Aram M.: „Nach Armenien zurückzukehren ist für mich keine Option!“
Während seines 17. Lebensjahrs stellte der heute 30-jährige Aram fest, dass er sich von Männern angezogen fühlt. Ein Gefühl, das in seinem Heimatland Armenien unter anderem als Krankheit eingestuft wird. Als er im Jahr 2004 zum Wehrdienst eingezogen werden soll, weigert er sich diesen anzutreten, denn als Homosexueller unter Menschen zu sein, die nicht männlich genug sein können, ist für ihn undenkbar. Des Weiteren fürchtet er Übergriffe, sollten sie von seiner Homosexualität erfahren.
Er wird vom Gericht zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Von August 2004 bis April 2005 muss er ins Gefängnis. Dort ist er nicht nur den verbalen Diskrimnierungen der Mithäftlinge und Wärter_innen sondern auch ihren körperlichen Übergriffen ausgesetzt. Durch die Schläge leidet er bis heute unter einer Tinituserkrankung. Nach seiner Freilassung erhält er noch ein Jahr und vier Monate auf Bewährung, Am meisten trifft Aram jedoch die Reaktion seiner Eltern – sie begegnen ihm mit Abneigung und erklären, er sei eine Schande für die Familie. Der Vater schlägt ihm einen Deal vor: wenn Aram sich bemüht, eine Frau zu heiraten und ein aus seiner Sicht normales Leben zu führen, darf er weiterhin im Elternhaus wohnen. Aram stimmt dem zu. Bis zum Jahr 2010 gibt es keine weiteren Probleme, Aram versteckt seine Homosexualität und macht eine Ausbildungen zum Frisör und eine weitere zum Floristen. Eines Tages kommt jedoch sein Vater unerwartet nach Hause und trifft dort Aram und einen Freund eng umschlungen und küssend an. Der Vater verweist seinen Sohn der Wohnung. Dieser lebt fortan in einer Wohngemeinschaft. Jeden Job, den er annimmt, verliert er nach nur wenigen Wochen, da seine Arbeitgeber_innen über seine Homosexualität informiert werden. Aram sieht für sich keine Perspektive in seinem Heimatland und beschließt im März 2011 dieses zu verlassen und in Belgien Asyl zu beantragen. Nachdem sein Antrag abgelehnt wird, bleibt ihm nur die Möglichkeit, wieder nach Armenien zurückzukehren.
Dort hat sich seine Situation jedoch nicht verändert – die Familie wollte weiterhin nichts mit ihm zu tun haben, die gefundene Arbeit verlor er schnell wieder. Nachdem Aram einige Zeit auf der Straße lebte, entschied der sich zum Jahresende 2013 dafür, nach Russland zu gehen und dort ein neues, ein besseres Leben zu beginnen. Er fand Arbeit und hatte eine Wohnung und fand schnell einen Freund. Beide entschließen sich zusammen ein Zimmer in einer 2‑Raum-Wohnung anzumieten. Die Vermieterin, sie wohnt im zweiten Zimmer, ahnt nicht, dass die beiden jungen Männer ein Paar sind. Doch eines Tages beobachtet sie die beiden, wie sie sich küssen. Daraufhin ruft sie die Polizei. Aram und sein Lebenspartner werden verhaftet und in der Polizeistation diskriminiert, geschlagen. Des weieteren wird ihnen sexualisierte Gewalt angedroht, nachdem sie sich weigerten ein Dokument zu unterzeichnen, in dem sie sich zu ihrer Homosexualität bekennen. Als sie wieder freigelassen wurden, fanden sie Unterschlupf in einem Heim. Dort lebten sie jedoch in getrennten Räumen und verbargen ihre Partnerschaft vor den anderen Bewohner_innen.
Am Abend des 30. Mai 2015 trafen sie sich in einem Park, um Zeit gemeinsam zu verbringen. Eine Gruppe von fünf Männer folgte ihnen, beschimpfte sie homophob und schlug sie anschließend zusammen. Sowohl Aram und als auch sein Lebensgefährte verloren während des Übergriffs das Bewusstsein. Die beiden jungen Männer beschließen, weder die Polizei noch ein Krankenhaus aufzusuchen, da sie Angst vor weiterer Repression haben. Sie zogen sich anschließend in ihre Zimmer zurück und warteten bis die Wunden verheilten. Im Verlauf des Juli buchten sie zwei Flugtickets nach Istanbul mit Zwischenstopp in Berlin. Am 29. Juli landete das Paar in Berlin-Tegel und beantragte Asyl. Im sogenannten kleinen Interview machten sie nicht nur Angaben zu ihrem Reiseweg, sondern auch über ihre Erfahrungen in Russland und Armenien.
Vom Flughafen werden sie in die brandenburgische Erstaufnahmestelle nach Eisenhüttenstadt transferiert. Dort müssen sie in getrennten Zelten schlafen, da die Lagerleitung die Partnerschaft der beiden Männer nicht anerkennt. Nach zwölf Tagen wird Aram nach Frankfurt/Oder und Vlad nach Brandenburg an der Havel transferiert. Vlad gelingt es, Kontakt zu lokalen LGBTI-Aktivist_innen herzustellen. Gemeinsam setzen sie sich mit Erfolg für die Zusammenführung des Paares ein. Aufgrund der sich langsam zuspitzenden Situation im Heim und der Erfahrung mit einer anderen LGBTI-Aktivistin — sie wurde im Heim wegen ihrer sexuellen Orientierung angegriffen — wohnen die beiden mit einem weiteren lesbischen Paar in einer Verbundwohnung. Während Aram ein Praktikum in einem Frisösalon macht, geht Vlad zum Deutschkurs. Ende April bekommt Aram einen Brief mit dem Interviewtermin, Vlad erhält keinen Brief. Erst nachdem Unterstützer_innen wiederholt Druck auf das BAMF ausgeübt hatten, erhalten beide einen gemeinsam Termin am 10. Mai. Während seiner Befragung wird der Versuch Arams, über die Diskriminierung in Armenien zu sprechen, vom BAMF-Mitarbeiter mit der Begründung abgelehnt, dass Aram aus Russland eingereist sei und deswegen nur Russland eine Rolle spielt. In dem am 21. Juni erhaltenen Negativbescheid wird darauf verwiesen, dass Aram in Armenien nicht verfolgt werden würde und auch keine begründete Furcht vor Verfolgung vorgebracht hat. Des Weiteren wird darauf verwiesen, dass er Familie vor Ort hat und diese ihn unterstützen könnte. Das BAMF gab Aram im Interview am 10. Mai weder die Möglichkeit über seine Verfolgung in Armenien zu berichten, noch hat es die Aussagen vom 29. Juli 2015 berücksicht, in denen klar steht, dass Arams Familie ihn verstoßen hat und er in Armenien verfolgt wird. Des Weiteren wird seine Beziehung zu Vlad nicht anerkannt.
Wir verurteilen die Praxis des BAMF scharf und fordern die Anerkennung der Lebenspartnerschaft von Vlad und Aram. Des Weiteren fordern wir eine Neubewertung seines Antrags unter Berücksichtigung aller von ihm vorgebrachten Fluchtgründe.
Aram und Vlad bleiben hier!
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