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Am Ende der Befehlskette

Beste Kam­er­ad­schaft, Spaziergänge mit dem Hund in der Natur, Sauer­brat­en und Klöße. Es sind gute Dinge, an die sich Anna Grebe erin­nert. Sie ist 84 Jahre alt, als sie 2003 die His­torik­erin­nen Simone Erpel und Jeanette Tou­s­saint empfängt. Anna Grebe will erzählen. Davon, dass sie nie etwas Bös­es getan habe, dass sie eine von den Beliebten gewe­sen sei. In Ravens­brück, meint sie, sei alles harm­los gewe­sen. Anna Grebe war Auf­se­herin im KZ.

Ihre Worte sind kaum zu ver­ste­hen. Das liegt an der öster­re­ichis­chen Mundart und auch daran, dass Anna Grebe fast flüstert. „Sie find­en ja eh alles raus, wo ich war“, nuschelt die alte Frau, die später geste­hen wird, dass sie auch in Auschwitz Häftlinge bewacht hat. Bek­lom­men­heit kriecht durchs Pub­likum, das Mittwochabend in der Lan­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung dem ungewöhn­lichen Ton­doku­ment lauscht. „Es zwingt dich nie­mand etwas zu sagen, was du nicht sagen willst“, herrscht Grebes Tochter die Mut­ter an. „Du brauchst keine Unan­nehm­lichkeit­en mehr zu haben in deinem Alter.“ Sie fordert Erpel und Tou­s­saint auf, andere Fra­gen zu stellen oder mit dem Inter­view aufzuhören.

Im Gefolge der SS: Auf­se­herin­nen des Frauen-KZ Ravens­brück“ heißt das Buch, das Simone Erpel beglei­t­end zur Ausstel­lung in der Mahn- und Gedenkstätte in Nord­bran­den­burg her­aus­gegeben hat. Mit Jeanette Tou­s­saint und anderen Autoren ver­sucht sie zu ergrün­den, wer die Frauen waren, die die mehr als 130 000 Inhaftierten bewacht und nach 1945 jegliche Ver­ant­wor­tung abgelehnt hatten.

Lange hat man negiert, dass es Täterin­nen gab“, so Erpel. Erst zu Beginn der 1990er Jahre wur­den sie zum Forschungs­ge­gen­stand. So auch die Auf­se­herin­nen von Ravens­brück. Cir­ca 4000 hiel­ten am Ende der Befehls­kette das Lager­sys­tem am Laufen oder wur­den dort (ab 1942) aus­ge­bildet. Die meis­ten hat­ten die Volkss­chule besucht, waren ohne Aus­bil­dung und unver­heiratet. Sie kamen frei­willig oder wur­den vom Arbeit­samt ver­mit­telt. Einen Zwang zum Mit­machen gab es nicht: Auch zum Dienst Verpflichtete kon­nten kündi­gen. „Dass dann Leib und Leben in Gefahr gewe­sen wären, gehört in den Bere­ich der Mythen, eine Ent­las­tungsle­gende“, sagt Erpel.

Viele der Auf­se­herin­nen sind ver­stor­ben oder leben unent­deckt. Auf Anna Grebe waren die His­torik­erin­nen durch einen anony­men Tipp gestoßen. Dass sie zum Gespräch bere­it war, ist für die Forschung ein Glücks­fall. „Die Erin­nerun­gen sprudel­ten aus ihr her­aus, so dass wir nach Stun­den Mühe hat­ten, uns zu konzen­tri­eren“, so Tou­s­saint. Von ein­er Auseinan­der­set­zung mit den Nazi-Ver­brechen könne aber keine Rede sein. Dass sie mitver­ant­wortlich dafür waren, habe keine der Frauen zugegeben. Von Reue oder Schuldeingeständ­nis keine Spur. Vielmehr hal­ten sich alte Denkweisen. Anna Grebe etwa bedauerte, dass Sin­ti und Roma über­lebt haben und nun „sog­ar“ studieren dür­fen. Auch die Fam­i­lien ver­drän­gen die Ver­gan­gen­heit. „Sie hat ihre Arbeit gemacht und ihr Geld ver­di­ent. Und das war’s“, sagt Anna Grebes Tochter. Anna Grebe ist im Früh­jahr 2007 gestorben.

Simone Erpel: Im Gefolge der SS – Auf­se­herin­nen des Frauen-KZ Ravens­brück. Metropol, 374 Seit­en, 22Euro

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