In den vergangenen Monaten lösten sich etliche große Antifazusammenhänge auf und es konnte viel darüber gelesen werden, dass sich die antifaschistische Bewegung in der Krise befindet. Nahezu ausnahmslos wird diese Diskussion nur in größeren Städten geführt, wobei allen klar sein muss, dass gerade außerhalb von Großstädten die Situation mit der in den Städten nur schwer vergleichbar ist und es für viele Dorfantifas, zu denen wir uns auch zählen, ein Schlag ins Gesicht war.
Die Situation in den Großstädten aus Sicht der Dorfantifas
Für viele ist gerade Berlin oder auch Leipzig ein großes Vorbild, sobald es neonazistische Aktivitäten gibt, wird gehandelt. Neonaziaufmärsche werden blockiert. Diese Situation hat sich jedoch in den vergangenen Monaten deutlich geändert, Neonazis und Rassist_innen gehen in die Randbezirke von Berlin und haben dort immer leichtes Spiel, denn viele berliner Antifaschist_innen verlassen die eigene Wohlfühlzone, diese endet häufig am S‑Bahn-Ring, nur selten. Gleichzeitig beobachten wir, dass zahlreiche Antifaschist_innen aus dem Land Brandenburg nicht nur immer und immer wieder nach Berlin fahren sondern auch quer durch das Land Brandenburg um Proteste gegen Neonazis und Rassist_innen zu unterstützen. Dieses solidarische Verhalten muss sich auf die Menschen in Berlin übertragen, denn nur durch eine gelebte Solidarität kann verhindert werden, dass die Dörfer und Städte im Land Brandenburg nach und nach aufgegeben werden müssen.
Durch die starke antifaschistische Szene innerhalb des S‑Bahn-Rings und teilweise gefährliche Situation in zahlreichen Gemeinden und Städten im Land Brandenburg, ziehen immer mehr antifaschistische und linksgerichtete Personen nach Berlin. Sie tun dies nicht nur in der Hoffnung sicher zu sein, sondern auch um politisch weiter voran zu kommen, das Gegenteil ist häufig zu beobachten. Die Menschen versacken in den Szenelokalen, während in ihren Heimatstädten wöchentlich Neonazis und Rassist_innen auf die Straße gehen und Geflüchtete angegriffen werden. Gleichzeitig lähmt sich die Szene durch interne Richtungsstreitigkeiten. Zwar sind Diskussionen notwendig und müssen geführt werden, dies ist jedoch häufig ein Privileg von Großstädten. Wir wollen jedoch die Szenen in Berlin, Leipzig und anderen Städten jedoch nicht allgemein schlecht machen, denn es gibt immer wieder Gruppen, die regelmäßig die Homezone verlassen und ländliche Strukturen unterstützen.
Des Weiteren wurde vor kurzem eine neue Debatte mit dem Spruch „Die Zeit der Sitzblockaden ist vorbei“ aufgemacht. Diese Forderung kann sicherlich vereinzelt unterstützt werden, jedoch muss die Wahl der politischen Mittel auch immer an die Situation vor Ort angepasst werden. Es darf nicht vergessen werden, dass gerade Sitzblockaden in vielen ländlichen Regionen eine gute Möglichkeit sind, um effektiv gegen Neonaziaufmärsche aktiv zu werden. Sie bieten gute Anschlussmöglichkeiten für gemäßigte oder bürgerliche Antifaschist_innen, die in Klein- und Mittelstädten bei Protesten unverzichtbar sind.
Die Situation in Brandenburg an der Havel und den umgebenden Gemeinden
Richten wir den Blick auf Brandenburg an der Havel, einer Stadt mit rund 71.000 Einwohner_innen, scheint die Situation nicht unbedingt schlecht. Es gibt zwar keine wirklichen alternativen, selbstverwalteten Häuser oder Räume, wie sie in anderen brandenburgischen Städten zu finden sind, trotzdem existiert seit den 1990er Jahren eine kontinuierliche antifaschistische Bewegung. Diese ist zwar nicht auf einem gleichbleibenden Niveau aktiv, trotzdem ist sie immer da. Gerade durch diese permanente Arbeit gelang es über die letzten Jahre hinweg die verschiedenen neonazistischen Strukturen immer wieder zurückzudrängen. Zu Beginn des Jahres 2015 waren Antifaschist_innen aus der Havelstadt mit vier aufeinanderfolgenden rassistischen Aufmärschen des lokalen PEGIDA-Ablegers BraMM (Brandenburger für Meinungsfreiheit und Mitbestimmung) konfrontiert und hier zeigte sich ein stark eingeschränkter Handlungsspielraum. Es war eine bittere Erkenntnis, dass es keine entsprechende Reaktion auf bis zu 150 Rassist_innen die durch die Straßen marschierten gegeben hat.
Je weiter wir in die ländlichen Regionen fahren, umso schwieriger wird die Situation. Zum einen werden junge Menschen selten politisiert, da weder linke Strukturen noch etablierte Parteien vor Ort sind und zum anderen finden sich dort häufig Vorurteile gegenüber Geflüchteten und emanzipatorischer Politik. Gleichzeitig dienen kleine Dörfer häufig Neonazis als Rückzugsräume. Sich in kleinen Dörfern als links erkennen zu geben, geht häufig mit Problemen einher und eben darum müssen wir genau diese jungen Menschen unterstützen und ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind.
Eigene Akzente setzen
Wir sind der festen Überzeugung, dass es nicht sinnvoll ist, immer nur den rassistischen und neonazistischen Demonstrationen und Kundgebungen hinterher zu reisen und auf diese zu reagieren, wenn eine antifaschistische Intervention sowieso keine Aussicht auf Erfolg hat. Eine Begleitung dieser Kundgebungen und Demonstrationen aus Recherchezwecken ist jedoch weiterhin sinnvoll und notwendig.
Eine starke antifaschistische Bewegung muss eigene Akzente setzen, sie muss aktiv Politik betreiben und für interessierte Menschen einen Anlaufpunkt bilden. Um Menschen wieder in die Szene zu bekommen, beziehungsweise konsumorientierte Antifaschist_innen wieder aus ihrer Wohlfühlzone herauszuholen, sind politische Angebote unverzichtbar. Aus diesem Grund haben wir uns dafür entschieden nicht nur am Todestag von Sven Beuter eine antifaschistische Demonstration in der Havelstadt zu organisieren, sondern diese mit einer Kampagne zu umgeben. Dadurch wollen wir genau die Leute ansprechen, die sich engagieren wollen, die keine Lust mehr haben einfach nur auf der Couch zu sitzen und sich über die aktuellen Zustände zu echauffieren, sondern aktiv werden möchten. Wir sehen die Demonstrationen als ein klares Signal an alle Dorfantifas nicht aufzugeben und weiter aktiv für eine bessere Welt zu kämpfen. Wir hoffen, dass sich anderen Strukturen im Land dem anschließen und antifaschistische und linke Politik wieder etablieren.
Ausblick
Strategiediskussionen sind notwendig um angemessen auf neue Entwicklungen reagieren zu können, doch sie dürfen nicht dazu führen, dass die Aktionsbereitschaft, gerade im Bezug auf Berliner Randgebiete und den brandenburgischen Outback, sinkt. Neue Strategien nutzen nichts, wenn sie nur partiell umgesetzt werden, da an anderen Orten einfach zu wenig Aktivist_innen vorhanden sind. Auch die Absage an alte, aber gerade auf dem Dorf wirksame, Aktionsformen wie Sitzblockaden, darf nicht absolut sein. Es gab und wird wahrscheinlich nie eine Aktionsform geben, die zu jeder Situation passt. Flexibilität und Solidarität sind probate Mittel, die genutzt werden müssen. Es kann auch nicht nur darum gehen ein Event zu organisieren, damit organisierte Gruppen aus größeren Städten anreisen. Wir brauchen auch Unterstützung bei Kundgebungen und Mahnwachen, denn manchmal sind diese Aktionsformen diejenigen, welche sich für die Gegebenheiten vor Ort am besten eignen.
Gerade im havelländischen Rathenow marschieren alle zwei Wochen 500 bis 600 Rassist_innen und Neonazis. Der bürgerliche Protest schafft es gerade mal 200 Menschen zu mobilisieren. Nun ist es in diesem Fall einfach unrealistisch, Blockaden als Aktionsform zu diskutieren. Dies liegt hauptsächlich an den örtlichen Begebenheiten. Gleichzeitig wäre es ein starkes Signal, wenn organisierte Gruppen gemeinsam mit Menschen vor Ort eine gemeinsame Demonstration organisieren oder die angemeldeten Kundgebungen unterstützen. Antifaschist_innen müssen dahin gehen, wo es den Neonazis und Rassist_innen wehtut und wo es auch gefährlich sein kann, denn Geflüchtete und Dorfantifas leben genau in diesen Städten und Regionen.
Kommt in die Provinz und unterstützt die lokalen Antifaschist_innen!
Solidarität muss praktisch werden!
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