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Angekommen in der Lausitz

Noch immer kom­men jedes Jahr tausende Fam­i­lien aus Rus­s­land und Kasachstan
als Spä­taussiedler nach Deutsch­land. Jahrzehnte, zwei, drei, vier
Gen­er­a­tio­nen liegen zwis­chen ihren deutschstäm­mi­gen Ver­wandten hier zu Lande
und den Neuankömm­lin­gen. Ihre Inte­gra­tion ist schw­er. Fam­i­lie Wolf aus Forst
hat es geschafft, vor allem durch eigenes Zutun. 

Manch­mal ruft Lil­ia Wolf (43) nach Wladis­law und Wjatsches­law, wenn sie von
ihren großen Söh­nen Wern­er (17) und Wal­ter (16) etwas will. So hießen die
bei­den Jungs, als die Fam­i­lie, zu der noch Ehe­mann Valerie (62) und das
Nesthäkchen (12) mit gle­ichem Namen gehören, im Novem­ber 1994 aus Omsk nach
Deutsch­land über­siedelte. «Ich habe nun ein­mal zwei Mut­ter­sprachen, deutsch
und rus­sisch. Da passiert das ein­fach spon­tan. Die läng­ste Zeit in meinem
Leben habe ich bish­er schließlich in Rus­s­land ver­bracht» , sagt Lilia. 

Ihre neuen Namen haben die Jungs erhal­ten, «weil die rus­sis­chen hier einfach
schw­er auszus­prechen sind» . Dass auch Lil­ia Wolf ihren Vor­na­men ändern
musste, lag dage­gen an der deutschen Bürokratie. Ihre Geburt­surkunde lautet
näm­lich auf «Lil­i­ja» . Einen solchen Vor­na­men mit «j» , so befan­den die
Behör­den, gebe es in Deutsch­land nicht. Also wurde die Lil­i­ja zur Lilia. 

Andere, größere Schwierigkeiten

Gemessen an manch anderem Neuen war das für sie eher von geringer Bedeutung.
Viele Schwierigkeit­en, die Aussiedler nach ihrer Ankun­ft in dem vom
Hören­sagen «gelobten Land» haben, hat­ten auch die Wolfs: den schwierigen,
unge­wohn­ten Umgang mit Behör­den, das Suchen nach dem neuen Zuhause, nach
ein­er Arbeit, das Auskom­men mit dem Über­brück­ungs­geld, das zunächst viel
erschien im Ver­gle­ich zu dem, was sie im west­si­birischen Omsk hat­ten und das
im All­t­ag in Deutsch­land dann gar nicht mehr so viel war. 

Einen Nachteil hat­te Lil­ia Wolf, auch im Ver­gle­ich zu ihrem Mann Valerie,
allerd­ings nicht: Die man­gel­hafte Beherrschung der deutschen Sprache. «Das
Schick­sal hat mir und meinen bei­den Geschwis­tern ein großes Geschenk
gemacht» , sagt sie und blickt zurück: Bei­de Großväter und Großmüt­ter haben
den Krieg über­lebt. Das gab es kaum in ein­er anderen Fam­i­lie in Russland.
Die Großel­tern haben nur deutsch gesprochen. Sie hat­ten Büch­er, Zeitungen,
die Bibel in ihrer Sprache. “Wir haben gemein­sam deutsche Lieder gesungen
und den Märchen unser­er Großmüt­ter gelauscht. So sind auch meine Kinder
aufgewach­sen”, erzählt die zier­liche, schwarzhaarige Frau. 

Kinder reden heute akzentfrei

Kein Wun­der, dass Wern­er, Wal­ter und Valerie sich heute akzent­frei mit ihren
Forster Mitschülern auf dem Gym­na­si­um, mit Fre­undin­nen und Fre­un­den im
Tanzs­portk­lub «Rose» in Forst oder in der Musikschule unter­hal­ten können.
Denn die Wolfs wohnen nicht nur seit Feb­ru­ar 1995 in der Rosen­stadt, sondern
sie sind auch angekom­men in der neuen Gesellschaft. Vor allem, weil sie ihr
neues Leben selb­st in die Hand genom­men haben. 

Vor gut fünf Jahren haben sie mit Gle­ich­gesin­nten den Tanzs­portk­lub «Rose»
Forst e. V. gegrün­det. Lil­ia ist die Vor­sitzende, Valerie Senior der
Sport­wart. Wern­er, der Älteste, tanzt inzwis­chen in der Son­derk­lasse im
Turnier­tanzs­port, Wal­ter und Valerie gehören in ihren Alter­sklassen zur
tänz­erischen Elite der Bun­desre­pub­lik. Die Klavier spie­len­den Söhne haben
zudem zweimal am Lan­deswet­tbe­werb «Jugend musiziert» teilgenom­men. Lil­ia und
Valerie geben Tanz­train­ing für Klub­mit­glieder in Forst, Guben, Grabko, Peitz
und Cot­tbus, ver­di­enen sich damit ihren Leben­sun­ter­halt. Reich wer­den sie
dabei nicht. «Wir leben beschei­den, unser Kon­to ste­ht immer auf Null» , gibt
Lil­ia zu und räumt ein: «Wir kön­nten von Sozial­hil­fe zwar nicht bess­er, aber
ruhiger leben.» 

Bei­des aber wollen die Wolfs nicht. Sie sind, wie viele andere Aussiedler
auch, nach Deutsch­land gekom­men, weil «die Kinder eine gute Bil­dung und eine
vernün­ftige Per­spek­tive» haben soll­ten, sagt Lil­ia Wolf, die von Beruf
Lehrerin ist. Diese Chan­cen hat­ten sie in Sibirien nicht, weil das Geld
dafür fehlte. Drei Kinder, drei Kof­fer und 500 Mark waren ihr ganzes Hab und
Gut beim Grenzübertritt. 

Die Wolfs hat­ten keine großen Ansprüche. Nur tanzen, dieser Leidenschaft
nachge­hen, wollte die Fam­i­lie weit­er. «Im Heim in Peitz hat man uns gesagt:
Darum müsst ihr euch selb­st küm­mern.» Sie tat­en es. Als sie nach
Zwis­chen­sta­tio­nen in den zen­tralen und bran­den­bur­gis­chen Auf­nahmestellen für
Aussiedler in Fried­land und Peitz ins Aussiedler­heim nach Bries­nig bei Forst
kamen, liefen Vor­bere­itun­gen für die Niko­laus­feier. Wolfs, die schon in Omsk
im Kul­tur­palast pro­fes­sionell und aus Hob­by getanzt hat­ten, führten spontan
ein kleines Pro­gramm auf. Die RUNDSCHAU berichtete damals. Der Leit­er der
Forster Musikschule las davon. Lil­ia und Valerie Wolf wur­den freiberufliche
Lehrer. Heute leben und arbeit­en sie für den Tanzvere­in, in dem Aussiedler
und Ein­heimis­che, vor allem Kinder und Jugendliche, Hob­by und Leistungssport
nachgehen. 

Emp­fang beim Bundespräsidenten

«Inte­gra­tion durch Sport» , von ein­er Aussiedler­fam­i­lie vor­ange­bracht, da
wird die Poli­tik aufmerk­sam. Bran­den­burgs Min­is­ter­präsi­dent Matthias
Platzeck lud Lil­ia Wolf als Anerken­nung für ihre Arbeit ein, auch
Bun­de­spräsi­dent Johannes Rau bat sie zum tra­di­tionellen Neu­jahrsemp­fang für
ver­di­en­stvolle Bürger. 

Anerken­nung, die auch durch Neid und Ärg­er begleit­et ist. Da gebe es
Vor­würfe, nur die Aussiedlerkinder zu fördern und die heimis­chen Kinder zu
diskri­m­inieren, nen­nt die Tanz­trainer­in als Beispiel. «Die Stelle des
Jugend­warts im Vere­in, die bis vor kurzem unbe­set­zt war, wollte von den
Kri­tik­ern aber kein­er ein­nehmen» , hält sie dagegen. 

Lil­ia Wolf kann unbe­quem sein und hart­näck­ig. Sie hil­ft im All­t­ag, der für
Neuankömm­linge aus Rus­s­land unge­wohnt, manch­mal kom­pliziert ist bei den
vie­len Para­grafen, die das Leben in Deutsch­land regeln, und bei
Behör­dengän­gen, die notwendig sind bei einem Neuan­fang in einem noch fremden
Heimatland. 

Sprache jahrzehn­te­lang unterdrückt

Fam­i­lie Wolf aus Forst hat­te neben eigen­er Courage sich­er auch Glück. «Ich
habe nie gedacht, dass wir mit unser­er kün­st­lerischen Arbeit in Deutschland
was machen kön­nen» , gibt Lil­ia Wolf zu. Prob­leme bei der Inte­gra­tion haben
aus ihrer Sicht viele Ursachen. Das sind die Vor­be­halte der Deutschen gegen
«die Russen» , die noch nicht ein­mal richtig deutsch sprechen könnten.
«Kein­er denkt daran, dass die Sprache jahrzehn­te­lang unter­drückt wurde, nur
noch ein paar Worte übrig geblieben sind» , sagt sie. Die Frau mit dem
asi­atis­chen Teint kann in solchen Fällen nur schw­er ruhig bleiben. 

Sie sieht aber auch viele Ursachen im Ver­hal­ten der Aussiedler selb­st. «Die
Leute erwarten zu viel und bekom­men in Heimen wie in der Guben­er Straße in
Forst dann erst ein­mal einen Schock. Sie bleiben pas­siv, haben keine Arbeit,
warten nur ab. Jugendliche kom­men in Schwierigkeit­en und wer­den kriminell,
weil die Eltern Diszi­plin, Ord­nung und Pflicht­en nicht durch­set­zen.» Und, so
fügt die Forsterin hinzu: «Sie haben keine Hoff­nung, dass sie etwas
erre­ichen können.» 

Lil­ia Wolf, die ja eigentlich Lil­i­ja heißt, und ihre Fam­i­lie wollen ein
Stück Zuver­sicht ver­mit­teln — durch die «Inte­gra­tion durch Sport» , durch
ihre tägliche Hil­fe. Damit Spä­taussiedler wie sie möglichst schnell ihr
Zuhause find­en im Land ihrer Groß- und Urgroßel­tern, das ihre neue Heimat
wer­den soll.

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