Am 6.1.03 hat vor dem Potsdamer Amtsgericht der Prozeß gegen ein Mitglied der Potsdamer Kampagne gegen Wehrpflicht begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, in einem Zeitungsartikel Tatsachen behauptet zu haben, die nicht erweislich wahr sind (Üble Nachrede).
Insbesondere geht es um die Behauptung, die Polizei hätte in der Breitscheidstraße 6 (die nach dem DFB-Pokalspiel Hertha BSC-SV Babelsberg 03 durch Hooligans und Nazis
angegriffen und danach von der Polizei gestürmt worden war) Möbel umgekippt, Musikanlagen zerstört, sich an Bargeld und Getränken bedient und in Polstermöbel uriniert. Die Behauptungen wurden am ersten Verhandlungstag durch Aussagen
ehemaliger Hausbewohner bestätigt.
Die Verhandlung wird am Montag, dem 13.01.03 9.30 Uhr am Amtsgericht Potsdam (Hegelallee 8) fortgesetzt. Dann sollen Polizei- und Pressevideos gezeigt und Polizisten der LESE vernommen werden.
Im folgenden dokumentieren wir den strittigen Artikel, der am 4. September 2001 auszugsweise in den PNN abgedruckt wurde
Lutz Boede
Kampagne gegen Wehrpflicht
Standpunkte-Artikel:
Die Zecke als Konsens zwischen Polizei und Neonazis
In den letzten Tagen wurde viel über rechtsextremistische Übergriffe und das
Verhalten der Polizei anläßlich des Pokalspiels des SVB 03 gegen Hertha BSC
berichtet. Einige sehen darin eine Verschwörung von Nazis und Polizei. Andere
reduzieren den Vorfall auf nette Hertha-Fans, die bereits auf dem Weg zum Stadion
mit Wasserspritzpistolen gehänselt wurden und daher in berechtigtem Zorn auf dem
Rückweg das Haus angriffen. Wieder andere meinen, bei derartigen Einsätzen könne
schon mal ein Polizist überreagieren. Alle diese Positionen verharmlosen das
eigentliche Problem.
Anschaulich und bemerkenswert finde ich, wie sich die Polizei in alternativen
Wohnprojekten nach deren Räumung benimmt, wenn die Streßsituation des Einsatzes
vorüber ist und folglich auch nicht mehr als Erklärungsmuster oder Entschuldigung
dienen kann. In der Rudolf-Breitscheid-Straße 6 kippten Polizisten Regale und
Schränke um, rissen Festplatten aus dem PC und warfen sie ins Nebenzimmer,
zerschlugen Plattenspieler und Boxen, brachen Schallplatten in der Mitte durch. Über
diese Verwüstungen staunten alle, die das Haus unmittelbar nach der Rückgabe an die
Bewohner betraten. Nach Angaben von Betroffenen bedienten sich Polizisten an
Getränken und Bargeld und urinierten schließlich hinter den Tresen des Partyraumes
und in Polstermöbel. So ähnlich pflegen Eroberer in besetzten Gebieten zu wüten.
Es liegt auf der Hand, daß sich normale Menschen in normalen Situationen anders
zueinander verhalten. Die wesentliche Voraussetzung, um diese Normalität verlassen
und mit derartigem Vernichtungswillen gegenüber anderen agieren zu können, ist
sicher, den anderen als minderwertig zu empfinden. Nur dies legitimiert Handlungen,
die man seinesgleichen aus guten Gründen nicht zumutet.
Diese Geisteshaltung erklärt vieles von dem, was am 25. August in Babelsberg
geschah: Bei der Festnahme mußten die Gefangenen eine halbe Stunde mit auf dem
Rücken verschnürten Händen öffentlich mit dem Gesicht auf dem Bürgersteig liegen.
Dabei wurden sie als „Schlampen“ und „Zecken“ betitelt. Für die Polizei stand von
vornherein fest, daß zwei beschlagnahmte Fahrräder, eine Festplatte und ein
Kondomautomat Diebesgut sind, auch wenn statt entsprechender Anhaltspunkte
Eigentumsnachweise vorliegen.
Und vielleicht ist es eben auch diese Geisteshaltung gegenüber tatsächlichen und
vermeintlichen Hausbesetzern und Linken, die dafür sorgt, daß ein „Zecken töten“
brüllender und den Hitlergruß zeigender Mob im Polizeibericht schlicht als
„Hertha-Fans“ umschrieben wird.
Letztlich beruhen der Angriff der rechten Schläger und das Zerstörungswerk der
Polizei auf der gleichen Sichtweise der Betroffenen. Wo Einvernehmen darüber
herrscht, daß Hausbesetzer „Zecken“ und „Schlampen“ sind, ist eine Verharmlosung
oder gar Billigung rechter Angriffe nicht mehr besonders fernliegend.
Siehe dazu auch die Pressemitteilung der Kampagne gegen Wehrpflicht Potsdam vor dem Beginn des Prozesses: