(Berliner Zeitung) NEURUPPIN. Im Prozess um die Ermordung des 16-jährigen Marinus Schöberl in
Potzlow hat der Verteidiger des Angeklagten Sebastian F. dessen sofortige
Freilassung beantragt. Zudem forderte Anwalt Ulrich Drewes am Montag im
Landgericht Neuruppin eine milde Strafe. Der 18-jährige Angeklagte solle nur
zu gemeinnütziger Arbeit oder einer Geldstrafe verurteilt werden. Grund: Das
Gericht habe nicht eindeutig klären können, inwieweit Sebastian F. an der
Tötung von Marinus durch die beiden Mitangeklagten beteiligt gewesen sei.
Die Anklage hatte für Sebastian F. neun Jahre und acht Monate Haft
gefordert. Sie wirft den drei Angeklagten die gemeinsame Ermordung von
Marinus vor. Die Angeklagten hätten ihn stundenlang gequält und dann seinen
Kopf an einem Steintrog zertreten. Der Verteidiger von Sebastian F. sagte,
sein Mandant habe sich nur anfangs an der Tat beteiligt und damit der
gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht. Bei den anfänglichen
Auseinandersetzungen habe es sich um “nicht wesentlich mehr als eine
Kabbelei” gehandelt. “Ein so genannter Bordstein-Kick ist sicher brutal,
aber er ist nicht grausam. Er ist effizient, um jemanden zu töten”,
behauptete Drewes.
“Diese Wortwahl ist beschönigend, nicht angemessen für eine solche Tat”,
sagt Thomas Weichelt, Anwalt der Eltern von Marinus. Zeugen ätten ausgesagt,
Sebastian F. habe auf Marinus Kopf uriniert, ihn beschimpft und gezwungen,
in den Trog zu beißen.
Potzlow-Prozess: Verteidiger nennt Strafantrag “absurd”
(MOZ) Neuruppin (dpa) Im Prozess um den Mord an dem Schüler Marinus Schöberl hat
der Verteidiger eines Angeklagten die von der Staatsanwaltschaft geforderte
Jugendstrafe abgelehnt. Der Anwalt Ulrich Drewes forderte am Montag am
Landgericht Neuruppin, für seinen Mandanten den Haftbefehl aufzuheben. Das
Gericht solle ihm stattdessen Erziehungs- oder Zuchtmaßnahmen auferlegen;
dazu zählen unter anderem Jugendarrest und gemeinnützige Arbeit. Die
Staatsanwaltschaft hatte eine Jugendstrafe von fast zehn Jahren Gefängnis
beantragt.
“Dieser Strafantrag ist absurd”, sagte der Anwalt. Er warf der
Anklagebehörde vor, die Angeklagten vorverurteilt und damit ein
Menschenrecht verletzt zu haben. “In diesem Land gibt es noch die
Unschuldsvermutung bis zum Urteil”, sagte Drewes.
Sein 18 Jahre alter Mandant habe sich an den Misshandlungen des Schülers im
Juli 2002 in Potzlow (Uckermark) beteiligt und sei der zweifachen
gefährlichen Körperverletzung schuldig. “Es war sicher mehr als eine
Kabbelei, aber nicht wesentlich mehr.” Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft
haben der 18-Jährige und das ebenfalls angeklagte Brüderpaar den Schüler
stundenlang geschlagen, beschimpft und ihm Alkohol eingeflößt. Anlass sei
allein das Aussehen des Jungen gewesen: Er trug Hip-Hop-Hosen und gefärbte
Haare.
Marinus musste laut Staatsanwaltschaft in einem ehemaligen Stall in einen
Futtertrog beißen, als der angeklagte jüngere Bruder mit seinen
Springerstiefeln auf den Schädel des Opfers sprang. Vorbild für diese Tat
sei der so genannte Bordsteinkick aus dem Film “American History X” gewesen.
Der tödliche Fußtritt sei zwar brutal, aber nicht grausam, sagte der Anwalt.
Sein Mandant habe sich daran nicht beteiligt.
Der älteste, erwachsene Angeklagte soll nach dem Willen der
Staatsanwaltschaft lebenslang in Haft, sein 18 Jahre alter Bruder zehn
Jahre. Die Verteidiger der Brüder plädieren am 2. Oktober, das Urteil soll
am 9. Oktober gesprochen werden.
Potzlow-Prozess: Anwalt gegen Haft
Plädoyer im Mordfall Schöberl
(Tagesspiegel) Neuruppin. Er sprach überraschend kurz und will nicht einmal eine Haftstrafe
akzeptieren: Im ersten Plädoyer der Verteidigung im Prozess zum Mord an dem
16-jährigen Marinus Schöberl hat Rechtsanwalt Ulrich Drewes für den
Angeklagten Sebastian F. (18) lediglich “Zuchtmittel und/oder
Erziehungsmaßnahmen” gefordert — also eine Geldstrafe oder gemeinnützige
Arbeit. Sein Mandant habe bei der Tat im Dorf Potzlow nur zwei gefährliche
Körperverletzungen begangen, sagte der Verteidiger der Jugendkammer des
Landgerichts Neuruppin. Außerdem beschuldigte Drewes in seinem halbstündigen
Plädoyer die Staatsanwaltschaft, sie habe über die Medien eine
Vorverurteilung aller drei Angeklagten bewirkt. Mit dieser “Stimmungsmache
auf niedrigstem Niveau” habe die Anklagebehörde das Menschenrecht der
Unschuldsvermutung “nachhaltig verletzt”. Damit sei von Anfang an kein
faires Verfahren möglich gewesen.
Die Staatsanwaltschaft hatte, wie berichtet, in ihrem Plädoyer für Sebastian
F. neun Jahre und acht Monate Jugendhaft wegen versuchten Mordes verlangt.
Das angeklagte Brüderpaar Marco (24) und Marcel S. (18) sei hingegen
schuldig, Marinus Schöberl ermordet zu haben. Für Marco S. fordert die
Staatsanwaltschaft lebenslange Haft, bei Marcel S. die Jugendhöchststrafe,
zehn Jahre. In der Anklageschrift war auch Sebastian F. Mord vorgehalten
worden — doch ließ sich im Prozess nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht
nachweisen, dass Sebastian F. tatsächlich an der Tötung von Marinus Schöberl
mitgewirkt hat. Das Opfer war in der Nacht zum 13. Juli 2002 von den drei
Rechtsextremisten mit Schlägen und Tritten traktiert worden. In einem Stall
in Potzlow wurde Schöberl gezwungen, in die Betonkante eines Schweinetrogs
zu beißen. Anschließend sprang Marcel S. auf den Hinterkopf des Opfers.
Später wurde Schöberl in einer Jauchegrube verscharrt.
Nach Auffassung von Drewes hat Sebastian F. lediglich zu Beginn bei den
Misshandlungen mitgemacht. Die drei Schläger und ihr Opfer hatten im Dorf
Strehlow in einer Wohnung zusammen mit drei Erwachsenen gezecht. Marco S.
fing dann an, Marinus Schöberl zu schlagen und zwang ihn, sich als “Jude” zu
bezeichnen. Anschließend wurde Schöberl längere Zeit misshandelt. Sebastian
F. soll laut Staatsanwaltschaft auf ihn uriniert haben. Außerdem habe F. so
heftig zugeschlagen, dass Schöberl mit seinem Stuhl nach hinten fiel.
Verteidiger Drewes meinte jedoch, ohne Details zu nennen, “das war nicht
wesentlich mehr als eine Kabbelei”. Nachdem die drei Angeklagten mit
Schöberl zu den Stallungen gefahren seien, habe F. auch nur aus Angst vor
den Brüdern S. zu Schöberl gesagt, er solle in den Trog beißen.
Am 2. Oktober sollen die anderen beiden Verteidiger plädieren.