Ungerechtfertigter Polizeieinsatz gegen AktivistInnen. Flüchtling im
Hungerstreik
Am Sonntag den 5. September endete die Anti-Lager-action-Tour in
Eisenhüttenstadt. Ca. 300–400 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet
protestierten vom 2.–5.9. für die Abschaffung aller Lager in Deutschland.
„Alle Menschen sollen dort wohnen dürfen wo sie wollen“ ist die
Hauptforderung der Veranstalter gewesen, niemand solle in Deutschland
gezwungen werden in Lagern zu leben. „Obwohl die Stadt uns viele Steine in
den Weg gelegt hat, haben wir uns nicht abschrecken lassen und unseren
Protest in Eisenhüttenstadt deutlich gemacht“, bilanzierte Kai Kemper für
die VeranstalterInnen.
Am Samstag Nachmittag wurde auf einer SPD-Wahlkampfveranstaltung mit
Matthias Platzek in Frankfurt/Oder auf die Forderungen aufmerksam gemacht.
Als SPD-Mitglied getarnt forderte eine Aktivistin die Schließung von Lagern
und die Abschaffung der Residenzpflicht.
Am Abend kam es während der Abschlusskundgebung vor der ZABH zu mehreren
willkürlichen Festnahmen der Polizei. Neun TeilnehmerInnen des Camps wurden
festgenommen als sie versuchten hinter die ZABH zu gehen, um sich mit
Flüchtlingen über den Zaun hinweg zu unterhalten. Sie wurden erst in der
Nacht und nach Intervention einer Anwältin freigelassen. Mehrere Menschen
erhielten Platzverweise für den Parkplatz des „Marktkauf“ und den Weg zum
Campgelände.
Bei mehreren Besuchen in dem Abschiebegefängnis
erklärte uns ein palästinensischer Flüchtling, dass er sich seit Samstag
im Hunger und Durststreik befinde. Er ist mit einer deutschen Frau
verheiratet und hat zwei in Deutschland geborene Kinder. Er fordert mit dem
gesundheitlich äußerst gefährlichen Protest seine Freilassung.
Die Resonanz der Menschen in Eisenhüttenstadt war gering. Es gab einige
Bekundungen guten Willens aus der PDS und kirchlichen Kreisen, konkrete
Taten folgten aber nicht. Dennoch reihten sich erfreulicherweise einige
BewohnerInnen Eisenhüttenstadts in die Demonstration ein und schauten auf
dem Camp vorbei. Offen kam die rechtsradikale Gesinnung einiger
Eisenhüttenstädter zum Vorschein, als sie stolz verkündeten „Ich wähle DVU“
oder „Geht doch zu euren Presskohlen, bald ist Heizsaison“. „Wenn solche
Aussagen in der Öffentlichkeit Eisenhüttenstadts ungehindert möglich sind,
ist die Stadt gefordert“, so die Veranstalter.
Als konkrete Maßnahme planen TeilnehmerInnen der Anti-Lager-action-Tour,
eine Rechtsberatung für die BewohnerInnen der ZABH einzurichten.
KURZBERICHT VOM BESUCH AM ZAUN VOR DEM ABSCHIEBEKNAST AM FREITAG
Mit einer kleinen Delegation von 6 Leuten besuchten wir am Freitag während
der Auftaktkundgebung den hinteren Zaun der ZABH in Eisenhüttenstadt. Wir
konnten vom Zaun aus mit einem Teil der Gefangenen in Kontakt kommen. In
verschiedenen Sprachen wurde erklärt, warum wir hier sind und was die
Anti-Lager-Tour ist. Es wurde mehrfach dazu aufgerufen, sich innerhalb des
Knastes selbst zu organisieren und es ging um Widerstandsmöglichkeiten gegen
Abschiebungen.
Mit einigen tschetschenischen Männern und einem Palestinenser aus Syrien
entwickelten sich Gespräche, sie erzählten, der Knast sei in drei Blocks
aufgeteilt: in einen Frauenblock für 30 Frauen, einen Männerblock für
ebenfalls 30 Männer und einen kleineren für 15 Männer. Eine Zelle ist mit
drei bis vier Personen belegt.
Der palästinensische Mann hatte sich zwei Tage zuvor einem ersten
Abschiebeversuch erfolgreich widersetzt. Er erzählte uns, er habe kurz
zuvor in einem Prozess das Mitsorgerecht für seine zwei Kinder erstritten,
die er zusammen mit einer deutschen Frau hat. diese Entscheidung sei aber
von der Ausländerbehörde nicht berücksichtigt worden.
Über eine armenische Frau, die in der Zast ist und einen Sohn im
Abschiebegefängnis hat, kam es zu einem regen Austausch mit mehreren
tschetschenischen Männern. Wir sagten einen weiteren Besuch zu, um genauer
darüber zu sprechen. Im Anschluss stoppten wir kurz vor den Gebäuden der
ZABH, sprachen auch dort in mehreren Sprachen über die Tour und ihre Ziele.
ERGEBNISSE DER WEITEREN BESUCHE AM SAMSTAG, DEN 4.9. UND SONNTAG DEN 5.9.
Wir sprachen mit vier verschiedenen Männern. Sie alle befinden sich in
großer Unsicherheit und hatten viele Fragen bezüglich des Asylverfahrens,
welche wir leider nur teilweise beantworten konnten. Die Menschen sind in
vier Trakten untergebracht in denen sie sich frei bewegen können. Am Abend
kommen sie in Einzelzellen. Ein Stunde Hofgang pro Tag und ein Besuch sind
erlaubt.
Als Skandal empfanden wir, dass die Insassen keine Übersetzung angeboten
wird. Sowohl die offiziellen Bescheide als auch die Anwaltspost ist in
Deutsch. Die Insassen versuchen die Briefe mit Wörterbüchern Wort für Wort
zu übersetzen. Diese Situation ist nicht hinnehmbar.
Bei zwei der Inhaftierten kamen uns große Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
Inhaftierung: Der oben schon erwähnte Palästinenser hat durch seine Heirat
und seine Kinder für die er Sorgerecht hat, einen Anspruch auf Aufenthalt in
Deutschland. Er sitzt aber in Abschiebehaft. Ein armenischer Insasse hat bei
seinem Grenzübertritt an der deutsch/polnischen Grenze einen Asylantrag
gestellt und hatte vor zwei Tagen seine Anhörung. Eigentlich müsste er bis
zur Entscheidung seines Asylantrags auf freiem Fuß leben. Er sitzt aber in
Abschiebehaft. Das sind unserer Einschätzung nach Rechtsbrüche.
Alle Gesprächspartner hatten von einer speziellen Zelle gehört, in die
renitente Häftlinge verbracht werden. Diese ist mit Fuß- und Handfesseln
ausgestattet und hat keine Fenster. Es wurde von einem Kameruner erzählt,
der aus Protest, weil er seine Briefe nicht lesen konnte und sie ihm nicht
übersetzt wurden nicht in seine Zelle gehen wollte. Er sei danach seit drei
Tagen nicht mehr gesehen worden und wahrscheinlich in dieser Zelle.