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Auch Alternativen anbieten

Spricht man über Ihr Ressort, kommt man unweiger­lich auf politisch
motivierte Straftat­en zu sprechen. Welche aktuellen Zahlen haben Sie
darüber?

Swen Schäfer: Im Jahr 2002 hat­ten wir 115 Straftat­en in diesem Bere­ich, ein
deut­lich­er Rück­gang zum Jahr davor, als wir 162 zählten. 

Nach diversen Vor­fällen mit Recht­sradikalen wurde Anfang 2001 im Raum
Rathenow die Son­derkom­mis­sion Tomeg einge­set­zt. Bere­its Mitte 2002 hieß es,
extrem­istis­che Straftat­en seien zurück­ge­gan­gen. Gibt es keine gewaltbereiten
Köpfe mehr im Havelland?

Swen Schäfer: Natür­lich sind die nicht vom Erd­ball ver­schwun­den. Aber gerade
das Ein­satzkonzept der dama­li­gen Soko Tomeg und alle Maß­nah­men unseres
Kom­mis­sari­ats waren wirk­lich erfol­gre­ich. Das haben wir nicht allein
erre­icht, son­dern gemein­sam mit Jugen­damt, Staat­san­waltschaft, Amtsgericht
oder freien Trägern. Wir haben eine Front aufge­baut gegenüber den
Recht­sradikalen. Das macht sich bemerk­bar. Die Bevölkerung ist heute viel
sen­si­bler gewor­den, zeigt Straftat­en an. 

Es gibt keine Son­derkom­mis­sion mehr, dafür Ihr Kom­mis­sari­at. Auf welche
Erfahrun­gen aus der Soko-Zeit stützen Sie sich heute noch?

Swen Schäfer: Einein­halb Jahre lang haben wir uns mit der Soko auf das
rechte Klien­tel konzen­tri­ert. Es war eine Test­phase, in der mit dem neuen
täteror­i­en­tierten Ansatz gear­beit­et wurde. Wir haben vieles pro­biert und
Erfahrun­gen, die wir jet­zt bei den jugendlichen Inten­sivtätern einsetzen
kön­nen. Das sind alle unter 21 Jahren, die mehr als zehn Straftat­en im Jahr
bege­hen oder kurz gesagt die, mit denen wir ständig zu tun haben. 

Durch das Konzept von Mega/Tomeg sollen rechtsextremistische
Gewalt­straftat­en ver­hin­dert und der Ver­fol­gungs­druck gegenüber
gewalt­bere­it­en Grup­pen hoch gehal­ten wer­den. Wie funk­tion­iert das?

Swen Schäfer: Da gibt es keine Geheimnisse. Nach einein­halb Jahren Soko
wis­sen die Leute auf der Straße, wer die Tomeg- und Mega-Beamten in Rathenow
sind. Genau­so wis­sen wir, wer sie sind. Man ken­nt sich mit Namen. Ger­ade bei
Grup­pen­de­lik­ten spielt das eine große Rolle, die Anonymität ist aufgehoben,
die Hemm­schwelle für Straftat­en steigt. 

Wie sehen diese “Kon­tak­te” konkret aus?

Swen Schäfer: Wir tauchen an den Tre­ff­punk­ten auf und unter­hal­ten uns mit
den Leuten. Im Nor­mal­fall ist das Smalltalk. Bei Prob­le­men sagen wir aber
auch: Wenn ihr das nicht lasst, passiert das und das, ein Platzver­weis etwa.
Die Leute sollen wis­sen, dass die Polizei da ist und immer ein Auge auf sie
hat. Das ist unser Ziel. 

Inzwis­chen sind weniger Jugendliche gewalt­bere­it, aber immer noch
recht­sex­trem im Kopf. Geben Sie sich zufrieden?

Swen Schäfer: Das reicht uns nicht. Deshalb suchen wir bewusst die
Kom­mu­nika­tion auf der Straße. Da wird hart disku­tiert. Über die Zeit ändert
sich bei eini­gen im Bewusst­sein was, aber nicht von heute auf morgen. 

Disku­tieren Sie auch selb­st mit den Jugendlichen?

Swen Schäfer: Ja. 

Wie wür­den Sie begrün­den, dass es sinn­los ist, aus­län­der­feindlich zu sein?

Swen Schäfer: So pauschal kann man das nicht sagen. Ich muss mich auf den,
der vor mir ste­ht, ein­stellen. Bei ein­er Per­son, die schon Erfahrun­gen mit
Aus­län­dern gemacht hat, argu­men­tiere ich anders als bei jeman­dem, der keine
Aus­län­der kennt. 

Haben Sie und Ihre 16 Mitar­beit­er sich eigentlich weit­er­bilden müssen, um gut argu­men­tieren zu können?

Swen Schäfer: Ja, defin­i­tiv in den Bere­ichen Geschichte, Päd­a­gogik und
Psy­cholo­gie. Es ist naiv zu glauben, Jugendliche ließen sich mit
irgendwelchen Phrasen abspeisen. 

Viele stellen sich Recht­sradikale als Kurzrasierte in Springer­stiefeln vor,
die Aus­län­der schla­gen. Haben Sie auch solche Bilder im Kopf?

Swen Schäfer: Den typ­is­chen Recht­sradikalen gibt es nicht. Sie kom­men aus
allen Bevölkerung­steilen. Mit pauschalen Urteilen kön­nen wir nicht viel
anfan­gen. Für uns gilt: Auch ein Recht­sradikaler ist in erster Lin­ie ein
Men­sch, der eine Biografie, Emo­tio­nen und All­t­agsprob­leme hat. Wenn man das
begreift, find­et man auch Zugang. Wir tolerieren natür­lich ihre Tat­en und
Mei­n­un­gen nicht, aber wir akzep­tieren sie als Men­schen und gren­zen sie nicht
von vorn­here­in aus. Es ist gut und schön, “Nazis raus!” zu fordern. Aber
wohin sollen sie gehen? 

Der Bere­ich der poli­tisch motivierten Straftat­en ste­ht natür­lich besonders
im Licht der Öffentlichkeit. Ihr Arbeits­bere­ich ist aber viel größer …

Swen Schäfer: Wir befassen uns quer durchs Strafge­set­zbuch mit allen
Straftat­en, die Kinder, Jugendliche und Her­anwach­sende bege­hen. Dazu gehören
Kör­per­ver­let­zun­gen, Eigen­tums­de­lik­te und Ver­stöße gegen das
Betäubungsmit­telge­setz. Von Juli bis Ende Dezem­ber 2002 hat­ten wir etwa 400
Fälle. Im Ver­gle­ich zum Vor­jahr ist die Kinder- und Jugendkriminalität
gesunken. 

Wie wer­den die Erfahrun­gen von Tomeg/Mega bei diesen Straftätern angewandt?

Swen Schäfer: Wenn ich ver­hin­dern will, dass ein Inten­sivtäter wieder
straf­fäl­lig wird, muss ich mir seine Biografie anguck­en. Oft kommt er aus
ein­er prob­lema­tis­chen Erziehungssi­t­u­a­tion, sieht keinen Sinn mehr im Leben.
Wenn nie­mand da ist, der sich um einen küm­mert, erzeugt das auch auffälliges
Ver­hal­ten. Wir machen uns Gedanken, was man dage­gen tun kann: Helfen
präven­tive Maß­nah­men oder nur repressive? 

Apro­pos. Manch­mal hat man den Ein­druck, dass sich alles nur um Prävention
dreht. Was ist mit Strafen?

Swen Schäfer: In der Ver­gan­gen­heit haben Repres­sio­nen mehr gezählt. Das
kon­nte man auch sta­tis­tisch ein­fach­er abhak­en. Aber die Polizei ist auch zur
Gefahren­ab­wehr da, Die Präven­tion wurde ver­nach­läs­sigt. Mit dem
täteror­i­en­tierten Ansatz sind jet­zt bei­de Seit­en gle­ich gewichtet. Natürlich
wird verurteilt. Aber im Jugend­strafver­fahren zählt auch der pädagogische
Gedanke. Die USA und Rus­s­land ver­hän­gen die schlimm­sten Strafen, aber haben
trotz­dem die höch­ste Krim­i­nal­ität. Wenn ich Men­schen ändern will, gehört
Druck dazu, aber ich muss auch Alter­na­tiv­en anbi­eten, zeigen, wo es hingehen
kann. Knast macht auf Dauer nie­man­den besser. 

Hat­ten Sie Fälle, wo Sie gedacht haben, da ist Hopfen und Malz verloren?

Swen Schäfer: Natür­lich, aber daran ori­en­tieren wir uns nicht. Wir merken
uns eher Pos­i­tives, wenn jemand kommt und sagt, ich habe mein Leben jet­zt im
Griff. Da freut man sich. In unserem Bere­ich braucht man grundsätzlich
Opti­mis­mus. Ich habe einen Stan­dard­spruch: Kein Men­sch ist von Grund auf
schlecht.

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