Wenn am 6. Oktober erneut der NPD-Preußentag in Finowfurt, nahe Eberswalde (Landkreis Barnim) stattfindet, wird es der Gegenprotest wie in den Vorjahren schwer haben: Der Veranstaltungsort liegt abgelegen, Proteste gegen Nazis sind im Ort verpönt. Als wäre das nicht genug, nun stellt auch noch das Brandenburger Institut für Gemeinwesensberatung, auch bekannt als Mobiles Beratungsteam (kurz: MBT) ein neues Buch vor, das antifaschistische Arbeit vor Ort kritisiert. In einem Beitrag im Buch “Einblicke IV” zur Arbeit des MBT in Finowfurt werden Antifaschist_innen als Störenfriede von Außen dargestellt und die Nicht-Aktivitäten der Gemeinde als positiv für die Gemeinschaft betitelt. Bereits der Titel “Ein Osterspaziergang im August” lässt an der ernsthaften Auseinandersetzung um Neonazismus zweifeln. Zeit, sich den Artikel des MBT genauer anzuschauen.
Hintergrund: Preußentag und andere Nazikonzerte in Finowfurt
Seit vier Jahren finden regelmäßig Konzerte und Veranstaltungen auf dem Gelände der Familie Mann, in Finowfurt statt. Klaus und Sybille Mann sowie ihr Sohn Enrico sind seit vielen Jahren aktiv in der Naziszene, u.a. waren sie engagiert in der DVU und sind es heute für die NPD, auch sind sie angebundenen an freie, parteiunabhängige Strukturen. Insbesondere Klaus Mann verfügt über gute Kontakte in die regionale und überregionale Rechtsrockszene, was sein Grundstück zu einem der wichtigsten Veranstaltungsorte in Brandenburg macht. Das Gelände liegt etwas abseits des Ortes an einer Autobahnabfahrt, was Gegenproteste in den vergangenen Jahren immer erschwerte.
Am kommenden Sonntag soll zum dritten Mal der NPD-Preußentag stattfinden, neben dem im Juni stattfindenden Sommerfest, ein zentrales Event des Brandenburger Landesverbandes der NPD. Der Preußentag findet am 6. Oktober statt, in unmittelbar zeitlicher Nähe zum Tag der Deutschen Einheit und den Feierlichkeiten der Bundesrepublik. Die Partei will sich von der “Wiedervereinigung” von 1990 abgrenzen, für sie gilt diese als falsch. Ihre “echte” Wiedervereinigung würde die ehemals deutschen Gebiete im heutigen Polen, und Teilen Tschechiens einschließen. Dieser Logik folgend posiert die Mitorganisatorin und NPD Kreistagsabgeordnete Manuela Kokott (Oder Spree) mit Ostpreußenfahne auf der Internetseite des Preußentages.
Die geschichtsrevisionistische Haltung der Partei wird damit unübersehbar. Doch das MBT schafft es, die Positionen der Partei und die Familie Mann in ihrem Artikel auszublenden.
MBT, Identität und die berechtigte Frage: Was wäre, wenn die Manns Finowfurter wären?
Anfänglich war das MBT als Beratungsteam bei Naziproblemen und Engagement gegen Nazis eingerichtet worden. Um auf die Gewalttaten Anfang der 90er Jahre reagieren zu können, erforderte es eine schnelle und mobile Institution, die vor Ort gegen rechte Gewalt unterstützen konnte. Diese Arbeit des MBT ist merklich zurückgegangen, denn auch die Aktivitäten und Gewaltexzesse haben in Brandenburg seit den 90er Jahren abgenommen. Das MBT ist immer mehr dazu übergegangen gar keine Arbeit zum Thema “Rechtsextremismus” zu machen, sondern nennt es allgemein-schwammig “Demokratieberatung”. Unter diesen nichtssagenden Begriff können Feste für lokalen Unternehmen oder die Unterstützung von Dorffesten untergebracht werden. Hauptanliegen des MBT ist es, als Verbündete vor Ort gesehen zu werden. Die politische Ausrichtung ist dabei zweitrangig, wenn nicht gar obsolet.
Im Falle Finowfurt begleitet man den Ort bei der Ausrichtung eines Dorffrühstückes, dass das Wir-Gefühl stärken sollte. Zur Stärkung des Wir-Gefühls gehöre, laut dem Artikel, auch die Erhaltung der 700 Jahre alte? Bauerndörfer als “identitätstragende” Teile der Gemeinde. Die Interviews, die das MBT anlässlich des Frühstücks durchführte, u.a mit dem örtlichen Pfarrer, dem Jugendsozialarbeiter oder dem Ortsvorsteher von Finowfurt wirken wie in den Mund gelegt, zu abgesprochen scheinen die immer wieder kehrenden Formulierung von “Ich erkenne Nazis als Menschen an“, das “Wir-Gefühl” und die “Gemeinschaft stehen im Mittelpunkt” und “nicht immer nur gegen etwas sein”. Leider kommen hier nur Funktionsträger und Meinungsbilder_innen zu Wort, von den Gemeindebewohner_innen ist nichts zu hören. Ein Mangel des MBT, will es doch Vertreter_in der “einfachen” Bürger_innen sein.
Hauptreferenzpunkt des Artikels, neben den genannten Interviews, ist der Bürgermeister Uwe Schoknecht (Bündnis Schorfheide). Er stellt die Heimatverbundenheit, die Identität der Gemeinde und das Wir-Gefühl in den Vordergrund seiner Arbeit. Dabei nimmt er so oft das Wort “Identifikation” mit der Gemeinde und den Dörfern in den Mund, dass man sich ernsthaft fragen muss: Was wäre, wenn die Familie Mann nicht zugezogen wäre und damit, wie die Antifa, einen Störenfried von „außen“ darstellt, sondern mit dem Dorf gewachsen und dort groß geworden wäre? Dann könnte das Gelände der Manns ebenso erhalten bleiben, wie die anderen „ortsprägenden Gebäude“. Wie auch der Bürgermeister in einem Interview, scheint es auch das MBT zu empfinden: Die Identifizierung mit dem Bürgermeister und seiner Gemeinde sei das “sicherstes Bollwerk gegen Extremismus”.
“Wir” und die “von Außen”: Feindbild Antifa
Nach 20 jähriger Erfahrung weiß das MBT, wie es sich Vertrauen vor Ort schafft und ihren Job für einige Zeit sichert. Am besten klappt es in der Abgrenzung zu Dritten. Die Dritten sind für das MBT und den Bürgermeister die Antifaschist_innen und andere Kritiker_innen, die dem Nazitreiben in Finowfurt etwas entgegensetzen wollen. Denn hier macht sich das Problem für den Bürgermeister und Co aus: Nicht das Fest der Nazis, sondern die Aktivitäten “der regionalen und Berliner Antifa waren [..] unerträglich”. Ihn störten “die Vorwürfe an die Adresse der Gemeinde” und “das Drängen von Links auf Gegenaktionen”. Solche Aussagen des Bürgermeisters, und die Übernahme seiner Standpunkte durch das MBT, ziehen sich durch den gesamten Text, nahezu auf jeder zweiten Seite wird deutlich: Die Antifa zerstört das Image der Gemeinde und die Medien zeichnen ein “falsches” Bild eines Naziortes. Es erscheint grotesk wie hier die Problemwahrnehmung verschoben wird: In der Einleitung findet sich ein Satz über das Nazitreiben, dass die Finowfurter_innen nicht mitbekommen haben wollen, aber sechs Sätze über die negative Berichterstattung und Aktivitäten von Antifaschist_innen. Hinzukommen falsche Behauptungen, die das Feindbild “Antifa” weiter schüren sollen: Die Antifa habe den Bürgermeister als Nazis betitelt.
Uns ist kein Fall bekannt, wo diese getan wurde. Schoknecht ist kein Nazi, doch er hat sich in der Vergangenheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert, wenn es um die Arbeit gegen Nazis geht. Zu Recht wurde ihm Wegschauen vorgeworfen und dass er versuchte Gegenaktivitäten zu unterbinden, ist ein Fakt, den er eingestehen kann.
Als im letzten Jahr ein Flugblatt in Finowfurt verteilt wurde, in dem auf das parallel zum Finowfurter Flößerfest stattfindene NPD-Sommerfest aufmerksam gemacht wurde, ließ es sich Bürgermeister Schoknecht nicht nehmen, sich in der Lokalpresse über das Flugblatt der (vermeintlichen) Antifa auszulassen. Er behauptete zu wissen, wer dahinter stecke und habe Kontakt gesucht um die politische Auseinandersetzung zu führen. Eine Kontaktaufnahme zu den Ersteller_innen des Flugblattes hat es bis zum heutigen Tage nicht gegeben, erklärte das „Bürgerbündnis für eine Nazifreie Schorfheide“ gegenüber der AAB. Zwar soll er beim Lokalen Aktionsplan (LAP) in Eberswalde aufgetreten sein, um von dem Flugblatt zu berichten, doch beim LAP, wo mittlerweile selbst Rechtspopulisten Platz finden, wird er kaum die entsprechenden Schreiber_innen finden.
Bürgermeister Schoknecht ist auf das Image seiner Gemeinde bedacht. Das Problem macht er jedoch auf der falschen Stelle aus. Die Gegenaktivitäten werden als “importiert” und “störend” bezeichnet. Hätte es keinen Gegenprotest gegeben, hätten die Finowfurter_innen nichts vom Nazitreiben am Dorfrand mitbekommen – so wünschte es sich offenbar Herr Schoknecht. Doch bereits im erstern Jahr gab es erste Proteste durch ein Konzert der Sportfreunde Stiller, welches starke mediale Aufmerksamkeit bekam. Und spätestens die Spontandemo der Nazis gegen das Konzert hätte die Bürger_innen auf die „Problemfamilie“ aufmerksam machen müssen. Dass die 200 Antifaschist_innen, die 2009 durch das 20 Kilometer entfernte Eberswalde gegen das damalige DVU-Fest zogen, nicht wahrgenommen wurden, mag dagegen noch einleuchten. Leider hatten die Antifa-Proteste in den letzten Jahren ihre Grenzen: Eine Demonstration im Juni 2009 war vor allem aus lokalen und Brandenburger Antifas und linken Gruppen umgesetzt worden. Protestflyer und die Protestkonzerte seit 2008 werden maßgeblich durch Strukturen aus Eberswalde und Umgebung gestemmt. Was Schoknecht den Finowfurter_innen offenbar abspricht, klappt im angrenzenden Eberswalde und dem entfernten Bernau noch: Der öffentliche Protest gegen Nazis. Ein Beispiel kann sich Schoknecht auch an der Stadt Biesenthal nehmen. Als 2011 ein Nazi-Konzert zur “Wintersonnenwende” angekündigt wurde, fand sich schnell Protest vor Ort. 150 Antifaschist_innen blockierten den Veranstaltungsort, das Konzert konnte in Biesenthal nicht stattfinden.
Um sich dem Vorwurf zu entziehen, nicht aktiv gegen die Nazis vorzugehen, erklärte Finowfurt kurzum das “Flößerfest” als Gegenaktivität. Dabei ist das Flößerfest das jährlich stattfindene Dorffest und hat keinerlei politischen Anspruch. Dass sich auf dem Dorffest gern Nazis tummeln und einschlägige Personen und Kleidungen nicht vom Gelände verwiesen werden, kennt man auch aus anderen Orten. Es ist keine Besonderheit von Finowfurt, sondern leider nicht untypisch für viele Orte, die ihr Bratwurstessen und die Hüpfburgen als “Demokratie-” oder “Toleranzfest” betiteln und damit “symbolisch” gegen Nazis sein wollen. In einer Erklärung im Juni letzten Jahres (als Reaktion auf das Flugblatt und einem Anruf von Herrn Mann) meint Schoknecht, dass Finowfurt kein Ort für Nazis sei. Und auch das ist leider kein Einzelfall in Brandenburg: Das Problem wird nicht anerkannt und erklärt, dass die Nazis auch nur weitere Störenfriede von “Außen” sind. Immerhin: Schoknecht distanziert sich von den Solidaritätsbekundungen des Herrn Mann.
Heimat, Wir-Gefühl und (Dorf-) Gemeinschaft
Das bereits erwähnte Schorfheide-Frühstück, dass durch die Orte pendeln soll, will das Wir-Gefühl in der Gemeinde stärken. Eingeladen waren alle Schorfheider_innen, auch die Neuen. Was damit gesagt wird, aber in dem Text nicht deutlich wird: Auch die Nazis waren eingeladen. Sie ließen sich sogar blicken, gingen aber nach Aussage des MBT schnell wieder. In der Vorbereitung des Frühstücks stand, wie auch zuvor, nicht das Problem Nazis oder andere politische Statements auf dem Plan, nein, man diskutierte lieber über Hygienebestimmung. Als wäre, dass nicht schon unpassend genug, hat auch das MBT nichts besseres zu tun, dies in ihrem Artikel breit zu berichten.
Die Interviews im Anschluss an das Schorfheide-Frühstück werden im MBT-Artikel unter dem Titel “Heimat-Geschichte-Identität-Teilhabe” zusammengefasst. Zuvor stellt das MBT stellvertretend für die Gemeinde noch die Frage, was soll die Gemeinde u.a mit einem Tagebuch des Nazis Hermann Göring tun, ausstellen oder nicht? Es bestehe die Angst mit diesem Exponat Anziehung für Nazis zu schaffen. Warum diese Angst besteht, fragen dagegen wir uns, wird doch u.a. in der Überschrift deutlich, dass es genug andere Anknüpfungspunkte gibt. Dort werden “wichtige Werte” wie Heimat, Geschichte und Identität in den Vordergrund gerückt – bei solchen “Themen” braucht man sich über die Zustimmung von der “falschen” Seite nicht mehr wundern. “Weder dieses Gefühl noch den Begriff Heimat wollen wir rechten Heimatfreunden überlassen”, äußert ein Finowfurter im Interview. Welchen Unterschied er zwischen dem “rechten” Heimatbegriff und dem eigenen macht, wird jedoch nicht deutlich. Was nicht heißt, dass es ihn nicht geben mag. Sich die eigenen Positionen nicht durch Nazis nehmen zu lassen, mag ein guter Ansatz zu sein. So mag das Eintreten für Naturschutz oder Tierschutz für viele wichtig sein und ein durchaus zu unterstützendes Anliegen. Aber auch hier gilt genau hinschauen!
Der Schutz der Heimat, die Ausgrenzung der “Anderen” und die übersteigerte Identifikation mit Dorf- oder Volksgemeinschaft, sind der perfekte Nährboden für Rassismus und neonazistische Gewalt. Der unkritische Zugang des MBT zu diesen Positionen, wird ihrem eignen Anspruch “demokratiebildend” zu sei nicht gerecht.
Der Bürgermeister ist nicht die einzige Person in der Gemeinde, die durch Wegschauen glänzt. Auch die vielen anderen Gemeindevertreter_innen und Engagierten im Ort zeigen sich nicht gerade von der besten Seite. Dass auch Sybille Mann (angetreten für die DVU) in der Gemeindevertretung sitzt, wird ebenso gern in der Öffentlichkeit verschwiegen, wie die vielen Nazi-Konzerte am Ortsrand. Positiv anzumerken ist Schoknechts Äußerung ihm sei die politische Abgrenzung von Nazis wichtig, und das öffentlich. Schön wäre es, wenn er das ein wenig deutlicher und öffentlicher machen würde.
Am 6. Oktober hat er erneut die Chance zu beweisen, dass die Gemeinde Schorfheide kein Ort für Nazis sein will. Zu guter Letzt können wir nur hoffen, dass Pfarrer Ulf Haberkorn mit seiner Aussage irgendwie doch recht hat: „Wir haben gezeigt, dass wir schon weiter sind, als es von außen manchmal wahrgenommen wird, oder wie man es uns von außen einreden will.“