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Mutig wie wenige

(Tagesspiegel, 22.1.) Pots­dam — Sie ist aufgeregt, rud­ert mit dem Arm und reißt beina­he das
Mikrophon vom Tisch. Wie eine helden­hafte Kämpferin gibt sich Nicole L.
nicht. Dabei hat sie eine nicht alltägliche Tugend gezeigt: Zivilcourage.
Die kleine 25-jährige Frau ist in der Nacht zum 18. Juli 2004 einem weitaus
stärk­eren Mann in den Arm gefall­en und hat so ver­mut­lich einen Mord
ver­hin­dert. “Ich habe ihn am linken Handge­lenk fest­ge­hal­ten”, sagt Nicole L.
hastig, “er stand vor mir und hat sich aufgepumpt”. Doch die Frau schaffte
es mit ein­dringlichen Worten, einen weit­eren Angriff auf einen schon
lebens­ge­fährlich ver­let­zten Afrikan­er zu verhindern. 

Jet­zt, ein halbes Jahr später, sitzen der mut­maßliche Täter, ein
Mitangeklagter, das Opfer und dessen Ret­terin nah beieinan­der. Im Potsdamer
Landgericht wird ein Fall ver­han­delt, in dem es mal nicht nur um Fremdenhass
geht, son­dern auch um eine untyp­is­che Reaktion. 

Nicole L. ist am Don­ner­stag als Zeu­g­in aufge­treten. Sie iden­ti­fiziert den
Angeklagten Torsten Z. als den Mann, den sie damals fest­ge­hal­ten hat. Die
Staat­san­waltschaft hat, wie berichtet, den Bundeswehr-Oberfeldwebel
angeklagt, er habe in jen­er Nacht in Brandenburg/Havel dem Keni­an­er Oscar M.
eine abge­broch­ene Bier­flasche in den Hals gestoßen. Das sei ver­suchter Mord,
began­gen aus “frem­den­feindlich motiviert­er Wut”. Am ersten Prozesstag vor
zwei Wochen sagte Torsten Z., er könne sich an fast alles in der Nacht
erin­nern, aber nicht an einen Angriff mit ein­er Flasche. Wie auch immer: Der
Keni­an­er kam nur knapp mit dem Leben davon. Die lange Schnit­twunde liegt
gle­ich neben der Halsschlagader. 

Schon als Torsten Z. und der Mitangeklagte Andreas R. damals anfin­gen, Oscar
M. und einen weit­eren Keni­an­er anzupö­beln, ver­sucht­en Nicole L. und ihre
Bekan­nte Jana B. zu schlicht­en. Diese, 20 Jahre alt, eben­falls nicht eben
groß gewach­sen, beschrieb dem Gericht, wie sie mit Nicole L. auf die beiden
Män­ner einre­dete, die Keni­an­er in Ruhe zu lassen. Als es nichts nützte,
ent­fer­n­ten sich die bei­den Frauen ein wenig, um per Handy die Polizei zu
rufen. Da hörten sie Glas klir­ren. Sie liefen hin und sahen, wie Oscar M.
blu­tend auf Straßen­bahn­schienen lag. Jana B. ver­suchte, dem Keni­an­er zu
helfen — während Nicole L. den Ober­feld­webel fes­thielt und auf ihn
einredete. 

Auch wenn manche Angaben der Zeug­in­nen unge­nau bleiben, zollt Richter Frank
Tie­mann ihnen Respekt. “So viel Zivil­courage zeigen nur wenige”, sagt er,
“darauf kön­nen Sie stolz sein.” 

In Brandenburg/Havel allerd­ings sieht das nicht jed­er so. Sie füh­le sich
bedro­ht, sagt Jana B., und Nicole L. berichtet von Beschimp­fun­gen. Und von
einem Ver­such, sie zur Falschaus­sage zugun­sten von Torsten Z. zu bewegen.
Woher die bei­den Frauen ihren Mut nehmen, kön­nen sie nicht erk­lären. “Wir
haben damals impul­siv reagiert”, sagt Nicole L. Dem Richter erk­lärt sie,
“wie Frauen so sind, haben wir uns eingemischt”. 

Junge Frau stellt sich Ober­feld­webel entgegen

Im Prozess gegen Bun­deswehrsol­dat­en Lob vom Richter für couragiertes
Eingreifen

(MAZ, 22.1., Robert Rudolf) Mutiges Ein­greifen auf der einen, Desin­ter­esse und Aus­flüchte auf der
anderen Seite — mit diesen unter­schiedlichen Zeu­gen­reak­tio­nen sah sich
Don­ner­stag das Landgericht Pots­dam am zweit­en Tag des Prozess­es gegen den
Bun­deswehrsol­dat­en Torsten Z. und seinen Trinkkumpan Andreas R.
kon­fron­tiert. Der 26-Jährige Ober­feld­webel muss sich vor der ersten Großen
Strafkam­mer wegen ver­sucht­en Mordes an dem 30-jähri­gen Keni­an­er Oscar M.
ver­ant­worten. In den Mor­gen­stun­den des 18. Juli 2004 soll er nach einem
Diskobe­such in Brandenburg/Havel seinem Opfer eine abge­broch­ene Bierflasche
in den Hals ger­ammt haben (Stadtkuri­er berichtete). Oscar M. hat­te Glück:
Der Stich, der eine drei Zen­time­ter tiefe und sechs Zen­time­ter lange Wunde
hin­ter­ließ, ging an der Halss­chla­gad­er vor­bei. Torsten Z. hat­te am ersten
Prozesstag erk­lärt, er könne sich nicht an das Geschehen erin­nern. Ein
Gutacht­en stellte fest, dass an sichergestell­ten Scher­ben Blut des
Angeklagten klebt. Die mut­maßliche Tat kon­nten auch die Disko-Besucherinnen
Jana B. (20) und Nicole L. (25) nicht beobacht­en. Allerd­ings schilderten sie
dem Gericht ihre Erin­nerun­gen kurz vor und nach dem Geschehen. Danach hätten
die bei­den Angeklagten die Keni­an­er Oscar M. und dessen Bekan­nten Jeff I.
vor der Diskothek Piephahn provozieren wollen. Diese seien mit den Worten
“Frieden” und “Fre­und­schaft” einem Stre­it aus­gewichen und zur
Straßen­bahn­hal­testelle gegan­gen. Sie seien dann in dieselbe Richtung
aufge­brochen und hät­ten vor allem ver­sucht Andreas R. zu beruhi­gen, sagten
Jana B. und Nicole L. Der damals arbeit­slose 30-jährige Mau­r­er hätte sich
immer weit­er in Rage über die Bevorzu­gung von Aus­län­dern gere­det. Sie seien
dann gegan­gen. Kurz darauf hät­ten sie das Split­tern von Glas gehört und
seien zurück­geeilt. Da habe Oscar M. bere­its blu­tend auf den Schienen
gele­gen. Torsten Z. habe mit sein­er Recht­en Glass­plit­ter zusammengepresst.
Während Nicole L. den Hauptverdächti­gen davon abge­hal­ten habe auf Oscar M.
loszuge­hen, habe Jana B. per Handy Hil­fe alarmiert. Auch Oscar M. hatte
ver­sucht über Handy die Polizei zu erre­ichen. Allerd­ings sei ihm das Telefon
aus der Hand getreten wor­den, erin­nerte sich Nicole L. “Ihr Beispiel sollte
Schule machen”, lobte der Vor­sitzende Richter Frank Tie­mann die beiden
jun­gen Frauen. Anders die Reak­tion im Piephahn auf das Geschehen: DJ
Bern­hard A. und Gast­wirt Tobias H. berichteten, Oscar M. hätte mit blutender
Hal­swunde um Hil­fe, genauer um ein Taschen­tuch, gebeten. Hil­fe zu rufen,
hiel­ten bei­de nicht für nötig: Das habe der Keni­an­er aus­drück­lich nicht
gewollt. Dass der unter Schock ges­tanden haben kön­nte, wie die entgeisterte
Staat­san­waltschaft fragte, glaubte der als Kranken­trans­port­fahrer tätige
Bern­hard A. nicht. Der Prozess wird am 27. Jan­u­ar fortgesetzt.

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