Die Familie war im Februar 2013 über Polen nach Deutschland eingereist und hatte hier versucht, einen Asylantrag zu stellen. Zunächst lebte die Familie mit ihren Kindern im Alter von sechs, zweieinhalb und eineinhalb Jahren im Wohnheim an der Alten Zauche in Potsdam. Die älteste Tochter besuchte die Weidenhofgrundschule und den Hort, ihr jüngerer Bruder die Kita Kinderland im Bisamkiez, während die jüngste Tochter noch auf einen Kitaplatz wartete. Anfang dieses Jahres dann durften die Fünf in eine Wohnung am Schlaatz umziehen. Endlich kam Ruhe in die Familie.
Das war dringend notwendig, denn der Familienvater war wegen der Ereignisse in Tschetschenien in psychatrischer Behandlung im Potsdamer Klinikum. Während der gesamten Zeit bereitete das eingeleitete Dublin-Verfahren der Familie große Sorgen. Weil sie, um nach Deutschland zu kommen, durch Polen reisen mussten, forderte Deutschland Polen auf, die Familie zurück zu nehmen und ein Asylverfahren in Polen durchzuführen.
Dabei hätte Deutschland mit Blick auf die familiäre Situation der besonders schutzbedürftigen Flüchtlinge auch selbst den Asylantrag prüfen können. Dass Flüchtlinge in Europa regelmäßig zwischen den Staaten hin- und hergeschoben werden, ohne dass ihre persönlichen Umstände eine Würdigung erfahren, ist unmenschlich und skandalös. Für die Rückschiebung der Familie nach Polen hatte die Ausländerbehörde Gelegenheit bis zum 20. Mai 2014. Nach Ablauf dieser Frist wäre Deutschland automatisch für den Asylantrag zuständig gewesen.
In den frühen Morgenstunden, einen Tag vor Fristablauf, wurde die Familie von der Polizei aus dem Schlaf geholt. Ohne Vorankündigung, ohne die Gelegenheit sich von neuen Nachbarn und Freunden, von Lehrern und Mitschülern zu verabschieden, musste die Familie in aller Eile packen. Der Familie ließ man keine Zeit zur Vorbereitung oder Abwägung, was wichtig sein kann für die nächste, ungewisse Zeit. Ein Gepäckstück pro Person wurde erlaubt, der Kinderwagen für die Jüngste blieb zurück.
Die Nachricht von der Abschiebung der Familie hat mich schockiert. Gerade war eine Ehrenamtlerin gefunden, die der ältesten Tochter regelmäßig Hilfe bei den Hausaufgaben gegeben hätte. Fast auf den Tag genau ein Jahr zuvor waren sie nach Potsdam gekommen, in der Hoffnung, ihre Geschichte erzählen zu dürfen, ein faires Verfahren zu erhalten und vielleicht am Ende Schutz zugesprochen zu bekommen. Die Willkommensbehörde hat dagegen die Frist zur Abschiebung voll ausgeschöpft. Zurück bleiben Freunde, Lehrer, Ehrenamtler, die nicht verstehen, warum man Menschen hin- und herschiebt und Kinder erneut entwurzelt. Schnell hat sich die Nachricht von der Abschiebung einer Familie im Morgengrauen unter den Flüchtlingen herumgesprochen.
Wie lässt sich das mit Willkommenskultur vereinbaren? Als Ausländerseelsorgerin frage ich, warum diese Familie derart überfallartig aus ihrem Leben in Potsdam gerissen wurde. Welche Bedeutung wird den Integrationsleistungen dieser Menschen beigemessen? Hätte man diese Abschiebung angekündigt, hätten Menschen Solidarität mit der Familie bekundet. Das hätte die Abschiebung vermutlich nicht verhindert, aber die Familie hätte dennoch Unterstützung und Stärkung erfahren. Für Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen, sind solche Zeichen der Solidarität und Mitmenschlichkeit essentiell. Viele Menschen in unserer Stadt wären dazu bereit gewesen. Die Form dieser Abschiebung weiß solches zu verhindern.
FÜR RÜCKFRAGEN STEHE ICH GERN ZUR VERFÜGUNG.: 0179–9136303 MONIQUE TINNEY
Monique Tinney
Ausländerseelsorge
Gemeindepädagogin Evangelische Kirche in Potsdam
Rudolf-Breitscheid-Straße 64
14482 Potsdam
Fon 0331 7046240
Funk 0179 9136303
Fax 0331 2008382
www.evkirchepotsdam.de
Kategorien