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Klima & Umwelt

Antiatomkraftkundgebung in Rathenow

 

Der Impuls von Fukushima

Als am 11. März 2011 im japanis­chen Kernkraftwerk Fukushi­ma infolge eines Erd­bebens bzw. eines daraus ent­stande­nen Tsunamis die Stromver­sorgung aus­fiel, damit die Küh­lung der Reak­tor­blöcke ver­sagte und durch die anschließende Über­hitzung mehrere Explo­sio­nen die Kraftwerkss­chutzhüllen zer­störten, höchst­wahrschein­lich die Kern­schmelze einge­set­zt hat­te und sich radioak­tive Par­tikel mil­lio­nen­fach in einem größerem Umkreis ver­bre­it­eten (1.), war auch ein Trau­ma des let­zten Jahrhun­derts – die Ohn­macht gegen die zer­störende Wirkung der radioak­tiv­en Strahlung – ins Bewusst­sein der Men­schen, weltweit, zurückgekehrt.

Lange Zeit war die ver­heerende Wirkung der Radioak­tiv­ität nur noch ein The­ma für die Unter­hal­tungsin­dus­trie, die in Hor­ror­fil­men wie „The Hills Have Eyes“ oder Com­e­dy Serien wie den „Simp­sons“ die Verän­derung der Wirk­lichkeit durch die men­schliche Nutzung der Kernkraft mal bösar­tig, durch Atom­tests genetisch fehlge­bildete Kle­in­stadt­be­wohn­er, oder mal humoris­tisch, durch den berühmten dreiäugi­gen Fisch im Kraftwerk­see, über­spitzte und gewis­ser­maßen die his­torische Reflek­tion der Zeit zwis­chen 1945 und 1989 cineast­isch aufar­beit­ete, als die atom­are Bedro­hung zunächst einen rein mil­itärischen Hin­ter­grund hat­te, später vor allem aber auch durch die zahlre­ichen Stör­fälle und Katas­tro­phen in der zivilen Ato­m­in­dus­trie zu ein­er Sinnkrise des Homo Faber führte.

Die Erin­nerung an Tsch­er­nobyl wurde lebendig

Die tiefe Zäsur in dem Glauben an die men­schliche Kon­trolle der Nuk­leart­ech­nik erfol­gte dabei durch ein Ereig­nis, dessen Schat­ten auch 25 Jahre danach noch große Land­striche Europas verdunkeln.

Als am 26. April 1986 durch ein außer Kon­trolle ger­atenes Exper­i­ment im sow­jetis­chen Kernkraftwerk Tsch­er­nobyl eine Über­hitzung des 4. Reak­tor­blocks ein­set­zte und eine Explo­sion verur­sachte, damit die äußere Hülle zer­störte und die Bren­nele­mente frei­legte, war der bish­er größte anzunehmende Unfall (GAU) in der Geschichte der zivilen Nutzung der Atom­kraft einge­treten. Mil­lio­nen­fach radioak­tiv verseucht­es Mate­r­i­al gelangte dabei in die Atmo­sphäre und belastete große Gebi­ete um das Kraftwerk, bis in nicht abse­hbar­er Zukun­ft. (2.)

Ins­beson­dere in Weißrus­s­land und in der Ukraine hat die Katas­tro­phe bis heute fatale Auswirkun­gen auf Flo­ra und Fau­na. Anschaulich wird dies vor allem durch sig­nifikante Verän­derun­gen im Erbgut, welche die Gesund­heit nach­haltig beein­trächti­gen und damit den Leben­sall­t­ag der dort leben­den Men­schen als Ago­nie erscheinen lassen. Genetis­che Fehlbil­dun­gen, hohe Kreb­srat­en und erhöhte Säuglingssterblichkeit, auch bei niedri­gen Strahlen­dosen, (3.)(4.) sind dort der hohe Preis der Kerntechnologie.

Doch nicht nur im fer­nen Osten Europas hat­te Tsch­er­nobyl direk­te Auswirkun­gen auf Erbgut und Gesund­heit, son­dern auch in der Mitte des Kontinents.

Auswirkun­gen von Tsch­er­nobyl in Brandenburg 

Da die radioak­tiv­en Par­tikel infolge der Reak­tor­ex­plo­sion kilo­me­ter­hoch in die Atmo­sphäre getra­ge­nen wur­den, gelangten sie auch über metrol­o­gis­che Ereignisse in den bran­den­bur­gis­chen Raum. Ins­beson­dere die hefti­gen Gewit­ter im Mai 1986 sorgten dabei für eine erhe­bliche radioak­tive Belas­tung der Region.

Schw­er betrof­fen davon war u.a. auch der Raum um die havel­ländis­che Kle­in­stadt Rathenow. In einem Artikel der Märkischen Volksstimme vom 5. Jan­u­ar 1990 nahm dazu erst­mals der Kreishy­gie­n­earzt öffentlich Stel­lung. Dem­nach wur­den beispiel­weise bei Proben von Speisepilzen, die in den Gemein­den um Rathenow nach der Reak­torkatas­tro­phe in Tsch­er­nobyl ent­nom­men wur­den, das radioak­tive Mate­r­i­al Cäsi­um 137 in 30-fach höher­er Konzen­tra­tion fest­gestellt, als der von der DDR fest­gelegte Gren­zw­ert (300 Bec­quer­el) für ein gesund­heitlich­es Risiko eigentlich zuließ. 1987 wiesen z.B. Maro­nen aus dem Raum Elslaake/Witzke einen Extremw­ert von 8760 und in Parey sog­ar 9240 Bec­quer­el auf, während die durch­schnit­tliche radioak­tive Belas­tung von Maro­nen im dama­li­gen Bezirk Pots­dam „nur“ 689 Bec­quer­el betrug. (5.)

Erwäh­nenswert ist auch die erhöhte Radioak­tiv­ität des damals beliebten Bade­sees in Steck­els­dorf bei Rathenow , infolge der Wolke aus Tsch­er­nobyl. Gemäß Mes­sun­gen wur­den in dem See, die höch­sten Strahlen­werte aller Gewäss­er der dama­li­gen DDR fest­gestellt. (6.)

Kundge­bung gegen Kernkraft in Rathenow

25 Jahre nach der Katas­tro­phe von Tsch­er­nobyl und deren Auswirkun­gen war dies auch ein Anlass für Mit­glieder und Sympathisant_innen der Linksju­gend [SOLID] sich am ver­gan­genen Dien­stag auf dem Märkischen Platz in Rathenow zu posi­tion­ieren und mit ein­er pro­voka­tiv­en Kundge­bung, zu der sie sich mit Schutzanzü­gen verklei­de­ten und gelb bemalte Fäss­er mit Gefahrze­ichen für Radioak­tiv­ität auf­stell­ten, auf die Gefahren der derzeit­i­gen Atom­poli­tik aufmerk­sam zu machen.

Atom­en­ergie sei keine unprob­lema­tis­che Brück­en­tech­nolo­gie und der aktuelle Kurs derzeit­i­gen Bun­desregierung in der Atom­poli­tik sehr frag­würdig, kri­tisierte Chriss Kühnl, Aktivist der Linksju­gend. Auch die ungelöste Frage der Entsorgung des Atom­mülls mache ihm sor­gen. Die Protes­tak­tio­nen gegen die Atom­en­ergie, ins­beson­dere am geplanten End­lager im nieder­säch­sis­chen Gor­leben seien deshalb die logis­che Kon­se­quenz, so Kühnl weiter.

Das auch die Region um Rathenow, trotz des Rück­baus der nahen Kernkraftwerke in Stendal/Arneburg (Sach­sen-Anhalt) und Rheins­berg (Land­kreis Ost­prig­nitz-Rup­pin) nach wie vor von Unfällen in der Kern­tech­nik betrof­fen sein kön­nte, beweist die räum­liche Nähe zum noch aktiv­en Forschungsreak­tor BER II des Helmholtz Zen­trum (bis 2008 Hahn Meit­ner Insti­tut) in Berlin-Wahnsee (7.). Zu dem gibt es im gesamten Bun­des­ge­bi­et noch ins­ge­samt zehn weit­ere Forschungsreak­toren und vor allem 17 Kernkraftwerke, von denen nur sieben auf Grund ein­er Sicher­heit­süber­prü­fung derzeit nicht am Netz sind.

Sollte es in den Reak­toren tat­säch­lich ein­mal zum GAU kom­men, wäre, so Kühnl, die Bun­desre­pub­lik gar nicht darauf vor­bere­it­et. Es gebe wed­er genü­gend Ret­tungsanzüge für die Bevölkerung noch aus­re­ichend Kranken­häuser, die darauf eingestellt sind Opfer eines Ato­m­un­falls zu versorgen.

Und dass es zu schw­er­wiegen­den oder gar katas­trophalen Stör­fällen kommt, könne dabei nie ganz aus­geschlossen wer­den, schließlich habe die derzeit­ige Bun­desregierung im ver­gan­genen Jahr die Sicher­heits­bes­tim­mungen für Kernkraftwerke herun­terge­fahren. „Und die Über­prü­fung sei für alle Kraftwerke generell nur frei­willig“, so Susanne Meier, Rathenow­er Stadtverord­nete der Frak­tion Die Linke und Kundge­bung­steil­nehmerin. Kein Wun­der also, dass es keine Ver­sicherungs­ge­sellschaft gebe, die Kernkraftwerke ver­sich­ern würde.

Nach dem 15. Juni soll entsch­ieden wer­den, ob die derzeit nicht am Netz befind­lichen Atom­kraftwerke, die nach dem katas­trophalen Unfall in Fukushi­ma abgeschal­tet wur­den, wieder aktiviert werden.

Die Linksju­gend [SOLID] posi­tion­ierte sich jeden­falls schon am ver­gan­genen Dien­stag und ste­ht für einen unmissver­ständlichen Ausstieg.

 

Quellen:

  1. http://de.wikipedia.org/wiki/Nuklearkatastrophe_von_Fukushima

  2. http://de.wikipedia.org/wiki/Katastrophe_von_Tschernobyl

  3. http://www.strahlentelex.de/Tschernobyl-Folgen.htm

  4. http://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/tschernobylbroschuere.pdf

  5. Märkische Volksstimme: „Beste­ht eine Gesund­heits­ge­fahr nach Tsch­er­nobyl“, 5. Jan­u­ar 1990

  6. wie vor

  7. http://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Experimentier-Reaktor

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