Im Schnitt werden täglich mindestens zwei Menschen Opfer von Angriffen
Wenn es draußen warm wird, wenn die Jugendlichen sich im Freien zum Saufen
treffen und durch Skinhead-Musik aufputschen, dann entwickeln sich jene
gruppendynamischen Prozesse, aus denen heraus sich rechte Gewalt entwickelt.
“Immer im Sommer eskaliert die rechte Gewalt”, so der Berliner Politologe
Hajo Funke, im Sommer treffe man sich auf Volksfesten oder am Baggersee und
habe dann die ganze, warme Nacht noch vor sich. Zahlen belegen dies, in den
Monaten Mai bis August ist die Wahrscheinlichkeit, Opfer rechter Gewalt zu
werden, wesentlich höher als in der kalten Jahreszeit. Im Winter 1999/2000
etwa gab es nur halb so viel Gewalttaten wie im nachfolgenden Sommer, im
Jahr darauf genauso.
Vor drei Jahren riefen Politiker, Intellektuelle und Künstler den “Aufstand
der Anständigen” aus, weil sich Meldungen über rechtsextreme und
fremdenfeindliche Straftaten häuften. Die öffentliche Empörung darüber ist
abgeklungen, in den Medien wird kaum noch berichtet, von der politischen
Agenda ist das Problem verschwunden. Dabei hat rechte Gewalt seitdem kaum an
Brisanz verloren. 15 951 rechtsextremistische Straftaten, davon 998
Gewalttaten, zählte das Bundeskriminalamt im Jahr 2000, dem Jahr der
öffentlichen Empörung. Im Jahr 2002 waren es 10 902 Straftaten und 772
Gewalttaten.
Auch wenn die Zahlen nicht unmittelbar vergleichbar sind, weil in der
Zwischenzeit die Erhebungsmethoden verändert wurden, zeigt sich doch:
Täglich werden in Deutschland im Durchschnitt zwei Menschen Opfer rechter
Gewalt. Die Dunkelziffer ist groß. Im vergangenen Jahr registrierte die
Polizei beispielsweise in Brandenburg 81 rechtsextreme Gewalttaten, der
Potsdamer Verein Opferperspektive, der seit 1998 Opfer rechter Gewalt
unterstützt, dokumentiert hingegen 121 Angriffe, 50 Prozent mehr.
Für den Politologen Funke wird immer deutlicher, dass Politik und
Gesellschaft vor drei Jahren ein “oberflächliches Strohfeuer” entfacht
hätten, ohne über die tatsächlichen Ursachen zu diskutieren. Die
ausländerfeindliche und gewaltbereite Alltagskultur sei nicht aufgebrochen
worden, so Funke, “der Schwelbrand wurde nicht eingedämmt”.
Auch in diesem Jahr geht die Gewaltwelle weiter. Nach Angaben des
Bundesinnenministeriums gab es im ersten Halbjahr diesen Jahres 245 rechts
motivierte Gewalttaten, wobei hier es sich hierbei nur um eine vorläufige
Statistik handelt, die erfahrungsgemäß durch Nachmeldungen und Korrekturen
noch erheblich ansteigen wird.
Ein Todesopfer rechter Gewalt hat es in diesem Jahr bereits gegeben. Am 27.
Januar starb in Erfurt der 48-jährige Hartmut Balzke nach einer
Auseinandersetzung zwischen Punks und polizeibekannten Rechten. Balzke hatte
seinen Sohn zwei Tage zuvor zu einer Punker-Party begleitet. Dort wurde er,
als er mit Punks auf der Straße stand, überraschend von einer größeren
Gruppe Rechtsextremer angegriffen. Zeugen fanden Hartmut Balzke und einen
26-jährigen Punk blutüberströmt und mit schweren Kopfverletzungen auf der
Straße. Die Obduktion ergab, dass die tödlichen Verletzungen Folge eines
Sturzes waren.