner auf einer Bank und wartet. Neben ihm guckt ein bierseeliger Deutscher aus schwarz-rot-goldenen Stoffbahnen heraus. Die beiden kommen ins Gespräch. Der Schwarze berichtet, er sei aus Ghana, studiere in Cottbus, lebe aber in Berlin. Das Spiel habe er auf dem Campus angeschaut. Der Deutsche berichtet, auch er sei Student. “Most Germans are really nice people”, versichert er dem Kommilitonen. “But there are some idiots. Racists. That is very, very sad.” “Germany played very well”, sagt der Ghanaer. “But Ghana also has a great team!”, erwidert der Deutsche. Sein Zug nach Zittau fährt ein. Er muss. “May be, we meet again at the university!” Hinter ihm flattert die Deutschlandfahne.