23. Dezember 2015 · Quelle: Antifa Jugend Brandenburg

Antifa in der Krise? – Diskussionsbeitrag der Antifa Jugend Brandenburg

In den vergangenen Monaten lösten sich etliche große Antifazusammenhänge auf und es konnte viel darüber gelesen werden, dass sich die antifaschistische Bewegung in der Krise befindet. Ein Diskussionsbeitrag aus der Perspektive von Dorfantifas.

In den ver­gan­genen Monat­en lösten sich etliche große Antifazusam­men­hänge auf und es kon­nte viel darüber gele­sen wer­den, dass sich die antifaschis­tis­che Bewe­gung in der Krise befind­et. Nahezu aus­nahm­s­los wird diese Diskus­sion nur in größeren Städten geführt, wobei allen klar sein muss, dass ger­ade außer­halb von Großstädten die Sit­u­a­tion mit der in den Städten nur schw­er ver­gle­ich­bar ist und es für viele Dor­fan­tifas, zu denen wir uns auch zählen, ein Schlag ins Gesicht war.
Die Sit­u­a­tion in den Großstädten aus Sicht der Dorfantifas
Für viele ist ger­ade Berlin oder auch Leipzig ein großes Vor­bild, sobald es neon­azis­tis­che Aktiv­itäten gibt, wird gehan­delt. Neon­azi­aufmärsche wer­den block­iert. Diese Sit­u­a­tion hat sich jedoch in den ver­gan­genen Monat­en deut­lich geän­dert, Neon­azis und Rassist_innen gehen in die Rand­bezirke von Berlin und haben dort immer leicht­es Spiel, denn viele berlin­er Antifaschist_innen ver­lassen die eigene Wohlfüh­lzone, diese endet häu­fig am S‑Bahn-Ring, nur sel­ten. Gle­ichzeit­ig beobacht­en wir, dass zahlre­iche Antifaschist_innen aus dem Land Bran­den­burg nicht nur immer und immer wieder nach Berlin fahren son­dern auch quer durch das Land Bran­den­burg um Proteste gegen Neon­azis und Rassist_innen zu unter­stützen. Dieses sol­i­darische Ver­hal­ten muss sich auf die Men­schen in Berlin über­tra­gen, denn nur durch eine gelebte Sol­i­dar­ität kann ver­hin­dert wer­den, dass die Dör­fer und Städte im Land Bran­den­burg nach und nach aufgegeben wer­den müssen.
Durch die starke antifaschis­tis­che Szene inner­halb des S‑Bahn-Rings und teil­weise gefährliche Sit­u­a­tion in zahlre­ichen Gemein­den und Städten im Land Bran­den­burg, ziehen immer mehr antifaschis­tis­che und links­gerichtete Per­so­n­en nach Berlin. Sie tun dies nicht nur in der Hoff­nung sich­er zu sein, son­dern auch um poli­tisch weit­er voran zu kom­men, das Gegen­teil ist häu­fig zu beobacht­en. Die Men­schen ver­sack­en in den Szenelokalen, während in ihren Heimat­städten wöchentlich Neon­azis und Rassist_innen auf die Straße gehen und Geflüchtete ange­grif­f­en wer­den. Gle­ichzeit­ig lähmt sich die Szene durch interne Rich­tungsstre­it­igkeit­en. Zwar sind Diskus­sio­nen notwendig und müssen geführt wer­den, dies ist jedoch häu­fig ein Priv­i­leg von Großstädten. Wir wollen jedoch die Szenen in Berlin, Leipzig und anderen Städten jedoch nicht all­ge­mein schlecht machen, denn es gibt immer wieder Grup­pen, die regelmäßig die Home­zone ver­lassen und ländliche Struk­turen unterstützen.
Des Weit­eren wurde vor kurzem eine neue Debat­te mit dem Spruch „Die Zeit der Sitzblock­aden ist vor­bei“ aufgemacht. Diese Forderung kann sicher­lich vere­inzelt unter­stützt wer­den, jedoch muss die Wahl der poli­tis­chen Mit­tel auch immer an die Sit­u­a­tion vor Ort angepasst wer­den. Es darf nicht vergessen wer­den, dass ger­ade Sitzblock­aden in vie­len ländlichen Regio­nen eine gute Möglichkeit sind, um effek­tiv gegen Neon­azi­aufmärsche aktiv zu wer­den. Sie bieten gute Anschlussmöglichkeit­en für gemäßigte oder bürg­er­liche Antifaschist_innen, die in Klein- und Mit­tel­städten bei Protesten unverzicht­bar sind.
Die Sit­u­a­tion in Bran­den­burg an der Hav­el und den umgeben­den Gemeinden
Richt­en wir den Blick auf Bran­den­burg an der Hav­el, ein­er Stadt mit rund 71.000 Einwohner_innen, scheint die Sit­u­a­tion nicht unbe­d­ingt schlecht. Es gibt zwar keine wirk­lichen alter­na­tiv­en, selb­stver­wal­teten Häuser oder Räume, wie sie in anderen bran­den­bur­gis­chen Städten zu find­en sind, trotz­dem existiert seit den 1990er Jahren eine kon­tinuier­liche antifaschis­tis­che Bewe­gung. Diese ist zwar nicht auf einem gle­ich­bleiben­den Niveau aktiv, trotz­dem ist sie immer da. Ger­ade durch diese per­ma­nente Arbeit gelang es über die let­zten Jahre hin­weg die ver­schiede­nen neon­azis­tis­chen Struk­turen immer wieder zurück­zu­drän­gen. Zu Beginn des Jahres 2015 waren Antifaschist_innen aus der Havel­stadt mit vier aufeinan­der­fol­gen­den ras­sis­tis­chen Aufmärschen des lokalen PEGI­DA-Ablegers BraMM (Bran­den­burg­er für Mei­n­ungs­frei­heit und Mitbes­tim­mung) kon­fron­tiert und hier zeigte sich ein stark eingeschränk­ter Hand­lungsspiel­raum. Es war eine bit­tere Erken­nt­nis, dass es keine entsprechende Reak­tion auf bis zu 150 Rassist_innen die durch die Straßen marschierten gegeben hat.
Je weit­er wir in die ländlichen Regio­nen fahren, umso schwieriger wird die Sit­u­a­tion. Zum einen wer­den junge Men­schen sel­ten poli­tisiert, da wed­er linke Struk­turen noch etablierte Parteien vor Ort sind und zum anderen find­en sich dort häu­fig Vorurteile gegenüber Geflüchteten und emanzi­pa­torisch­er Poli­tik. Gle­ichzeit­ig dienen kleine Dör­fer häu­fig Neon­azis als Rück­zugsräume. Sich in kleinen Dör­fern als links erken­nen zu geben, geht häu­fig mit Prob­le­men ein­her und eben darum müssen wir genau diese jun­gen Men­schen unter­stützen und ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind.
Eigene Akzente setzen
Wir sind der fes­ten Überzeu­gung, dass es nicht sin­nvoll ist, immer nur den ras­sis­tis­chen und neon­azis­tis­chen Demon­stra­tio­nen und Kundge­bun­gen hin­ter­her zu reisen und auf diese zu reagieren, wenn eine antifaschis­tis­che Inter­ven­tion sowieso keine Aus­sicht auf Erfolg hat. Eine Begleitung dieser Kundge­bun­gen und Demon­stra­tio­nen aus Recherchezweck­en ist jedoch weit­er­hin sin­nvoll und notwendig.
Eine starke antifaschis­tis­che Bewe­gung muss eigene Akzente set­zen, sie muss aktiv Poli­tik betreiben und für inter­essierte Men­schen einen Anlauf­punkt bilden. Um Men­schen wieder in die Szene zu bekom­men, beziehungsweise kon­sumori­en­tierte Antifaschist_innen wieder aus ihrer Wohlfüh­lzone her­auszu­holen, sind poli­tis­che Ange­bote unverzicht­bar. Aus diesem Grund haben wir uns dafür entsch­ieden nicht nur am Todestag von Sven Beuter eine antifaschis­tis­che Demon­stra­tion in der Havel­stadt zu organ­isieren, son­dern diese mit ein­er Kam­pagne zu umgeben. Dadurch wollen wir genau die Leute ansprechen, die sich engagieren wollen, die keine Lust mehr haben ein­fach nur auf der Couch zu sitzen und sich über die aktuellen Zustände zu echauffieren, son­dern aktiv wer­den möcht­en. Wir sehen die Demon­stra­tio­nen als ein klares Sig­nal an alle Dor­fan­tifas nicht aufzugeben und weit­er aktiv für eine bessere Welt zu kämpfen. Wir hof­fen, dass sich anderen Struk­turen im Land dem anschließen und antifaschis­tis­che und linke Poli­tik wieder etablieren.
Aus­blick
Strate­giediskus­sio­nen sind notwendig um angemessen auf neue Entwick­lun­gen reagieren zu kön­nen, doch sie dür­fen nicht dazu führen, dass die Aktions­bere­itschaft, ger­ade im Bezug auf Berlin­er Randge­bi­ete und den bran­den­bur­gis­chen Out­back, sinkt. Neue Strate­gien nutzen nichts, wenn sie nur par­tiell umge­set­zt wer­den, da an anderen Orten ein­fach zu wenig Aktivist_innen vorhan­den sind. Auch die Absage an alte, aber ger­ade auf dem Dorf wirk­same, Aktions­for­men wie Sitzblock­aden, darf nicht abso­lut sein. Es gab und wird wahrschein­lich nie eine Aktions­form geben, die zu jed­er Sit­u­a­tion passt. Flex­i­bil­ität und Sol­i­dar­ität sind pro­bate Mit­tel, die genutzt wer­den müssen. Es kann auch nicht nur darum gehen ein Event zu organ­isieren, damit organ­isierte Grup­pen aus größeren Städten anreisen. Wir brauchen auch Unter­stützung bei Kundge­bun­gen und Mah­nwachen, denn manch­mal sind diese Aktions­for­men diejeni­gen, welche sich für die Gegeben­heit­en vor Ort am besten eignen.
Ger­ade im havel­ländis­chen Rathenow marschieren alle zwei Wochen 500 bis 600 Rassist_innen und Neon­azis. Der bürg­er­liche Protest schafft es ger­ade mal 200 Men­schen zu mobil­isieren. Nun ist es in diesem Fall ein­fach unre­al­is­tisch, Block­aden als Aktions­form zu disku­tieren. Dies liegt haupt­säch­lich an den örtlichen Begeben­heit­en. Gle­ichzeit­ig wäre es ein starkes Sig­nal, wenn organ­isierte Grup­pen gemein­sam mit Men­schen vor Ort eine gemein­same Demon­stra­tion organ­isieren oder die angemelde­ten Kundge­bun­gen unter­stützen. Antifaschist_innen müssen dahin gehen, wo es den Neon­azis und Rassist_innen wehtut und wo es auch gefährlich sein kann, denn Geflüchtete und Dor­fan­tifas leben genau in diesen Städten und Regionen.
Kommt in die Prov­inz und unter­stützt die lokalen Antifaschist_innen!
Sol­i­dar­ität muss prak­tisch werden!

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