(MAZ, 22.1., Fred Hasselmann) BELZIG Tränen flossen gestern während der Zeugnisübergabe in der Klasse 10b des
Fläming-Gymnasiums. Doch war nicht etwa die eine oder andere schlechte
Zensur der Auslöser des Gefühlsausbruchs, sondern der unfreiwillige Abschied
der Schüler von ihrer vietnamesischen Klassenkameradin (Name ist der
Redaktion bekannt). Die 16-Jährige, die seit August 2004 bei einer
Pflegefamilie in Wiesenburg gewohnt hatte, soll an diesem Wochenende
zusammen mit ihrem 13-jährigen Bruder, in ein Heim in Fürstenwalde gebracht
werden. “Wir hätten uns alle gewünscht, dass das Mädchen wenigstens noch
ihren 10. Klasse-Abschluss bei uns machen kann”, sagt Klassenleiter Bernd
Hering.
Er verliert eine seiner besten Schülerinnen, denn die Vietnamesin hatte
alles Einsen auf dem jetzigen Halbjahreszeugnis. Er kennt sie bereits seit
der 7. Klasse. Auch Schulleiter Bernd Ganschow bedauert es, dass sie so kurz
vor den Prüfungen nun in eine andere Schule muss.
Auch die Bereitschaft zweier Familien, das Mädchen bis zum Sommer bei sich
aufzunehmen, konnte die verantwortlichen Behörden nicht von der Entscheidung
abbringen. Wie Brandenburgs Ausländerbeauftragte Almuth Berger der MAZ
erklärte, sei dies ohne Prüfung der Familien vom Jugendamt des Landkreises
Potsdam-Mittelmark nicht möglich. Die Unterbringung in dem Heim sei für die
Vietnamesin, deren Eltern inzwischen wieder in ihrer Heimat leben, derzeit
die bestmögliche Lösung. “Wir sind alle bemüht, dafür zu sorgen, dass die
beiden Kinder nach ihrer Schulzeit wie von ihnen gewünscht in Deutschland
bleiben können”, betonte sie.
Nach Informationen der MAZ gibt es mindestens eine Familie, die bereits als
geprüfte Pflegefamilie eingestuft ist und notfalls sogar bereit wäre, eine
so genannte Kostenübernahmeerklärung zu unterschreiben. Denn während der
Heimplatz in Fürstenwalde aus der märkischen Landeskasse bezahlt wird, muss
der finanzielle Aufwand für Pflegeeltern vom Jugendamt übernommen werden.
Bei ihren Recherchen in den zuständigen Behörden war die MAZ auf eine Mauer
des Schweigens und ausweichender Antworten zu dem Fall gestoßen. Nahezu alle
Befragten verwiesen auf den zuständigen Vormund der Kinder. Doch Amtsvormund
Annemarie Pchalek verweigerte auf Anfrage der MAZ mit Hinweis auf eine
Dienstanweisung ebenfalls jede Auskunft. Sie sei nicht gewillt, darüber zu
reden. Auch die Ausländerbeauftragte des Landes wollte mit Rücksicht auf die
Persönlichkeitsrechte des Kindes keine Hintergründe der Angelegenheit
preisgeben. Nach ihren Angaben sei das Mädchen mit dem Umzug einverstanden.
Eine Stellungnahme der Betroffenen war nicht zu erhalten, da ihr Anwalt ihr
geraten haben soll, zu schweigen.
Dabei war der Fall bereits Thema der Elternsprecherkonferenz am 11. Januar,
wie Schulsprecher Horst Taube bestätigt. Obwohl einige Schüler und Lehrer
bereits damals mit Unterschriftensammlungen gegen die Unterbringung der
vietnamesischen Schülerin in dem Heim protestieren wollten, hatte man
zunächst versucht, ohne Einbeziehung der Öffentlichkeit mit den zuständigen
Ämtern eine Lösung zu finden. “Dass es nun so schnell passieren würde, hätte
ich nicht gedacht”, sagt Taube, der sich durch den Termin — Ferienbeginn -
ausgetrickst fühlt. “Ich bedaure im Nachhinein, dass wir nicht doch eher die
Öffentlichkeit mobilisiert haben”, erklärte er gestern.