SCHWANTE Auf Anweisung von Oberhavel-Landrat Karl Heinz Schröter (SPD) ist gestern erstmals in Brandenburg ein so genanntes Kirchenasyl gebrochen worden.
Um 7.20 Uhr erschienen Polizeibeamte im Gemeindehaus der evangelischen Kirchengemeinde Schwante und durchsuchten es nach zwei Vietnamesen, die illegal in Deutschland leben. Die Beamten sollten den 48-jährigen abgelehnten Asylbewerber Xuan Khang Ha der Kreisausländerbehörde als Auftraggeber der Aktion überstellen. In Begleitung seines fünfjährigen Sohnes Minh Duc hätte Ha in die Abschiebehaft nach Eisenhüttenstadt gebracht werden sollen. Heute sollten der seit 1988 mit zweijähriger Unterbrechung in Deutschland lebende allein erziehende Vater und sein Sohn von Frankfurt am Main nach Vietnam ausgewiesen werden — wenn die Polizisten Ha samt Sohn im Schwanter Gemeindehaus angetroffen hätten. Sie hatten das Gebäude jedoch vor dem Eintreffen der Beamten verlassen und halten sich nun an unbekanntem Ort in Schwante auf.
Der Abschiebeversuch hat gestern landesweit unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Nach einer Sitzung des Innenausschusses des Landtags, in dem Schröter den Fall vortrug, befürwortete der Ausschuss-Vorsitzende Christoph Schulze (SPD) das Vorgehen seines Parteifreundes. Es gebe keinen Zweifel daran, dass die Abschiebung gerechtfertigt sei, sagte Schulze. “Gesetze sind dazu da, dass man sie erfüllt.” Der Asylantrag, den Ha kurz nach seiner Wiedereinreise nach Deutschland 1992 gestellt hatte, wurde schon vor Jahren abgelehnt. Inzwischen ist der Rechtsweg ausgeschöpft, so dass Ha zweifelsfrei ausreisepflichtig ist.
Die Leitung der evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg reagierte dennoch empört auf das Verhalten des Landrats. Seit Wochen bemühe sie sich um ein Klärungsgespräch mit Landrat Schröter, betonte der Ausländerbeauftragte der Kirche, Hans Thomä-Venske. Doch der habe auf die Bitten nicht geantwortet. “Die einzige Reaktion bis heute war, dass der Landrat von der Polizei die Gemeinderäume durchsuchen lässt. So geht man mit unmündigen Untertanen um und nicht mit gewissenhaften Bürgern”, grollte Thomä-Venske. “In den 19 Jahren, die ich jetzt im Amt bin, habe ich so etwas noch nicht erlebt.”
Insbesondere hätten die Kirchenvertreter mit dem Landrat das Ausmaß der politischen Verfolgung erörtern wollen, dem Xuan Khang Ha in Vietnam ausgesetzt sein könnte. Die Kirche vermutet, dass Ha massiver gefährdet sein könnte, als staatliche deutsche Stellen dies bisher anerkannt haben. Sie hat deshalb den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen sowie die Flüchtlingshilfeorganisation Amnesty International um Unterstützung gebeten. Die beiden Organisationen sollen den Gefährdungsgrad für Ha ermitteln, der sich nach einer Abschiebung aus seiner Mitgliedschaft in zwei oppositionellen Gruppen ergäbe. Seit dem Jahr 2000 gehört der zuvor unpolitisch agierende Ha der “Demokratischen Organisation Vietnams” sowie der “Allianz Freies Vietnam” an.
Beide Gruppen sind in Brandenburg nicht unbekannt. Das Verwaltungsgericht Cottbus hat schon mehrfach Mitglieder dieser Organisationen als Asylbewerber bestätigt. Ausschlaggebend dafür war jedoch nie die bloße Mitgliedschaft. “Es ging um das Ausmaß des Engagements”, weiß der Kirchen-Ausländerbeauftragte Thomä-Venske. Die sich daraus ergebende Bedrohungsanalyse für Ha wollen Amnesty International sowie die Vereinten Nationen nach Auskunft der evangelischen Kirche in wenigen Wochen vorlegen. Bis dahin, so Thomä-Venske, hätte Landrat Schröter Has Abschiebung aussetzen sollen.
Vermutlich verhält sich der Landrat gegenüber Ha auch deshalb so kompromisslos, weil der Vietnamese mehrfach vorbestraft ist — wegen illegalen Zigarettenhandels und weil er 1996 vier Chinesen beförderte, die illegal im Land waren. “Das ist zu verurteilen”, räumt Kirchenmann Thomä-Venske ein, “aber da guckt uns nicht der Großkriminelle an.” Immerhin sei Xuan Khang Ha seit 1996 nicht mehr straffällig geworden. Abgesehen davon dürfe ihm nicht das Schicksal jenes Inders widerfahren, der als abgelehnter Asylbewerber 1995 abgeschoben wurde und inzwischen in der Todeszelle sitzt. Im August 2002 habe ein deutsches Gericht entschieden, dass dem Mann politisches Asyl zustand.