Elf Jahre lang war Uta Leichsenring die engagierte Polizeipräsidentin
von Eberswalde — bis sie von Innenminister Schönbohm (CDU) abgesägt
wurde. Nun tritt sie für die Grünen im Landtagswahlkampf an — auch wenn
sie persönlich keine Chance hat
(TAZ, Juliane Gringer) Uta Leichsenring ist zurück. Die Bürger von Eberswalde können sie auf
Plakaten an den Straßen sehen und im Hof einer Kneipe treffen, wo sie an
diesem Tag erklärt, wieso Brandenburg “Grün” braucht. Leichsenring tritt
für Bündnis 90/Die Grünen als Eberswalder Direktkandidatin zur
Landtagswahl an. In Eberswalde, wo sie sich als Polizeipräsidenten elf
Jahre lang engagiert gegen Rechtsradikalismus einsetzte. Bis
Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sie absägte. Heute kämpft sie hier
wieder — um Wähler.
Die 54-Jährige wirkt zurückhaltend, vor allem neben der selbstbewussten
Renate Künast. Die Verbraucherschutzministerin ist zum Wahlkampf nach
Eberswalde gereist und diskutiert mit fast polternder Stimme ins Mikro.
Leichsenring spricht ruhiger, lässt sich nicht unterbrechen, begründet
und erklärt ihre Ansichten. Dabei schaut sie die ganze Zeit über ins Weite.
Uta Leichsenring hat immer noch viel vor — auch wenn sie das kaum als
Landtagsabgeordnete durchsetzen wird. Auf dem Potsdamer Parteitag Anfang
April hatte sie keinen Platz auf der Landesliste bekommen, und Grüne
Direktkandidaten haben kaum eine Chance. Das ist Leichsenring bewusst.
“Aber ich möchte einfach, dass es Bündnis 90/Die Grünen in den Landtag
schaffen”, erklärt sie. “Denn Brandenburg braucht diese
unterschiedlichen Stimmen. Und wenn ich antrete, dann zeige ich auch
vollen Einsatz.” Sie habe die Partei schon immer unterstützt, auch wenn
sie selbst bis heute parteilos ist. Zudem ist es für sie ein Schritt
zurück in die öffentlichkeit: “Es ist natürlich auch ein schönes Gefühl,
zu sehen, dass mich die Menschen in Eberswalde nicht vergessen haben”.
Dort hatte sie sich als Polizeipräsidentin in offenen Briefen an
Erstwähler gewandt oder die Bevölkerung zu mehr Zivilcourage aufgerufen:
“Schütteln Sie die Angst ab!” Nach Überfällen auf Jugendliche in
Brandenburg bot sie Schülergruppen, die ins Bundesland reisten, erhöhten
Polizeischutz an. Sie lief bei Demos mit und suchte immer das Gespräch
mit den Bürgern. Die Prävention von Straftaten war eines ihrer
wichtigsten Programmpunkte. Genauso scheute sie sich nicht davor, bei
Vorwürfen gegen Beamte konsequent zu handeln. Als 1994 zehn Polizisten
auf der Bernauer Wache Vietnamesen misshandelt und gedemütigt haben
sollten, ließ sie sie trotz internen Drucks suspendieren.
Auch als Frau in einem so hohen Amt erfuhr sie viel Lob. Die Medien
geizten nicht mit Attributen, die man gemeinhin vor allem erfolgreichen
männlichen Kollegen zuschreibt. Zäh sei sie, die kleine Person.
Beharrlich, engagiert, mutig. Resolut und unnachgiebig. Gewürdigt wurde
ihre Arbeit mit mehreren Auszeichnungen, unter anderem 2001 mit dem
Preis “für das unerschrockene Wort”.
Andererseits heißt es, sie habe als Polizeipräsidentin ihre Position
überschätzt, Autoritäten nicht akzeptiert. Sie habe nicht begriffen,
dass sie in einer Hierarchie stand, die es zu respektieren gilt. “Das
ist Unsinn”, sagt sie. “Eine Hierarchie muss es geben, deswegen
akzeptiere ich sie. Und schließlich verbietet sie keine
unterschiedlichen Meinungen, sondern bedeutet für mich, dass diskutiert
wird.” Dass das als aufmüpfig empfunden wurde, damit könne sie leben.
Auch persönliche Rechthaberei wird ihr vorgeworfen. “Getroffene
Entscheidungen habe ich immer respektiert, bin sehr loyal”, sagt
Leichsenring und verweist auf ihr Gerechtigkeitsempfinden, das für sie
immer Antrieb gewesen ist, sich zu engagieren. Dieses
Gerechtigkeitsempfinden bescheinigte ihr schon einst die Klassenlehrerin
früher im Schulzeugnis. “Ich fühle das heute noch so ähnlich wie damals,
wie ein empörtes Kind”, beschreibt sie lächelnd. Ehrlichkeit sei
außerdem ihr oberstes Gebot, fügt sie an. “Die Leute vertragen das.”
Im Brandenburger Innenministerium vertrug man ihre Art offenbar nicht.
Seit 1999 wird es von Jörg Schönbohm (CDU) geleitet. Der will zwar bis
heute nichts von persönlichen Differenzen mit Leichsenring wissen. Doch
der Zwist der beiden war stets ein offenes Geheimnis. Mehrmals ging ihr
Name mit negativen Schlagzeilen durch die Boulevardpresse. “Es sind
gezielt Kampagnen gegen mich inszeniert worden”, ist Leichsenring überzeugt.
Der Innenminister reformierte Anfang 2001 die Landespolizei, von sechs
Präsidien blieben zwei — in Potsdam und Frankfurt (Oder). Für deren
Präsidentenstellen hatte er Leichsenring nicht auf der Liste. Sie bekam
den Posten der Landesbeauftragten für das Handlungskonzept “Tolerantes
Brandenburg” zugeteilt.
“Das war ein Alibi-Job ohne Funktion und Kompetenzen, die Hülle für eine
Verwaltungstätigkeit”, beklagte sie im Nachhinein. “Das konnte ich
vorher nicht absehen, hatte zwar ein ungutes Gefühl, aber gehofft, dass
sich Unstimmigkeiten regeln ließen. Heute ärgere ich mich, dass ich mich
darauf eingelassen habe.”
Nach wenigen Wochen meldete sie sich krank und kam nicht wieder zurück,
bis sie ein halbes Jahr später kündigte. “Ich hatte Bluthochdruck, aber
habe das lange vor mir hergeschoben”, erklärt sie die lange Pause. “In
dieser Situation schlugen die gesundheitlichen Probleme dann erst
richtig zu.” Doch dieser Abgang aus der öffentlichkeit will nach wie vor
nicht zu ihr passen.
“Das Thema des Konzepts, der Einsatz gegen Fremdenfeindlichkeit,
Rechtsextremismus und Gewalt, war mir wichtig”, sagt sie. Das Gefühl,
dort nichts bewegen zu können, sei ihr zuwider gewesen. “Und dass gerade
das Innenministerium vorschlug, mich dort einzusetzen, ist bezeichnend.
Nach mir wurde der Posten auch sofort eingestampft.”
Dennoch hält sie sich zurück, wenn man sie auf das Thema Schönbohm
anspricht. Sie trage nichts nach, sagt sie. Auf Anfeindungen ebenfalls
mit bösen Worten zu reagieren, sei nicht ihre Art. “Das kann ich einfach
nicht. Ich habe nie zurückgeschlagen”, meint sie.
Ihr Leben ist seither das Leben “nach dem Amt” geworden. In den
vergangenen zwei Jahren war es ruhig um die gebürtige Potsdamerin. Sie
setzte ihre Engagements in mehreren Stiftungen und Vereinen nahtlos
fort. Doch das genügt ihr nicht. Die studierte ökonomin sucht nun auch
wieder nach einer neuen beruflichen Basis. Die ehrenamtlichen Aufgaben
wie ihr Vorsitz beim Brandenburgischen Verein für Weltoffenheit und
Menschenwürde können nicht Lebensgrundlage sein. Leichsenring sucht
einen neuen “Wirkungskreis”. “Die gesellschaftlichen und sozialen
Probleme verschärfen sich doch immer mehr”, meint sie. “Gerade deshalb
muss man auf kommunaler Ebene ansetzen. Jeder soll sich beteiligen.”
Den Antritt bei einem aussichtslos scheinenden Wahlkampf, den Rückzug
aus einem Amt, das ihr ihrer Ansicht nach zu wenig Stimme gab — Uta
Leichsenring erklärt diese Entscheidungen in ihrem Leben auch mit ihrer
DDR-Vergangenheit, in der sie als Bürgerrechtlerin aktiv war.
“Jahrzehntelang gab es für mich wenig Möglichkeiten, mich zu
engagieren”, sagt sie. “Ich habe es als Befreiung empfunden, das nun zu
dürfen. Ich kann es aussprechen, wenn ich etwas zu sagen habe.”
Im Landtag könnte sie wieder Jörg Schönbohm ansprechen. Doch sie will
nicht ins Parlament, um dort persönlichen Groll abzuladen. “Man muss
immer wieder auf einer sachlichen Ebene zusammenfinden, egal was
passiert ist”, erklärt Leichsenring. Ohne Kompromissfähigkeit könne man
schließlich keine Politik machen — nicht mal in einem aussichtslosen
Wahlkampf.