Der 17. November könnte für die ost- und norddeutsche Neonaziszene ein Reisetag werden. Erst könnte es ins brandenburgische Halbe gehen, um der Waffen-SS zu huldigen, und anschließend nach Hoyerswerda. Dort hat die Bewegung Deutsche Volksgemeinschaft (BDVG) für denselben Tag einen Fackelmarsch angekündigt, wie der rechtsextremen Mitteldeutschen Jugendzeitung zu entnehmen ist. Und sollte der Aufmarsch in Halbe verboten werden, ginge es gleich nach Hoyerswerda. So haben es sich die Kameraden vielleicht vorgestellt.
Sebastian Richter fungiert als Kontaktmann beim geplanten Aufmarsch in Hoyerswerda, er ist eine der Hauptfiguren der rechtsextremen Szene in der Region. Seit Jahren ist er unter dem Pseudonym Sepp Hagen in alle relevanten Neonaziprojekte involviert. So ist er zuständig für das in Hoyerswerda ansässige Nationale Infotelefon und die dortige rechtsextremistische Junge Landsmannschaft Ostpreußen. Er betreut die Internetseiten der lokalen Freien Aktivisten und der Mitteldeutschen Jugendzeitung, die seit etwa einem Jahr erscheint.
In diesem Blatt ist er auch verantwortlich für den Satz und die Gestaltung und fungiert als »Schriftleitung« neben dem Brandenburger Neonazikader Gordon Reinholz und »Alexander B.«. Nach Angaben des Antifaschistischen Rechercheteams Ostsachsen (artos) verbirgt sich hinter diesem Kürzel Alexander Bode aus Guben, ein Aktivist der so genannten Lausitzer Front und der Haupttäter bei der tödlichen Hetzjagd auf den Algerier Farid Guendoul in Guben im Februar 1999.
Die engen überregionalen Kontakte zeigt auch die Unterstützerliste für die Mitteldeutsche Jugendzeitung: Freie Aktivisten tummeln sich darauf ebenso wie Kameradschaften aus Sachsen und Südbrandenburg, NPD-Kreisverbände und die BDVG.
Dabei betonte erst im vergangenen Oktober der Oberbürgermeister der Stadt, Horst-Dieter Brähmig (PDS): »Hoyerswerda ist kein Zentrum des Rechtsextremismus. Wir haben aus den Ausschreitungen im Jahre 1991 Schlussfolgerungen gezogen und entsprechend darauf reagiert.« Doch nach dem Pogrom von 1991, bei dem es zu tagelangen Ausschreitungen gegen eine Unterkunft von Asylbewerbern kam, ist es nie wirklich »ruhig« um die Stadt und die Region geworden.
Immer wieder kam es zu brutalen Angriffen auf Andersdenkende. Im Oktober 1992 wurde die 53jährige Waltraud Scheffler bei einem Neonaziüberfall auf eine Diskothek tödlich verletzt. 1993 wurde Mike Zerna, der Techniker einer Band, ebenfalls von Neonazis ermordet. Bei einem Angriff auf das alternative Jugendzentrum »Dock 28« wurde ein Lieferwagen auf ihn gekippt, er starb an seinen schweren Verletzungen.
Im Dezember des Jahres 2000 pöbelten Neonazis im nahe gelegenen Bernsdorf eine vietnamesische Familie an. Der damals 15jährige Thung N. verletzte daraufhin einen der Angreifer, Matthias Förster, tödlich. Schon eine Woche später kamen etwa 300 Neonazis aus Sachsen und Brandenburg zum »Trauermarsch«, der fortan jährlich stattfinden sollte.
Und erst im Sommer dieses Jahres wurde ein afrodeutscher Jugendlicher von Neonazis in Hoyerswerda verschleppt, in einem Waldstück bei Bernsdorf zusammengetreten und schließlich verletzt liegen gelassen. Auch beim diesjährigen Stadtfest kam es zu Hetzjagden auf Ausländer. Für die MitarbeiterInnen des Projektes »Amal Sachsen — Hilfe für Betroffene rechter Gewalt« stellt die Region Hoyerswerda einen Arbeitsschwerpunkt dar. Auch nach Ansicht von artos hat, im Widerspruch zu offiziellen Darstellungen, Hoyerswerda nach wie vor eine gut organisierte rechtsextreme Szene.
Schon am 9. November wollte die Interessengemeinschaft Wiedervereinigung Gesamtdeutschland mit ihrem greisen Vorsitzenden Georg Paletta in Hoyerswerda demonstrieren. Nach angeblichem Druck des Verfassungsschutzes und wegen seines akuten Herzleidens sagte Paletta nach eigenen Angaben die Demonstration ab. Daraufhin wollte die Lausitzer Arbeitsloseninitiative i.G. (Lai) eine Ersatzdemonstration am 9. November in Hoyerswerda durchführen. Als Anmelder fungierte Enrico Kehring aus Niesky. Er ist der Anführer der örtlichen Kameradschaft Schlesische Jungs und ein Intimus des stellvertretenden sächsischen NPD-Vorsitzenden Klaus Menzel. Die Schlesischen Jungs gelten als militant und gewalttätig. Erst kürzlich wurden zwei Mitglieder wegen brutaler Angriffe auf vermeintliche Linke verurteilt.
Aber auch zu dieser Demonstration kam es nicht. Die Stadt hatte sich vorgenommen, sie am Jahrestag der Reichspogromnacht nicht zuzulassen. Selbst eine antifaschistische Gegendemonstration wollte der Oberbürgermeister Brähmig notfalls unterstützen. Damit wolle er »ein deutliches Zeichen setzen, dass sich Hoyerswerda in den letzten zehn Jahren geändert hat und rechte Aufmärsche nicht toleriert«.
Örtliche Antifaschisten sind jedoch nicht der Meinung, dass sich wirklich etwas geändert habe. Das Engagement des Oberbürgermeisters sehen sie weniger in seiner antifaschistischen Gesinnung begründet, sondern in der vielfach geäußerten Angst um das Image und den Ruf der Stadt. So kommentierte die Sächsische Zeitung: »Gäbe es irgendwelche Vorfälle, würde die Stadt zweifellos wieder in den Focus der überregionalen Medien geraten (“Hoyerswerda, da war doch was?”).«
Diese Angst herrschte auch schon im vergangenen Jahr. Die Veranstaltungen zum zehnten Jahrestag der Pogrome hätten fast nicht stattgefunden. Erst als die Opferperspektive Ostsachsen und die Jusos Sachsen eine »Gedenkwoche« planten, wurde die Stadt aktiv und organisierte selbst einige Veranstaltungen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte hat es in Hoyerswerda bis heute nicht gegeben.
Und auch wenn es nicht zum Fackelmarsch am 17. November kommen sollte, ist die nächste Veranstaltung der regionalen Neonaziszene bereits geplant. Anfang Dezember wollen sich in Bernsdorf wieder organisierte Neonazis treffen, um gemeinsam ihres toten Kameraden Matthias Förster zu gedenken.