Es sollte ein schöner Abend werden. “Sommerferienmäßig” hatte sich Robert
mit einem Freund und einer Freundin in einem Potsdamer Park an der Havel
unweit des Hauptbahnhofes niedergelassen, Bier getrunken, gequatscht,
gescherzt. Doch wenn sich der 18-jährige Gymnasiast an jenen Mittwoch im
Juli erinnert, dann wird er wortkarg, spricht über seine Angst, über
Drohungen und Prellungen sowie darüber, dass er nimmer damit gerechnet habe,
Opfer rechter Gewalt zu werden.
Es beginnt mit einem harmlosen Wortwechsel, eher flapsig streiten sich die
drei am Fluss mit einigen Rechten, die in der Nähe standen. Doch plötzlich
wächst die Gruppe auf über 20 Personen an. Ein Faustschlag trifft Robert
unvermittelt im Gesicht. Später wird die Polizei erklären, die Gruppe und
der stark alkoholisierte Haupttäter Christian J. hätten gezielt die
Auseinandersetzung gesucht. In Panik springt Robert ins Wasser der Nuhte,
die hier in die Havel mündet. “Schnappt euch den Blonden” heißt sodann die
Parole, die dieser so schnell nicht vergessen wird.
Der Angriff ist gut organisiert, drei Rechte verhindern, dass Robert auf der
anderen Seite wieder aus dem Wasser klettern kann. Christian J. springt
hinter her und drückt Robert unter. Unendlich lange kam es Robert vor, er
spricht von einer Minute. Nachdem er sich in Todesangst aus der Umklammerung
befreit hat und aufgetaucht ist, fragt ihn der grinsende Christian J.:
“Haste wieder Luft” und schlägt erneut auf ihn ein. Auch sein Freund René
kann ihm nicht helfen, er wird zur selben Zeit von zwei anderen Rechten
zusammengeschlagen. Nur die hilflose zuschauende Freundin lassen die
Angreifer in Ruhe. Erst als die Polizei anrückt, versuchen die Täter zu
fliehen; vergeblich, den Beamten gelingt es, ihre Personalien festzustellen.
Alltag in Ostdeutschland. “Potsdam ist ein Schwerpunkt rechter Gewalt”, sagt
Claudia Luzar vom Verein “Opferperspektive”. Seit zwei Jahren häuften sich
in der brandenburgischen Landeshauptstadt die Gewalttaten, 14 waren es nach
Angaben von “Opferperspektive” im vergangenen Jahr, acht in den ersten
sieben Monaten diesen Jahres. So wurden Mitte Juli drei Verbindungsoffiziere
aus Kroatien, Rumänien und den Niederlanden von stark angetrunkenen
Angreifern geschlagen und getreten, weil sie in einer Straßenbahn
miteinander Englisch sprachen. Ende Juli wurde eine 38-jährige Afrikanerin
an einer Haltestelle von einem 21-jährigen rassistisch beschimpft und ins
Gesicht geschlagen. “In Potsdam gibt es mehr Angriffe als in anderen Städten
Brandenburgs”, sagt Claudia Luzar. Doch die Potsdamer Polizei widerspricht.
“Deutlich rückläufig” seien die einschlägigen Straftaten, erklärt
Polizeisprecher Rudi Sonntag, die Stadt sei “kein ausgesprochener Brennpunkt
im rechtsextremistischen Geschehen”. Dabei bestreitet auch der Verein
“Opferperspektive” nicht, dass es in Potsdam mehr zivilgesellschaftliches
Engagement und mehr anti-rassistische Initiativen als in anderen Städten
Ostdeutschlands gibt, überdies viele linke und alternative Jugendliche.
Robert und René verstehen sich selbst als “eher unpolitische”, sie hören
gerne Heavymetall, fühlen sich der Grufti-Szene verbunden, tragen mit
Vorliebe schwarze Klamotten, seine Haare trägt René punkermäßig abstehend.
Allein das ist für viele Skinheads eine Provokation. Im Dorf Michendorf
unweit von Potsdam, wo René zu Hause, stand schon mal die rechte Clique vor
seinem Elternhaus und skandierte “Punkerschwein, wir kriegen dich”.
Die “kulturelle Hegemonie” in Potsdam ist umkämpft, sagt Claudia Luzar,
anders als in den meisten ländlichen Regionen Ostdeutschlands. Rechte
Cliquen versuchten sich hier mit Gewalt Freiräume zu erkämpfen. Gerade
deshalb würden nicht nur Immigranten und Flüchtlinge zu Opfern, sondern eben
auch nicht-rechte, vor allem Punks. Doch hier fehlt den Zuständigen die
nötige Sensibilität. Auch der Angriff auf Robert und René wird von der
Polizei als normale Schlägerei bagatellisiert. Einen rechtsextremistischen
Hintergrund schließt sie aus. Dabei ist der Haupttäter Christian J. unter
anderem wegen Körperverletzung vorbestraft. Als Symbol seiner Gesinnung
schmückt ihn ein Reichsadler-Tattoo. Der Potsdamer Hauptbahnhof ist sein
Revier, hier trifft er sich regelmäßig mit Gesinnungsfreunden.
Als René dem Schläger dort ein paar Tage nach dem Angriff begegnet, stellt
sich ihm dieser frech in den Weg und tönt selbstbewusst “ja, man sieht mich
immer noch”. Eine telefonische Beschwerde des Vereins Opferperspektive bei
der Polizei führt zu nichts. Denn anstatt dafür zu Sorgen, dass der Bahnhof
nicht länger ein Tummelplatz für rechte Schläger bleibt, fiel der
zuständigen Kommissarin nichts Besseres ein, als dem Betroffenen zu raten,
diesen zukünftig zu meiden.