Die Schülerzeitung “Philli′s Paper reloaded” stiftet Gedenktafel für die
Familie Schlesinger
(LR, 14.2.) Im Jahre 1914 siedelte der jüdische Kaufmann Leopold Schlesinger mit seiner
Familie aus dem Anhaltischen voller Hoffnung nach Herzberg. Seinerzeit war
er der einzigste Textilkaufmann in der Stadt. Bereits im Jahre 1920 konnte
er eine große Investition tätigen: Er kaufte das Geschäftshaus in der
Torgauer Straße 2 in unmittelbarer Nähe des Marktes. Die Kaufleute
Schlesinger waren beliebt in der Stadt, auch weil sie auch in Krisenzeiten
keine Wucherpreise nahmen.
Eine schwere Zäsur stellte der 1. April 1933 dar. An diesem Tag inszenierten
die Nazis unter einem absurden Vorwand einen Boykott gegen jüdische
Geschäfte und Einrichtungen in ganz Deutschland. Der Erfolg überraschte die
Nazis selbst. Wie in ganz Deutschland kauften auch in Herzberg nur wenige
Bürger in jüdischen Geschäften ein. Dieses Ereignis war für die Schlesingers
der Beginn einer Odyssee, die Anfang 1943 mit dem gewaltsamen Tod der
Eheleute Selma und Leopold Schlesinger im KZ Theresienstadt endete.
Auf die Spurensuche begeben
Im Herbst 2003 begab sich ein Grundkurs Politische Bildung (Klasse 11) auf
die Suche nach den Spuren der Schlesingers. Die Schüler nahmen an einem
entsprechenden Wettbewerb der Bundeszentrale für Politische Bildung teil.
Der Grundkurs splittete sich in verschiedene Arbeitsgruppen auf. So
erforschte eine Gruppe im Archiv des Landkreises den damaligen Zeitgeist und
kam zu dem schockierenden Ergebnis, dass die Menschen im damaligen Kreis
Schweinitz überaus empfänglich für die Ideologie des Nationalsozialismus
waren. Im “Schweinitzer Kreisblatt” , im “Stadt- und Landboten Schlieben”
und in den Heimatkalendern wurde — auch vor dem Hintergrund der damaligen
Not — die Sehnsucht nach einem Führer artikuliert.
Helmut Knuppe half
Die wesentlichsten Informationen über die Schlesingers selbst erhielten die
Schüler vom Herzberger Ortschronisten Helmut Knuppe und in einem Gespräch
mit einer ehemaligen Mitarbeiterin des Amtes für offene Vermögensfragen.
Gleichermaßen problematisch und ernüchternd erwies sich das Befragen von
Zeitzeugen. Am Rande sahen sich die Teilnehmer den Film “Schindlers Liste”
an. Den Abschluss der Projektarbeit bildete eine Exkursion in das ehemalige
Vernichtungslager Auschwitz.
Im Resümee der Wettbewerbsarbeit heißt es: Das Schicksal der jüdischen
Familie Schlesinger rief nicht nur bei uns Mitgliedern der Projektgruppe
Erschrockenheit und Entsetzen hervor. Auch Zeitzeugen, die wir zu dem Thema
befragten, reagierten sehr emotional, nicht selten aber verschlossen. Die
Gründe für diese Verschlossenheit blieben uns jedoch unbekannt und lassen
Raum für Spekulationen offen:
Viele Mitglieder der älteren Generation haben vermutlich die Geschehnisse in
der Zeit des “Dritten Reiches” verdrängt oder möchten einfach nicht mehr
daran erinnert werden. Manche wollen sich wahrscheinlich ihren Lebensabend
nicht verderben und sehen es daher nicht ein, sich noch unnötig zu belasten.
Einige behalten auch die Wahrheit für sich, um die noch lebenden Nachfahren
der Opfer sowie der Täter nicht den Schmähungen der Öffentlichkeit
auszusetzen.
Obwohl es im Laufe des Projektes zu einigen Turbulenzen kam, konnte die
Projektgruppe einen Erfolg einfahren: Die Bundeszentrale für Politische
Bildung zeichnete Anfang 2004 jedes Mitglied der Gruppe mit einem digitalen
Multimedia-Lexikon aus. Ein Aspekt des Projektes ist jedoch bisher noch
nicht verwirklicht: Bestandteil der Arbeit war ein Entwurf einer
Gedenktafel.
Die Tafel selbst finanzieren
Im 8. Mai 2005 gedenkt ganz Deutschland des Kriegsendes. Das
Philipp-Melanchthon-Gymnasium Herzberg möchte sich an der städtischen Ehrung
beteiligen. “Philli′s Paper reloaded” , die erst Anfang 2004 reaktivierte
Schülerzeitung der Schule, will die Gedenktafel mit den ersten selbst
erwirtschafteten Gewinnen finanzieren und damit ein Zeichen gegen die
Ausgrenzung von Minderheiten und gegen die Fremdenfeindlichkeit setzen (die
RUNDSCHAU berichtete). Zuvor sind allerdings noch viele Genehmigungen
einzuholen, unter anderem die der in Israel lebenden Angehörigen.
Freya Kliers Mahnung
Damit werden die Herzberger Melanchthon-Gymnasiasten dem gerecht, was die
Bürgerrechtlerin Freya Klier vor Jahren bei ihrem Besuch an der Schule als
“11. Gebot” formulierte: “Du sollst dich erinnern!” .