INFORIOT — Am vergangenen Samstag rief die Antifa Prenzlau zu einem antifaschistischen Stadtspaziergang auf. Dieser sollte dazu dienen die wichtigsten Gedenkorte der Stadt vorzustellen und darüber ins Gespräch zu kommen, wie diese besser ins öffentliche Leben integrierbar sein könnten. Viele dieser Orte fristen eher ein Aussenseiterdasein. Ein anderer Beweggrund der Prenzlauer_innen war es, die zunehmenden Neonaziaktivitäten anhand ihrer Rückzugsorte zu zeigen.
Bereits am Tag vorher kam es zu Einschüchterungsversuche von Seiten der Staatsmacht. Eine ganze Hundertschaft der Polizei hielt sich seit dem Vortag in Prenzlau auf und kontrollierte hier willkürlich Personen, die in ihr Raster fielen. Die gut 20 Personen, die an dem Spaziergang teilnahmen, wurden bereits am Treffpunkt vor dem Kino in Prenzlau von circa 50 Polizist_innen, die teilweise behelmt waren, empfangen. Gegen 15 Uhr setzte sich der Spaziergang in Bewegung.
Stolpersteine
Der erste Halt war direkt vor dem Prenzlauer Filmtheater. Dort ist im Steinboden ein Stolperstein für Max Drucker verlegt worden. Max Drucker war in den 1930er Jahren der Vorstand der jüdischen Gemeinde in Prenzlau und wurde 1942 ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo er am 11. Januar 1943 ermordet wurde. In Prenzlau gibt es bisher acht dieser Stolpersteine, die von dem Kölner Künstler Gunter Demnig dort im Mai 2012 verlegt wurden. Mehrere weitere sollen in den nächsten Jahren folgen.
Umweit dieses Stolpersteins, direkt neben der Fassade eines Einkaufszentrums, folgen zwei weitere Stolpersteine für Agnes und Charlotte Silberstein, die 1943 deportiert wurden und am 2. März des gleichen Jahres in Auschwitz ermordet wurden. Nach einer kurzen Wegstrecke gab es die nächsten beiden Stopps in der Straße des Friedens. Hier gibt es vier Stolpersteine für die beiden Ehepaare Jenny Rosa und Adolf Arndt und Selma und Georg Sinasohn. Auch diese vier Menschen wurden in Theresienstadt und Auschwitz ermordet. An all diesen Stolpersteinen wurde den ehemals in Prenzlau lebenden und später geächteten und letztendlich ermordeten Menschen gedacht. Laut der Datenbank der Shoah-Opfer in Yad Vashem sind 127 der vor dem Krieg in Prenzlau geborenen Juden von den Deutschen während der Shoah ermordet worden. Da aber in dieser Datenbank nur circa die Hälfte der ermordeten Juden erfasst sind, kann man auch hier von mehr Opfern ausgehen.
Synagoge
Die Route des Spaziergangs führte dann weiter zur Gedenkstätte der ehemaligen Prenzlauer Synagoge. Die Prenzlauer Synagoge wurde 1832 an der Wasserpforte unweit des unteren Uckersees errichtet. In der Nacht vom 9. auf dem 10. November 1938 wurde sie angezündet und ist niedergebrannt. Die umstehenden Häuser wurden durch die Feuerwehr vor übergreifenden Feuer geschützt und die von mehreren Bürgern herbeigerufene Polizei schritt nicht gegen die Inbrandsetzung ein. Heute befindet sich an der Stelle eine Gedenktafel an dieses Fanal der Judenverfolgung. In den Jahren 2003 und 2004 wurde der Vorplatz des jetzt dort stehenden Wohnhauses so gestaltet, dass der Innenraum der Synagoge in verschiedenfarbigen Steinen am Boden abgebildet ist.
Nun unter deutlich weniger „Polizeischutz“ bewegten sich die Teilnehmer_innen des Stadtspaziergangs an der historischen Stadtmauer entlang in Richtung des Geländes der Landesgartenschau. Viele Besucher_innen der Landesgartenschau wunderten sich über die Jugendlichen, die von der Polizei an ihnen vorbei geleitet wurden. In der Schwedter Straße führte der Weg vorbei an einer Kneipe, die von NPD-Aktivisten mitbetrieben wird und wo nach Aussagen von einigen Spaziergänger_innen auch gelegentlich Parteitreffen abgehalten wurden. Auf dieser Straße erhöhte sich die Zahl der staatlichen Organe wieder und das ergab das Bild, dass auf dem Bürgersteig 20 Menschen spazieren gingen und auf der Bundesstraße circa 10 Polizeifahrzeuge als Eskorte fungierten.
Jüdischer Friedhof
Zwischen dem Bahndamm der Strecke Berlin – Stralsund und der dahinter gelegenen Bundeswehrkaserne befindet sich der neuere jüdische Friedhof am Süßen Grund. Das war der nächste Anlaufpunkt des Spaziergangs. Der 1897 errichtete Friedhof ist einer von zweien in Prenzlau und mit 1200 Quadratmetern der zweitgrößte jüdische Friedhof in der Uckermark. Er wird seit über 30 Jahren von einer Familie gepflegt, die in der zum Wohnhaus umfunktionierten Trauerhalle lebt. Laut Aussagen der Familie gibt es von Seiten der Stadt auch keine Fördermittel zur Pflege des Friedhofs. Allerdings kommen oft Schulklassen vom nahe gelegenen Gymnasium und machen dort Projekte. Die Teilnehmer_innen des Spaziergangs besuchten den Friedhof und schauten sich die Grabsteine an, die auf eine lange jüdische Tradition in Prenzlau schließen ließen. Die Polizei konnte den Aufzug nicht auf den Friedhof begleiten, da ihnen die dafür nötigen Kopfbedeckungen fehlten. Allerdings sah man ihnen bereits an, dass selbst sie die 50 Polizist_innen, die hier aufgeboten wurden, für weit übertrieben hielten.
Prenzlauer Zustände
Auf dem Weg zurück ging es am Stadtpark vorbei. Der Halbe Stadtpark ist derzeit bis einschließlich Oktober für die Landesgartenschau gesperrt und nur gegen ein Entgelt von 11 Euro zu betreten. Man könnte es beschönigend als grenzenlose Gedankenlosigkeit bezeichnen, dass sich auf dem umzäunten Gelände nicht nur das sowjetische Ehrenmal befindet, sondern auch die Gedenkstätte des alten jüdischen Friedhofs. An dem nahe gelegenen Zaun zum jüdischen Friedhof gab es einen Redebeitrag, der sich mit der Geschichte und dem Umgang damit in Prenzlau auseinandersetzte. Dieser jüdische Friedhof, der der ältere der beiden jüdischen Friedhöfe in Prenzlaus war, entstand im Jahre 1716. Seit 1935 gab es Bestrebungen das Gräberfeld im damaligen „Adolf-Hitler-Park“ von Grabsteinen zu befreien und der Stadt zu übergeben. Die Jüdische Gemeinde Prenzlaus wehrte sich lange mit juristischen Mitteln gegen dieses Vorhaben der Prenzlauer. Doch in der Progromnacht vom 9. auf dem 10. November 1938 zerstörte ein wütender Mob den gesamten Friedhof. Und die Stadt Prenzlau kaufte das Gelände 1940 für 2000 Reichsmark. Die Grabsteine des Friedhofs wurden als Pflastersteine für den Bau der Grabowstraße verwendet und erst nach dem Jahr 2000, währen der Instandsetzung der Straße wurden die zermahlenen Grabsteine geborgen und im Rahmen eines Schulprojektes in einer aus den Grabsteinen errichteten Mauer wieder kenntlich gemacht.
Vielen Besucher_innen des Gedenkspaziergangs kam es daher befremdlich vor, dass ein solcher Ort in nächster Zeit nur noch durch die Entrichtung von einem hohen Eintrittsgeld erreichbar sein soll. Auch auf Nachfrage bei der Veranstaltungsfirma der Landesgartenschau war es nicht möglich einen Zugang zum jüdischen Friedhof zu erreichen. Ebenfalls am 1. April, dem 80. Jahrestag des Beginns der Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte, war es nicht möglich auf dem Friedhof ein Gedenken abzuhalten.
Den Abschluss fand der Spaziergang dann am Denkmal für Frieden und Völkerverständigung im freien Teil des Prenzlauer Stadtparks.