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Anti-Antifa entdeckt das Internet

Screen­shot der Pots­damer Anti-Antifa-Seite

(Vor­ab-Artikel aus dem Antifa Infoblatt 62) Auf der Inter­net­seite der „Anti-Antifa — Sek­tion Pots­dam“ wer­den neben Adressen von alter­na­tiv­en Pro­jek­ten auch Namen und Fotos von Men­schen veröf­fentlicht, die sich in der Ver­gan­gen­heit mit der Naziszene in Pots­dam kri­tisch auseinan­derge­set­zt haben. Diese neue Zus­pitzung der Ereignisse ist nur ein­er von vie­len Fak­ten, die Indizien dafür sind, dass sich die Lan­deshaupt­stadt Pots­dam in den let­zten Jahren zum Kristalli­sa­tion­spunkt rechter Gewalt entwick­elt hat. So gab es im let­zten Jahr über 15 doku­men­tierte Über­griffe gegen Per­so­n­en aus dem alter­na­tiv­en Spek­trum. Die Täter scheinen dabei immer wieder aus dem­sel­ben Per­so­n­enkreis zu stam­men. Es han­delt sich um eine ca. 30 Per­so­n­en umfassende Neon­az­itruppe, aus denen sich auch die „Anti-Antifa Pots­dam“ rekru­tiert und gute Kon­tak­te zu anderen Nazi­grup­pen in der Region unterhält. 

Wir die anti-antifa ver­ste­hen uns nicht als feste Organisation.Vielmehr sind wir unab­hängige Kam­er­aden die es sich zur Auf­gabe gemacht haben region­al ent­ge­gen der antifa zu arbeit­en. Das sieht im einzel­nen wie fol­gt aus: ‑erfas­sung von Dat­en jeglich­er Art“ (Rechtschrei­bung im Orig­i­nal). So liest sich der Wilkom­men­sh­in­weis auf der Inter­net­seite des „Anti-Antifa Net­works – Sek­tion Pots­dam“. Auf dieser sich noch im Auf­bau befind­lichen Seite find­en sich die Adressen von mehreren alter­na­tiv­en Pro­jek­ten und auch eine Rubrik für beset­zte Häuser ist geplant. Weit­er­hin ist der Auf­bau eines Per­so­n­enin­dex­es vorge­se­hen und teil­weise schon umge­set­zt. So find­en sich hier bere­its der Name eines Jour­nal­is­ten des Berlin­er Tagesspiegels und der Name, zusam­men mit zwei Fotos, ein­er Mitar­bei­t­erin des Vere­ins „Opfer­per­spek­tive“. Bei­de Per­so­n­en haben sich im Zuge eines Gericht­sprozess­es gegen ein bekan­ntes Mit­glied der Pots­damer Naziszene inten­siv mit dieser auseinan­derge­set­zt. Auch die Sicher­heits­be­hör­den scheinen die Bedro­hung, die von der Pots­damer Naziszene aus­ge­ht dur­chaus ernst zu nehmen. So wurde der Mitar­bei­t­erin von „Opfer­per­spek­tive“ nach Stellen eines Strafantrages sofort Per­so­n­en­schutz durch das LKA Berlin ange­boten. Indes scheinen sich Polizei und Staat­san­waltschaft nicht sich­er zu sein, wer der Betreiber dieser Seite ist, da sie auch zwei Tage nach Ein­gang der Anzeige immer noch im Netz stand. 

Struk­turen offen legen

Oliv­er Kalies (links), Melanie Witassek (rechts)

Dem Antifaschis­tis­chen Infoblatt (AIB) anonym zuge­spieltes Mate­r­i­al beweist jedoch, dass hin­ter der Inter­net­präsenz der gle­iche Per­so­n­enkreis ste­ht, der auch für einen Großteil der Über­griffe gegen nicht rechte Jugendliche in Pots­dam ver­ant­wortlich ist. Ent­wor­fen hat die Seite der 20 Jährige Oliv­er Kalies aus Pots­dam. Kalies ist für die Zusam­men­stel­lung der Adressliste und den Entwurf der Ein­leitung­s­texte zuständig gewe­sen. Er sel­ber rech­net sich dem Spek­trum der freien Kam­er­ad­schaften zu und ist regelmäßiger Besuch­er von Nazi­aufmärschen in ganz Deutsch­land. In ein­er von ihm sel­ber aufgestell­ten Sta­tis­tik find­en sich alleine 23 Aufmärsche aus den let­zten 2 Jahren, auf denen die Pots­damer Struk­tur anzutr­e­f­fen war. Auf diesen Aufmärschen wur­den auch Fotos von Gegen­demon­stran­tInnen geschossen, die sich am Rande der Demon­stra­tion befan­den. Dass diese Fotos auch auf der Home­page veröf­fentlicht wer­den soll­ten, ist anzunehmen. Für das Schießen von Fotos scheinen haupt­säch­lich der Berlin­er Nazi Dan­ny Leszin­s­ki (24) und die Pots­damerin Melanie Witassek (19) ver­ant­wortlich zu sein. Doch nicht nur Linke und deren Pro­jek­te ste­hen im Visi­er der „Anti-Antifa“, was von Leszin­s­ki gemachte Fotos zeigen, die dem AIB vor­liegen. Diese zeigen gut erkennbar mehrere Mit­glieder der Berlin­er Polizeiein­heit PMS (Poli­tisch motivierte Straßenge­walt), die sich unter anderem mit rechts motiviert­er Gewalt beschäftigt. 

Dass dieses Foto- und Adressen­sam­meln nicht, wie auf der Home­page behauptet, rein doku­men­tarischen Zweck­en dient, zeigt der Angriff gegen das alter­na­tive Pro­jekt Chamäleon zu Sylvester 2002. Hier­bei wur­den das Haus und BesucherIn­nen ein­er Sylvester­par­ty von mehreren Neon­azis über­fall­en, die in der nahegele­ge­nen Guten­bergstraße eben­falls eine Sylvester­par­ty feierten. Es wur­den hier­bei alle Fen­ster des Untergeschoss­es einge­wor­fen und das Haus mit Sig­nal­mu­ni­tion beschossen, dabei wur­den Nazi­parolen skandiert und Hit­ler­grüße gezeigt. Unter den ca. 50 feiern­den Neon­azis waren laut Zeu­ge­naus­sagen neben dem Gast­ge­ber Mike Marten (genan­nt Impi) auch Leszin­s­ki, Witassek und Kalies anwe­send. Das Chamäleon ste­ht auf dem Entwurf für die „Anti-Antifa“ Home­page auf ein­er Adressliste ganz oben und ist bere­its durchgestrichen. In dem Entwurf zu der Home­page befind­et sich auch schon eine Liste von beset­zten Häusern (oder zumin­d­est das, was die Nazis dafür hal­ten) in Pots­dam, die aber bish­er noch nicht ihren Weg ins Inter­net gefun­den hat. 

Drei Monate später kam es zu einem erneuten Über­griff in Pots­dam. Am 23.03.03 über­fie­len die Neon­azis Enri­co Paul, Heiko Groch, Jens Franke und Jeanette Hoff­mann einen 16 Jähri­gen Jugendlichen, der der alter­na­tiv­en Szene Pots­dam ange­hört. Sie schlu­gen ihn am Bahn­hof Rehbrücke mit einem Teleskop­schlag­stock auf den Kopf und ver­sucht­en eine Zigarette in seinem Gesicht auszu­drück­en. Als das Opfer die Angreiferin Jeanette Hoff­mann als ehe­ma­lige Klassenkam­eradin iden­ti­fizierte und sie bat aufzuhören, ließen sie von ihm ab und war­fen ihn stark blu­tend auf die Gleise. Dabei ist es dem Zufall zu ver­danken, dass nicht weitaus Schlim­meres passierte, da der hier ank­om­mende Zug eine halbe Stunde Ver­spä­tung hat­te. Groch, der mit­tler­weile wegen dieser Tat zu 6 Jahren Frei­heitsstrafe verurteilt wurde, gab als Tat­mo­tiv „Hass gegen Linke“ an. Dabei ist es kein bloßer Zufall, dass es aus­gerech­net den 16 Jähri­gen traf. Er wohnt im gle­ichen Dorf wie Groch und war diesem bestens als Anhänger der alter­na­tiv­en Szene bekan­nt. Kurz nach der Tat traf Groch sein Opfer in ein­er Kneipe und ver­suchte ihn zu ein­er die Nazis ent­las­ten­den Falschaus­sage zu bewe­gen. Auch zwis­chen Tat­beteiligten dieses Über­falls und den schon aufgezeigten Struk­turen der „Anti-Antifa Pots­dam“ beste­hen enge Verbindun­gen. So bewohnen Enri­co Paul und Dan­ni Leszin­sky eine gemein­same Woh­nung in Berlin und Jens Franke lässt sich beim Auf­marsch in Halbe gemein­sam mit Witassek und anderen Nazis dieser Struk­tur auf einem Grup­pen­fo­to verewigen. Oliv­er Kalies plante laut eige­nen Angaben mehrere Gefäng­nis­be­suche für Heiko Groch. Mit­nehmen wollte er Enri­co Paul und Melanie Witassek. 

Szeneüber­greifende Kontakte

Foto aus dem Besitz von Oliv­er Kalies

Gute Kon­tak­te scheinen auch zu anderen Nazi­grup­pen zu beste­hen. Die erst Anfang Jan­u­ar 2003 ent­wor­fene Home­page der Pots­damer wurde bere­its im März um den Punkt „Anti-Antifa Net­works“ erweit­ert. Unter diesem Ein­trag sollen Links zu Anti-Antifa Grup­pen in Ham­burg, Bay­ern und Sach­sen bere­it­gestellt wer­den. In dieser Liste wird die eigene Gruppe auch nicht mehr als „Anti-Antifa Pots­dam“ aufge­führt, son­dern voll­mundig als „Anti-Antifa Berlin/Brandenburg“. Waren die Neon­azis am ersten Ver­hand­lungstag gegen Heiko Groch deut­lich unter­repräsen­tiert und mussten sich auf das Fotografieren von Ange­höri­gen der zahlre­ich erschienen Pots­damer Alter­na­tivszene beg­nü­gen, mobil­isierten sie zum zweit­en Ver­hand­lungstag neben mehreren Anhängern der lokalen Naziszene auch Neon­azis von außer­halb Potsdams. 

Verbindun­gen beste­hen aber auch in andere Szenen. So arbeite
ten sowohl Heiko Groch als auch Mike Marten als Tätowier­er in Pots­dam und zumin­d­est Marten fühlt sich laut Zeu­ge­naus­sagen eher der Rock­er­szene als der Kam­er­ad­schaftsszene zuge­hörig, was ihn freilich nicht daran hin­dert ein abso­lut recht­sex­tremes Welt­bild zu vertreten und für Dan­ny Leszin­s­ki vor ein­er Hak­enkreuz­fahne zu posieren. Min­destens Melanie Witassek unter­hält auch Verbindun­gen in das Spek­trum des ver­bote­nen Musiknet­zw­erks „Blood & Hon­our“. So wird sie namentlich in einem Book­let der Band Blood­shed gegrüßt und ist dort auch auf einem Por­trait­fo­to abge­bildet. Blood­shed ist das Nach­fol­ge­pro­jekt der Band Prois­senheads, die eng mit den Blood & Hon­our Net­zw­erk ver­woben war. Auch im Entwurf zur Home­page von Oliv­er Kalies find­en sich diverse Devo­tion­alien von Blood & Hon­our, unter anderem ein Foto auf dem ein Gewehr in Rich­tung des Betra­chters zielt. In den Skizzen zum Home­pageen­twurf taucht auch mehrfach das Kürzel C18 (Com­bat 18) auf. Dabei scheinen sich die Pots­damer Aktivis­ten zu diesem Label eher sel­ber dazuzurech­nen, als dass ern­sthafte Kon­tak­te beste­hen dürften. 

Die Pots­damer Gruppe beste­ht sich­er zum Großteil nicht aus geschul­ten Recht­sex­trem­is­ten, die Mit­glieder oder gar Kad­er irgendwelch­er Organ­i­sa­tio­nen oder Parteien sind. Den­noch, oder ger­ade deshalb geht von ihnen eine nicht zu unter­schätzende Gefahr für ander­s­denk­ende Men­schen aus. Sie haben es immer­hin über Jahre hin­weg geschafft sich ein beachtlich­es „Gewalt­monopol“ in Pots­dam und Umge­bung zu schaf­fen, das lange Zeit wed­er durch staatliche Repres­sion noch durch antifaschis­tis­che Inter­ven­tion zu Spren­gen war. Ihr äußerst bru­tales Vorge­hen und das bewusste Inkaufnehmen von Haft­strafen lassen auf eine Art „All­machts­ge­fühl“ bei den Nazis schließen. Sie scheinen in großen Teilen den Bezug zur Real­ität ver­loren zu haben und lassen sich vol­lends von ihrem durch Ras­sis­mus und Frem­den­hass geprägten Welt­bild leit­en. Dieses ist eine Ten­denz, die in der mil­i­tan­ten Naziszene in let­zter Zeit häu­figer zu beobacht­en ist. Trotz dem abso­lut dilet­tan­tis­chen Vorge­hen der Gruppe haben sie es fer­tig bekom­men mehr oder weniger unbe­hel­ligt ein Net­zw­erk aufzubauen und eine Struk­tur zu schaf­fen, welche von außen nur schw­er zu Überblick­en und zu bekämpfen war. Grund zur Hoff­nung gibt aber der rel­a­tiv große Anteil von Pots­damer Jugendlichen, die nicht mehr länger bere­it scheinen diesem Treiben noch taten­los zuzuse­hen. So bleibt zu hof­fen, dass aus dem ein­drucksvollen Sol­i­dar­itäts­be­weis beim Prozess gegen Groch, es wur­den alle Stüh­le im großen Gerichtssaal beset­zt, so dass die anwe­senden Nazis keinen Platz mehr gefun­den haben, eine Kon­ti­nu­ität von kon­se­quenter Antifaar­beit erwach­sen kann.

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