WRIEZEN. Am Gartentor zu dem Grundstück im Stadtzentrum hängt ein Schild mit
der Aufschrift: “Sicher leben in Wriezen”. Der Verein, der hier seinen Sitz
hat, nennt sich “Solidargemeinschaft zum Schutz vor Kriminalität”. In einem
Flachbau lernen sechs Leute. Eine Woche lang gehen sie theoretisch durch,
was sie ab Montag praktisch tun wollen — bei ihren täglichen Streifen. Sie
sind bundesweit die erste Bürgerwehr, die ihre Tätigkeit als Ein-Euro-Jobs
von der Arbeitsagentur bezahlt bekommt.
Und obwohl sie den Dienst noch gar nicht angetreten haben, sorgen sie für
Ärger. Andreas Schuster, Chef der Gewerkschaft der Polizei, sagt: “Wir
lehnen Streifen mit Ein-Euro-Jobbern ab. Das ist der Weg in eine
Billigpolizei und in die Privatisierung der öffentlichen Sicherheit.”
Vereinschef Siegfried Schwensow ärgert sich über die Vorwürfe. “Wir wollen
keine Konkurrenz für Polizisten sein oder dazu beitragen, dass sie entlassen
werden”, sagt der 48-jährige Arbeitslose, der lange Stadtverordneter der
Grünen war. Auch die Bezeichnung Bürgerwehr findet er viel zu martialisch.
“Wir sind eine Bürgerwacht.” Es gebe im Ort nur noch zwei Polizisten, auch
das Ordnungsamt sei abends geschlossen. “Wenn dann etwas passiert, wollen
wir das Bindeglied zu den offiziellen Stellen sein.”
Doch ist das überhaupt nötig? Wriezen nennt sich “Hauptstadt des
Oderbruchs”. In dem Ort mit 8 600 Einwohnern ist die Kriminalität so hoch
wie überall in der Region, genau wie die Arbeitslosigkeit. Hier gibt es
nicht mehr Neonazis oder Überfälle auf Ausländer als anderswo in
Brandenburg.
Doch den Verein “Sicher leben in Wriezen” gibt es seit 1995. Die 19
Mitglieder gingen regelmäßig Streife als freiwillige Sicherheitspartner der
Polizei. “Einige zogen weg, weil sie hier keine Arbeit fanden”, sagt
Schwensow. Da kam er auf die Idee, die Ein-Euro-Jobs zu beantragen. “Unsere
Stadt ist nicht unsicher”, sagt Thomas Hartinger, der lange ehrenamtlich
Streife lief und nun pro Stunde 1,20 Euro vom Arbeitsamt bekommt — 25
Stunden sind für jeden in der Woche erlaubt. “Wir informieren die Stadt, wo
die Leute illegal Müll abwerfen, wo Graffiti sind, welche Schilder
abgebrochen wurden, welche Laterne kaputt ist.” Die Stadt habe nicht das
Personal, jede Dreckecke aufzuspüren.
Die Truppe wurde von der Polizei darüber aufgeklärt, dass sie nur die
“Jedermanns-Rechte” hat. “Wir dürfen niemanden verhaften”, sagt André
Schmitz. “Aber beobachten, die Polizei bei einer Straftat rufen, die Täter
aufhalten, das dürfen wir wie jeder Bürger.” Sie sind nur mit Handys und
Taschenlampen “bewaffnet”.
Der Jüngste in der Truppe ist 22, der Älteste 52. Sie waren Schlosser,
Zimmermann, Bauarbeiter, auch eine Bäckerin gehört dazu. Mit dabei ist auch
Schäferhund Satan, der nur Schnappi genannt wird. Sie führen sich nicht auf
wie Freizeit-Rambos. Eher wie Leute, die sich freuen, endlich wieder Arbeit
zu haben. Und die die Arbeitsagentur gerne aus der Statistik gestrichen hat.
“Ich bin seit 18 Monaten arbeitslos”, sagt Heinz Schmallong. “Ich finde
keinen Job auf dem Bau, da ist die Lage beschissen und ich bin 52″, sagt er.
“Wir freuen uns für jeden, der einen Job bekommt”, sagt der Polizeisprecher
des Schutzbereichs, Thomas Wilde. “Aber dass Ein-Euro-Jobs im
Sicherheitsbereich sinnvoll sind, wage ich zu bezweifeln.” Die Leute seien
nicht ausreichend qualifiziert. “Straftaten können wir nicht verhindern”,
sagt Vereinschef Schwensow. “Aber hoffentlich trägt unsere Präsenz dazu bei,
gerade Jugendliche davon abzuhalten.”
Bis Oktober patrouilliert die Bürgerwacht. Dann laufen die Ein-Euro-Jobs aus
und die sechs sind wohl erst einmal wieder arbeitslos.