SPREMBERG «Antirassismus ist eine Selbstverständlichkeit» , sagt Stephan Neidert, Vereinsleiter von den «Piraten» . Er gibt sich so, als ob es einfach wäre, gegen Ausländerfeindlichkeit einzutreten. Auch die anderen Jugendlichen des Vereins halten sich nicht lange damit auf, von Zivilcourage zu reden.
Doch
sie zeigen sie seit Jahren, indem sie sich gegen Rassismus engagieren.
Heute
werden sie dafür geehrt: Im Berliner Rathaus wird der Regierende
Bürgermeister Klaus Wowereit den Piraten im Namen des Bündnisses der
Vernunft gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit das Band für Mut und
Verständigung überreichen.
Diese Auszeichnung wird seit 1993 Einzelpersonen und Gruppen verliehen,
die
sich gegen Ausländerfeindlichkeit wenden und sich für die Verständigung
unterschiedlicher Kulturen einsetzen. Das Bündnis der Vernunft gegen
Gewalt
und Ausländerfeindlichkeit ist ein Zusammenschluss des DGB Bezirks
Berlin-Brandenburg und kirchlicher, sozialer und staatlicher Verbände.
«Ich freue mich natürlich sehr, dass die Piraten diese Anerkennung
bekommen»
, betont die Ausländerbeauftragte Monika Wagschal. «Ich kenne den
Verein
seit seiner Gründung 1999, der setzt sich für Menschen ein, die verbal
oder
tätlich angegriffen werden.»
Auch der Leiter der Piraten freut sich: «Das ist eine wichtige
Anerkennung»
, sagt er. «Wir werden sonst oft als chaotische linksextreme Truppe
abgestempelt.»
In der Spremberger Burgstraße haben die Jugendlichen ihr Domizil: Einen
Hof
samt Hinterhaus. Über eine enge Treppe gelangt der Besucher in den
Versammlungsraum im ersten Stock. 15 Quadratmeter, 27 Mitglieder und
jede
Menge alter Sofas, die um einen langen Tisch gedrängelt sind. Im
winzigen
Nebenraum ist durch den offenen Durchgang die selbstgezimmerte Bar zu
sehen,
das «Café Hinterhof» .
Jeden Sonntag ist hier Plenum, werden Ideen gesammelt und Aktionen
geplant.
Das Café ist selbstbestimmt, jeder, auch jedes neue Mitglied, kann
gleichberechtigt mitentscheiden. Zurzeit wollen die Mitglieder des
antirassistischen Jugendtreffs ein Video über Alltagsprobleme, mit
denen
Ausländer zu kämpfen haben, drehen. «Das wird ein Film von Schülern für
Schüler mit einem 30-seitigen Begleitprospekt» , erklärt Stephan
Neidert.
Und mit den Problemen, denen sich Ausländer stellen müssen, kennen die
Piraten sich aus. Denn sie sind nicht nur Anlaufstelle für Opfer von
rassistischen Übergriffen, sondern halten auch engen Kontakt zum
Spremberger
Asylbewerberheim, laden die Flüchtlinge zum gemeinsamen Kochen ein,
spielen
zusammen Fußball, veranstalten mit ihnen Feste. «Das ist doch kein
großes
Ding» , lautet der lapidare Kommentar.
Mit vielen Aktionen trat der Verein in Spremberg an die Öffentlichkeit:
2000
lud er zu einer szenischen Lesung mit dem Staatstheater Dresden ein
über die
Holocaust-Problematik. «Ganze Deutschkurse sind gekommen» , erzählt
Stephan
stolz. 2001 organisierten die Piraten «White Noise» , einen Vortrag
über
Musik der neonazistischen Szene. 2001 riefen sie im Bergschlösschen
auch die
Veranstaltung «Jüdische Geschichte und Kultur in Deutschland» ins
Leben.
Außerdem sitzen sie mit am Spremberger Runden Tisch gegen Gewalt und
Fremdenfeindlichkeit.
Eine mühevolle Organisationsarbeit für die Jugendlichen. «Wir wollten
zeigen, dass man nicht Rechts werden muss, nur weil das an der Schule
dominiert» , sagt Stephan Neidert. «Vor drei bis vier Jahren war das an
Schulen ganz schlimm» , erzählt auch sein Bruder Richard Neidert, «da
musste
man als Linker Angst haben, auf dem Nachhauseweg überfallen zu werden.»
Doch
Lehrer, fügt Stephan hinzu, seien auf das Thema Rechtsradikalismus
nicht
vorbereitet: «Die fragen ja sogar, was die Böhsen Onkelz sind.»
Durch Miteinander-Reden lasse sich Vieles ändern: «Wir können gegen
Stammtischparolen am Abendbrottisch resistent machen» , meint Stephan.
15 Mitglieder waren 1999 bei der Gründung der Piraten dabei. «Du bist
doch
selber schuld, wenn Du Dich engagierst, war damals der Vorwurf meiner
Mutter» , erzählt Stephan. «Doch ich denke nicht daran, das Handtuch zu
schmeissen.» Auch wenn er beim Spremberger Heimatfest 1999 von
Rechtsradikalen durch die Stadt gejagt und zusammengeschlagen wurde.
Im vergangenen Jahr brachen viele Mitglieder weg, fanden eine
Ausbildungsstätte oder einen Studienplatz in anderen Städten. Doch dann
kamen wieder neue Mitglieder hinzu. Schüler machen bei den Piraten mit,
aber
auch Sozialarbeiter, Verfahrenstechniker oder ein Luft- und
Raumfahrtstudent. Alle zwischen 13 und 30 Jahre alt. Rein äußerlich
wären
die meisten nicht als Linke zu erkennen: Nur wenige haben lange Haare.
Turnschuhe und lässige Kleidung dominieren. «Neonazis erkennt man heute
auch
nicht mehr unbedingt» , ruft einer, «die tragen inzwischen ja oft einen
Anzug.»