An Rolf Wischnath kam man nicht vorbei. Für die einen war der Cottbuser
Generalsuperintendent eine moralische Instanz, weil er sich in
gesellschaftliche Debatten einmischte. Für andere war er, gerade weil er
sich nicht auf die Theologie beschränkte, eine Reizfigur. Jetzt verlässt er
die Lausitz. Eine schwere Krankheit zwingt den 56-Jährigen in den
vorläufigen Ruhestand. Morgen wird er in der Cottbuser Oberkirche offiziell
verabschiedet.
«Ich gehe hier ausgesprochen un gern weg» , sagt Rolf Wischnath und sein
Blick wandert aus dem Fenster des Wintergartens hinaus in die
Frühjahrssonne. Noch ein paar Wochen, dann kommt der Möbelwagen für den
Umzug der Familie nach Gütersloh. Zu vielen Menschen hier in der Region habe
er inzwischen eine so große Nähe entwickelt. «So viele persönliche
Abschiede, die eigentlich notwendig wären, kann man gar nicht aushalten» ,
sagt er.
Acht Jahre lang stand Rolf Wischnath als Generalsuperintendent an der Spitze
des Kirchensprengels Cottbus. Der reicht von Senftenberg über den Spreewald
bis nach Zossen bei Berlin und bis zum Oderbruch. Im Februar 2003 warf ihn
eine schwere psychische Erkrankung völlig aus der Bahn. Seit dem ist er
nicht arbeitsfähig und weil er nicht weiß, ob und wann er einer beruflichen
Belastung wieder standhält, geht er jetzt in den einstweiligen Ruhestand.
Rolf Wischnath hat die Öffentlichkeit nie gescheut. Dass sich der Ausbruch
seiner Krankheit auch unter den Augen der Öffentlichkeit abspielte, war ein
tragischer Zufall. Ein Streit zwischen ihm und der Kirchenleitung
Berlin-Brandenburg über den Umgang der Kirche mit einem vermeintlichen
Stasi-Verdacht gegen den aus Westfalen stammenden Geistlichen, führte zum
Ausbruch seiner Erkrankung. «Ein anderes Ereignis hätte das auch auslösen
können» , sagt Wischnath heute rückblickend.
Zwei Monate nach dem öffentlichen Streit legte der Präses der Synode der
Evangelischen Kirche Deutschland, Jürgen Schmude, einen Bericht vor, wonach
der Verdacht gegen Wischnath ebenso unbegründet gewesen sei, wie dessen
Vorwürfe gegen die Kirchenleitung. Wischnath bedauerte sein Verhalten, das
von seiner psychischen Erkrankung geprägt worden war. In zwei Punkten hält
der Theologe jedoch noch heute an seiner Auffassung fest. Die Kirchenleitung
hätte ihn, als der Verdacht aufkam, gleich einweihen müssen und hätte sich
keinen Rat beim Verfassungsschutz holen dürfen. Für die Kirche müssten
Kontakte zum Geheimdienst, egal zu welchem, generell tabu sein.
Nach Theologiestudium und kirchlicher Arbeit in Nordrhein-Westfalen war
Wischnath 1990 Pfarrer in Berlin geworden. Fünf Jahre später kam er nach
Cottbus. «Spannend und anstrengend» sei die Zeit in der Lausitz gewesen,
sagt er. Weil den Menschen schwere Veränderungen bei der Gestaltung der
deutschen Einheit zugemutet wurden, es aber spannend war, diese Einheit
mitzugestalten. Beeindruckt haben ihn auch die ostdeutschen
Lebensgeschichten, mit denen er konfrontiert wurde. «Das hat mein Bild von
der DDR rigoros verändert» , sagt Wischnath. Früher habe er geglaubt, die
DDR sei reformierbar gewesen. Erst in der Lausitz habe er gelernt, wie
marode und wie menschenverachtend sie gewesen sei. Einem traditionellen
Linken wie Wischnath muss das schwer gefallen sein. Bis November 2001 war er
SPD-Mitglied, als junger Mann Mitglied im Sozialistischen Hochschulbund und
in der kirchlichen Friedensbewegung. In diesem Zusammenhang war er öfter in
die DDR gereist.
«Mein Leben hier in der Lausitz hat insgesamt eine Dichte gehabt, das hätte
ich im Westen nie gehabt» , sagt Rolf Wischnath, der diese Dichte auch
dadurch erzeugte, dass er sich einmischte. Dabei, so versichert er, habe er
sich fast immer von den Gemeinden in seinem Kirchensprengel unterstützt
gefühlt. Eine Ausnahme vielleicht sein über Essays im Magazin “Spiegel”
ausgetragener Disput mit dem damaligen Berliner Innensenator und jetzigen
Brandenburger Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Das Thema damals: die
Abschiebung von Asylbewerbern. Wischnath hatte infrage gestellt, ob
Schönbohm ob seiner Ausländerpolitik noch zum Abendmahl zugelassen werden
dürfte. Bei einem kurz darauf stattgefundenen Gespräch in Cottbus, so
versichern heute beide, habe sich persönlicher Respekt vor einander
entwickelt. Das hielt Wischnath nicht davon ab, auch in den folgenden Jahren
immer wieder mit Schönbohm kontrovers über Kirchenasyl, Abschiebung und
andere Fragen des Umgangs mit Flüchtlingen zu d iskutieren. «Ich rechne ihm
hoch an, dass er kürzlich gesagt hat, wir seien oft anderer Meinung, aber
eines Glaubens» , fasst Wischnath ihr Verhältnis zusammen.
Auch über die Zielrichtung und die Aufgaben des brandenburgischen
Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit,
dessen Vorsitzender Wischnath seit 2000 war, stritt er mit Schönbohm. Im
Nachhinein, so der Kirchenmann, frage er sich, ob es richtig war, so viel
Mühe und Zeit darin zu investieren: «Ich bin skeptisch, ob wir damit
wirklich eine Bewusstseinsänderung erreicht haben oder ob nicht Schönbohm
recht hatte, der sagte, dass hier das Schwert des Rechtsstaates geschwungen
werden müsse.»
Schönbohm dagegen sagt, dass Wischnath immer wieder die Bedeutung der
Zivilgesellschaft betont und dadurch das Aktionsbündnis entscheidend
vorangebracht habe. «Er ist ein überzeugter und überzeugender Gottesmann, er
war belebend für Brandenburg» , so Schönbohm. Er bedauere sehr, dass
Wischnath aus Krankheitsgründen ausscheiden müsse.
Zur Wehmut, die sich für Wischnath in den Wegzug aus der Lausitz mischt,
trägt der Abschied vom Cottbuser Theater bei. Speziell das Musiktheater sei
für ihn immer ein Ort der Freude und Entspannung gewesen. In Gütersloh, dem
Geburtsort des Geistlichen, wird er mit seiner Familie in sein Elternhaus
ziehen. Dort dauerhaft untätig zu sein, kann er sich nicht vorstellen: «Ich
hoffe, dass ich in irgendeiner Form noch mal ein kirchliches Amt bekommen
kann, wenn mein Gesundheitszustand das zulässt.»
Den Lausitzern wünscht Wischnath, dass es mit und nach der EU-Osterweiterung
einen wirtschaftlichen Aufschwung in der Region geben möge.