(Inforiot) Im folgenen dokumentieren wir einen Eintrag aus dem Open Posting Bereich von Indymedia Deutschland.
Vor rund einer Woche, am 4. September ging auf der Mailingliste des Independent Media Center Germany ein offensichtlich anonymes Schreiben ein, dass dafür verantwortlich zeichnet, “in der Nähe von Zeuthen einen 110 KV Strommasten umgesägt” zu haben.
Beweggründe für diese Sachbeschädigung werden im verschickten Schreiben benannt: Der Flughafen Berlin-Schönefeld sei, so die VerfasserInnen, Zentral für die Abschiebung von abgelehnten AsylbewerberInnen. Nach der Zerstörung eines zuführenden Strommasten sollte der Flughafen gemäß den Erwartungen und Hoffnungen der Verantwortlichen in Mitleidenschaft gezogen werden.
Nach knapp einer Woche sieht es so aus, dass diese Aktion wahlweise gar nicht statt gefunden hat, bzw. eine Meldung darüber nicht in den Bericht des polizeilichen Lagedienstes gelangt ist. (Anmerkung Inforiot: Der Verfassungsschutz Brandenburg erwähnt den Anschlag auf seiner Homepage) Recherchen über den tatsächlichen Hergang blieben bislang Ergebnislos.
Trotz alledem scheint das als Begründung von “Autonomen Gruppen” gelieferte Schreiben einige Interessante Gedanken zu formulieren; wenn es auch über weite Strecken so klingt, wie Satzbausteine aus der Textverarbeitung, einer an der Welt verzweifelnden SozialarbeiterInnenselbsthilfegruppe, die das Heil aller in den “Kämpfen” im Süden sieht — und diese lieber gegen die real existierenden Ausseinandersetzungen im als rassistisch desavouierten Geltungsbereiches des eigenen Personalausweises eintauschen möchten.
Dokumentation: das anonym an die Mailingliste gesandte Schreiben “Autonomer Gruppen”.
Flughäfen bilden eine zentrale Infrastruktur der rassistischen und imperialistischen Flüchtlingspolitik. Berlin-Schönefeld ist bundesweit der zweitwichtigste Flughafen für die Abschiebung von abgelehnten AsylbewerberInnen. Insbesondere Abschiebungen in die ost€päischen Staaten werden hier abgewickelt.
In der Nacht zum 4.September 2002 haben wir in der Nähe von Zeuthen einen 110 KV-Strommasten umgesägt, um die Stromversorgung des Flughafens Berlin-Schönefeld zu beeinträchtigen, bzw. lahmzulegen. Die Gefährdung Unbeteiligter war zu jedem Zeitpunkt ausgeschlossen.
Vor zwei Jahren blockierten anlässlich des Jahrestages der faktischen Abschaffung des deutschen Asylrechts zahlreiche AktivistInnen den Flughafen Schönefeld. Damals hieß es: Wir wollen “dieses Datum zum Anlaß nehmen, auf die sich seit diesem Zeitpunkt kontinuierlich verschärfende rassistische Praxis in der BRD aufmerksam zu machen. Menschen, die herkommen, ganz gleich aus welchen Gründen, haben ein Recht auf ein menschenwürdiges, gleichberechtigtes Leben — hier und überall.” Diese Blockade wollen wir hiermit gewissermaßen fortsetzen.
Protest ist, wenn wir sagen,…
Wir sehen unsere Aktion darüber hinaus als einen Beitrag zu den vielfältigen Aktionen und Diskussionen während der Grenzcamps in diesem Sommer.
Für die Auswertung der unterschiedlichen Ansätze der diesjährigen Camps wünschen wir uns, dass die Diskussionen um die Zukunft antirassistischer Sommeraktivitäten wieder im gemeinsamen und möglichst öffentlichen Rahmen fortgeführt werden.
Dazu gehören für uns auch die kontinuierlichen Kampagnen und Aktionen unterschiedlicher Initiativen, wie der selbstorganisierten Flüchtlingsgruppen, die u.a. “free movement” für Flüchtlinge fordern,
die derzeit wieder stattfindende “Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen”, die noch bis zur Bundestagswahl durch die BRD reist,
der sehr kreativen und vielfältigen Lufthansa-Kampagne “Stop Deportation Class” und ihrer Internet-Demo,
der Gruppen, die für Illegalisierte medizinische Versorgung und Unterkünfte organisieren,
Die seit langen verfochtene Praxis gegen Einkaufsgutscheine und Chipkarten (Infracard, Accor),
die Leute, die sich seit vielen Jahren für Kirchenasyl einsetzen,
die unterschiedlichen “Kein Mensch ist illegal” Gruppen,
und natürlich die Grenzcamps, die als alljährliche Mobilisierung und Bündelung von Initiativen fungieren, und die darüber hinaus, zwischen Vokü und Badesee, vielen Leuten einen Zugang zum Thema ermöglichen.
Sicherlich wollen wir mit unserer Aktion auch dafür werben, zu diesen Themen gelegentliche Sabotage zu praktizieren und am besten langfristig eine kontinuierliche und themenübergreifende Politik zu entwickeln.
…dass wir die herrschenden Verhältnisse unerträglich finden.
Flughäfen sind allgemeine Hochsicherheitszonen und damit Nadelöhr des Transits zwischen Ländern. Deutsche Flughäfen sind für die allermeisten Flüchtlinge bei der Einreise tabu. Aus nachvollziehbaren Gründen können politische Flüchtlinge in ihrer Heimat, wo sie von Folter und Mord bedroht sind, schlecht ein Ticket kaufen und sich ins Flugzeug setzen. Auch Menschen, die vom Reichtum des Nordens den ihnen zustehenden Teil haben möchten, ist der Luftweg verwehrt, da die BRD-Regierung die Fluglinien über Vorfeldkontrollen schon lange zum Helfershelfer ihrer Selektion in Erwünschte und Unerwünschte gemacht hat. In dieser zynischen Logik steht die “Sichere Drittstaaten” Regelung von 1993, wonach Flüchtlinge als Voraussetzung einer Anerkennung als Asylberechtigte faktisch nur noch per Flugzeug direkt aus ihrem Herkunftsland kommen dürfen. Jeder Transit durch irgendeinen anderen Anrainerstaat schließt den Asylstatus aus. Es verwundert nicht weiter, dass natürlich alle an die BRD angrenzenden Staaten als “Sichere Dritttstaaten” deklariert werden. So lernen Flüchtlinge deutsche Flughäfen nur als Ort ihrer Abschiebung kennen oder, wie in Frankfurt, als Internierungsort auf sogenanntem exterritorialen Raum.
Jährlich werden mehrere 10.000 Menschen gezwungen, die BRD über den Luftweg zu verlassen. Diese Abschiebepraxis ist heute Teil eines rassistischen Migrationsregimes, welches die Flüchtlinge und MigrantInnen nach den Kriterien der Verwertbarkeit für das Kapital sowie nach demografischen Kriterien selektiert.
Auch im Bereich der Unterbringung und Verpflegung von Flüchtlingen waren die furchtbaren Juristen dieses Staates in den letzten Jahren sehr kreativ. Das ansonsten heilige kapitalistische Prinzip der kostengünstigsten Form kommt hier nicht zur Anwendung. Das BRD-Regime lässt sich die unmenschliche Form von Heimunterbringung und externer Massenverpflegung einiges kosten, damit Flüchtlinge nicht an direkte Leistungen für Miete und Lebensunterhalt gelangen, wie bei SozialhilfeempfängerInnen. Denn es geht darum, den “Aufenthalt für Flüchtlinge so ungemütlich wie möglich” zu gestalten und einen Nachzug abzuschrecken.
Dem gegenüber werden illegalisierte Menschen von Politik und Medien zwar dämonisiert, sind aber in der Wirtschaft durchaus willkommen, da sie unter Ausnutzung ihrer völligen Rechtlosigkeit, Arbeitsverhältnisse nur zu den miesesten Konditionen erhalten.
Zu diesen “aufenthaltsverkürzenden Maßnahmen” gehört auch die Einschränkung der Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge. Jedes Verlassen des zugewiesenen Landkreises ist eine Straftat und wird in der Mobilisierung der Massen propagandistisch benutzt, wenn die Schilys und Schills über “Ausländerkriminalität” hetzen.
Diese Bewegungsfreiheit ist selbstverständliches Menschenrecht und f&u
uml;r MigrantInnen unabdingbar, wenn sie sich politisch organisieren wollen. Daher konzentrieren selbstorganisierte Gruppen von Flüchtlingen ihre Aktivitäten auf diesen Punkt.
Widerstand ist, wenn wir dafür sorgen,…
Dies alles ist bekannt und nicht neu. Die autonome und antirassistische Bewegung steckt in dieser Auseinandersetzung seit Jahren in einem Dilemma und schafft es nicht, einen wirksamen Widerstand zu organisieren. Auch wir haben dafür weder ein Patentrezept noch grossartige Vorschläge. Daher unterstützen wir die zarten Pflänzchen des selbstorganisierten Widerstandes von Flüchtlingen und MigrantInnen und wünschen uns eine stärkere Diskussion und Zusammanarbeit, um zu einer gemeinsamen antirassistischen Praxis zu kommen.
Antirassistische und allgemein linksradikale Politik muss darauf abzielen, immer öfter den Weg vom Protest zum Widerstand zu finden. Diesbezüglich fällt uns immer häufiger ein gewisser Rückfall zur Ebene der Verbalbekundung auf, auch wenn dies modisch als “Diskurspolitik” gehypt wird.
Solange es uns aber nicht gelingt, auch unseren Alltag widerständig zu gestalten, kommen wir über eine phrasenhafte Ausstrahlung nicht hinaus. Erst wenn wir es schaffen, über die notwendige Destruktion hinaus, konstruktive und lebbare Perspektiven aufzuzeigen und zu leben, werden wir der Hoffnungslosigkeit der Menschen etwas entgegensetzen können. Die Frage ist auch, wie sich ein verstärkter Kontakt (der nicht immer leicht ist) zu MigrantInnen gestalten lässt — wie wir uns freier von Vorurteilen und Erwartungshaltungen begegnen können, um einer gelebten Utopie ein Stück näher zu kommen.
Selten gelingt es uns, unsere Vorstellungen im Alltag umzusetzen.
Auch die Versuche in großen Wohnprojekten zu leben, kollektive Strukturen zu schaffen scheinen immer mehr unter zu gehen. Deutlicher sichtbar sind die Versuche von frustrierten Menschen, mit Rundumschlägen, Ignoranz und Härte ihre Abgrenzung von der Szene hinzubekommen (zu sehen z.B. in der Diskussionen zum 1.Mai und zum Israel-Palästina-Konflikt).
Wir sollten erheblich mehr Augenmerk darauf legen, soziale Strukturen zu schaffen in denen auch wir uns aufgehoben fühlen. So sollte es z.B. möglich sein, im konkreten Zusammenleben rassistische und patriarchale Machtverhältnisse zu üerwinden. Wir brauchen auch andere Formen der Arbeit, bzw. des gemeinsamen Kampfes gegen die Lohnarbeit, um ökonomische Zwänge durch solidarische Strukturen zu verringern
Wenn wir also mit unseren Wünschen nach Solidarität und Kollektivität überzeugen wollen, sollte dies auch in unserem Zusammenleben und unseren Kämpfen erkennbar sein. Die gegenwärtig grasssierenden persönlichen Profilierungen auf Kosten anderer und polarisierende Grabenkämpfe erzeugen ein Klima, das Menschen, die wir erreichen können, eher abschreckt und entfernt.
Letztendlich müssen Staat und Gesellschaft im kontinuierlichen Prozess eines subversiven, d.h. herrschaftszersetzenden Alltags umgewälzt werden. Dies ist vor allem ein praktischer Prozess und weniger die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem, was vielleicht einmal sein wird.
…dass die Geschichte der Herrschenden beendet wird.
Sozialrevolutonäre Prozesse sind allerdings nur im globalen Rahmen denkbar, also jenseits des eigenen Bauchnabels einer saturierten Metropolenlinken.
Eine Voraussetzung dafür ist der wechselseitige Bezug von kämpferischen Menschen aus den Ländern des Südens und des Nordens.
Wenn dann neben dem kapitalischen Warenverkehr auch die Menschen zwischen Nord und Süd zirkulieren können, und damit auch ihre Hintergrunderfahrungen, können entsprechende Netze entstehen. Hier wäre dann in Ansätzen die Spaltung von Wohlstands- und Elendsregionen überwunden und die unterschiedlichen Lebens- und gegebenenfalls kämpferischen Erfahrungen der Menschen aus dem Norden und dem Süden könnten zusammenkommen.
Vorerst sind dies natürlich Fernziele mit eher utopischem Charakter. Ein entsprechender Dialog verlangt aber zunächst ein entsprechendes Interesse von beiden Seiten und eine Sensibilität für die jeweilige Hintergründe.
In diesem Zusammenhang sehen wir eine gefährliche Tendenz innerhalb der Linken, die über Leitbegriffe wie “Zivilisation”, “Demokratie” (!) und ähnlichen zu extrem vereinfachten Erklärungen von gesellschaftlichen Prozessen in den Ländern des Südens zurückkehren. Es gibt einige, die offenbar ein geringes Interesse daran haben, imperialistische Ausbeutung und Unterdrückung zu thematisieren, und antiimperialistische Politik generell zu denunzieren versuchen. Manche entledigen sich schon ganz des Imperialismus-Begriffs anstatt ihn zu aktualisieren und begrüssen lieber schon mal die nächsten Nord-Süd-Kriege.
Im Gegensatz dazu spricht die Mut machende Antikriegs-Aktion vom 19.8. in Wilhelmshaven eine eindeutige Sprache. Beim Besuch des Flottillenadmirals Gottfried Hoch wurden sein Haus und Auto mit Farbe bedacht und demoliert. Wir finden, dass es zu einer antirassistischen Politik gehört, die Ursachen zu bekämpfen, warum Menschen fliehen müssen; Krieg ist eine davon.
Eine rassistische Politik wird aber nicht durch militante Interventionen allein verhindert, sondern dadurch, dass eine unübersehbare Zahl von Menschen den unmenschlichen Umgang mit “dem Fremden” einfach satt hat und nicht mehr länger zuläßt. Es geht also um die Köpfe und Herzen der Menschen und einen langen Prozess von emanzipatorischem Denken und Handeln.
Allerdings erhalten linke Bewegungen erst dann eine entsprechende Brisanz und eine punktuelle Durchsetzungsfähigkeit, wenn die unterschiedlichen Ebenen, also Protest, ziviler Ungehorsam, Sabotage und die unterschiedliche Formen militanten Widerstandes zusammenkommen.
Wir wollen mit unserer Aktion in Zeiten relativer Ohnmacht ein Zeichen setzen, und unserer militanten Kritik an den herrschenden Zuständen Ausdruck verleihen. Wir wollen außerdem allen Mut machen, sich ebenfalls militant zu organisieren.
Für freies Fluten — Kein Mensch ist illegal
Gegen imperialistische Kriege — Im Irak und anderswo
Autonome Gruppen