POTSDAM — Auf den ersten Blick wirkt das Blättchen über den “Bankrott
des
Gesundheitssystems” harmlos. Aber schon ein paar Zeilen Text zeigen,
wes
Geistes Kind die Verfasser sind: “Ausländische Gesundheitstouristen,
Strafgefangene, Asylbewerber und Sozialhilfeempfänger” werden für
diesen
“Bankrott” verantwortlich gemacht. Vor vierzehn Tagen waren die Zettel
der
“Unabhängigen Nachrichten” ausgerechnet in der Mensa der Universität
Potsdam
Am Neuen Palais aufgetaucht. Die hiesige Uni: ein heimlicher Hort
rechter
Umtriebe? “Wir haben niemanden beim Verteilen der Blätter erwischt”,
sagt
Asta-Vorstandsmitglied Tamás Blénessy. Die Verteiler hatten zwar wohl
Ortskenntnisse. Eine studentische Beteiligung ist damit jedoch nicht
bewiesen. Allerdings auch nicht ausgeschlossen. Denn Hochschulen sind
nicht
per se frei von braunen Flecken. Der DVU-Vorsitzende Gerhard Frey hat
ein
Jurastudium absolviert, in München bot die Burschenschaft Danubia
gewalttätigen Skinheads Zuflucht und die Berliner Zeitung “Junge
Freiheit”,
die sich gerne unabhängig gibt und ihre Autoren auch aus dem
akademischen
Umfeld rekrutiert, schiebt immer wieder rechtes Gedankengut ins Blatt.
Innenministerium gibt Entwarnung
Keinen Grund zur Beunruhigung sieht das brandenburgische
Innenministerium.
Dessen Sprecher Heiko Homburg stellt zu den Flugblättern klar: Die
rechtsextremistische Publikation “Unabhängige Nachrichten” werde in
großer
Zahl außerhalb Brandenburgs hergestellt. “Bisher gibt es keine
Hinweise,
dass sie von Studenten vertrieben werden.” Rechtsextremistische
Strukturen
seien an brandenburgischen Hochschulen bisher nicht festgestellt
worden;
auch keine Versuche, solche aufzubauen. “Sollte es irgendwann
Bemühungen
geben, rechtsextremistische Strukturen an brandenburgischen Hochschulen
zu
formieren, so würden diese unmittelbar auf dem Radarschirm unserer
Sicherheitsbehörden sichtbar”, versichert Homburg. Dementsprechend
werden an
der Universität Potsdam die Flugblätter auch nicht als Beleg für einen
Rechtsruck gewertet. Asta-Hochschulreferent Blénessy schätzt trotz
gelegentlicher Hakenkreuzschmierereien oder gar geschriebene “Sieg
Heil”-Rufe auf Toiletten die Verbreitung rechter Gesinnungen unter
Potsdams
Studierendenschaft eher unterdurchschnittlich ein: “Wir haben hier fast
gar
keine Erfahrung mit Burschenschaften, die der rechten Ecke zuzuordnen
wären.” Die letzten Wahlen hätten viel mehr die Stärke linker
Gruppierungen
belegt. “Zumindest mit Rechtsextremismus haben wir hier kein Problem”,
lautet Blénessys Fazit. Immerhin wurde der Potsdamer Ring Christlich
Demokratischer Studenten (RCDS) auf die Tätigkeit seines
Vorstandsmitglieds
Steffen Königer als Autor der “Jungen Freiheit” angesprochen. “Wir
wissen
nicht, warum er das macht”, sagt Potsdams RCDS-Vorsitzender
Hans-Wilhelm
Dünn. Königer sei ein umgänglicher Mensch, und beim RCDS bisher nicht
durch
rechte Äußerungen aufgefallen: “Sollte das vorkommen, dann wären wir
die
ersten, die sich von ihm trennen müssten”, verspricht der RCDS-Chef.
Dass es
indes an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus
rechtsorientierte Studenten geben könnte, schließt der
hochschulpolitische
Referent des dortigen Studierendenrats, Ingmar Lippert, nicht aus:
“Aber auf
jeden Fall sind solche Gruppierungen bisher nicht in nennenswertem
Umfang
hervorgetreten.” Weder habe es Broschüren noch Aktionen gegeben. Von
rechten
Bestrebungen ist auch dem Referenten für Hochschulpolitik vom Asta der
Frankfurter Viadrina “zum Glück bisher nichts zu Ohren gekommen”. Das
Frankfurter Studentenparlament sei “eher gemischt”, erklärt Hieronim
Rzeppa.
Auch andere extreme Gruppen seien “hier nicht das Problem”. Von
einzelnen
deftigen linken Plakatanschlägen abgesehen, könne man sagen, “dass
extreme
Gruppen hier nicht existent sind”, so Rzeppa. Dass Brandenburgs
Universitäten bisher “clean” geblieben sind, führt der Sprecher des
Innenministers auf deren Aufgabe zurück: “Die Universitäten sind Orte
der
Vernunft und der Bildung”, sagt Homburg. “Im Vergleich zum
Linksextremismus
hat der Rechtsextremismus aber einen viel geringeren
Intellektualisierungsgrad. Das gilt umso mehr für den gewaltbereiten
Rechtsextremismus.” Das sieht auch das Bundesamt für Verfassungsschutz
so.
Im Bericht von 2001 dokumentiert es unter anderem vergebliche Versuche
rechtsintellektueller Kreise qua Kampagnen an kulturellem Boden zu
gewinnen.
Doch Blätter wie “DESG-Inform” oder “Synergon Forum” waren regelmäßig
nach
den ersten Auflagen wieder eingegangen. Selbst der NPD- “Vordenker”
Jürgen
Schwab beklagt die geistige Lethargie seiner Gesinnungsgenossen. “Zur
Zeit
macht der Rechtsextremismus eine Schwächephase durch, in der es ihm
nicht
gelingt, in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs einzudringen”, folgert
Guido Selzner, Sprecher beim Verfassungsschutz. Das schließe aber nicht
aus,
dass rechtes Denken auch bei Intellektuellen irgendwann wieder mächtig
werden könnte.
Keine Inseln der Seligen
Doch selbst wenn Rechte auf dem Campus keine Chance haben, heißt das
längst
nicht, dass Hochschulen in jeder Hinsicht Inseln der Seligen wären. So
hat
erst jetzt der Präsident der Technischen Universität (TU) Berlin, Kurt
Kutzler, der Vereinigung “Aqida” den Status einer an der TU
registrierten
Vereinigung entzogen, weil sie der gerade verbotenen islamistischen
Gruppe
“Hizb ut-Tahrir” erlaubt hatte, ihre Forderungen in den Räumen des
Studentenwerks Berlin darzustellen. Und in Brandenburgs
Innenministerium
schaut man durchaus besorgt auf islamistische Strukturansätze im Umfeld
der
BTU.