Die Heimleiterin befürchtete eine Revolte und rief die Polizei um Hilfe. In mehreren Einsatzwagen rückten die Beamten ins Asylbewerberheim in Bahnsdorf ein, hielten mit massiver Präsenz die Flüchtlinge im Zaum. Platzverweise
wurden erteilt. Den Aufruhr verursacht hatte die Ausgabe neuer Wertgutscheine.
Montagmittag, Asylbewerberheim Bahnsdorf. An Eingangstoren Einsatzwagen der Polizei, auf dem Heimgelände Mengen aufgebrachter Asylbewerber und Polizisten. Bei Erscheinen der Presse scharen sich die Demonstranten um zwei
RUNDSCHAU-Reporter. Sie schimpfen auf die Wertgutscheine, die ihnen Sozialamtsmitarbeiter des OSL-Kreises aushändigen wollten. «Wir wollen Bargeld, keine Scheine. Wir haben sie zurückgegeben» , wettert in gebrochenem deutsch Alfred Lyonga aus Kamerun. Lyonga und seine Mitbewohner
reihen Argumente gegen die herrschende Praxis des Einkaufs mit Warengutscheinen auf:
Nur in einigen Geschäften in Senftenberg, Sedlitz und Räschen werden die
Scheine überhaupt angenommen. Man bekommt für sie nur Lebensmittel, keine
Kleidung. Es muss genau in Höhe des Scheinwertes eingekauft werden, weil die
Kassierer höchstens ein Zehntel des Scheinwerts an Wechselgeld rausgeben
dürfen.
Chukwu Sunday Okoro, ebenfalls Schwarzafrikaner, findet drastische Worte:
«Wir sind keine Kinder, die mit Geld nicht umgehen können.» Und: «In diesem
Land sind Hunde mehr wert als Menschen.» Oft würde man von Verkäufern oder
Kunden schief angeguckt beim Einkauf. Der Besuch öffentlicher Einrichtungen
wie Diskotheken sei unmöglich. Damit Möglichkeiten der Integration total
eingeschränkt. Zumal Besucher 2,50 Euro zahlen müssen, um das
Asylbewerberheim zu betreten.
40 Euro Taschengeld bekomme ein Asylbewerber, weiß Tem Crescenicia. Viel zu
wenig. Gerade an einem so abgelegenen Ort. Allein Zug- oder Bahnfahrt zu den
Geschäften in Senftenberg oder Großräschen verschlingen viel Geld. Wegen
schwebender Asylverfahren müsse zudem fast jeder Heimbewohner einen
Rechtsanwalt bezahlen. Bargeld brauche man auch fürs Telefonieren. Arbeiten
dürfen Asylbewerber nicht. Würden die 160 Euro an Wertgutscheinen in Bargeld
umgetauscht — es wäre den Flüchtlingen sehr geholfen.
Umtausch weit unter wert
Nach RUNDSCHAU-Informationen ist der Umtausch der Wertgutscheine gegen
Bargeld weit unter Wert gängige Praxis. Doch die Wertgutscheine, die der
OSL-Kreis seit Montag verteilt, lassen Tauschgeschäfte nicht mehr zu, weil
auf jedem Schein der Name des Besitzers steht.
Die Kreis-Sozialamtsleiterin Erika Körner vermutet schwarzafrikanische
Asylbewerber aus dem Heim in Sedlitz hinter dem Aufruhr: «Wahrscheinlich
haben sie die Mehrzahl der Asylbewerber, die ihre Gutscheine friedlich
abholen wollten, so unter Druck gesetzt, dass auch sie die Scheine
zurückgegeben haben.»
Die Amtsleiterin beruft sich auf Bundesgesetzgebung: Laut
Asylbewerberleistungsgesetz hätten die Landkreise Wertgutscheine auszugeben.
Nur wer länger als 36 Monate im Land ist, habe ein Anrecht auf 356 Euro
Bargeld. Dass also die meisten Asylbewerber 160 Euro in Wertgutscheinen
bekommen und 40 Euro Bargeld, sei korrekt. Dennoch kann Erika Körner die
Nöte der Asylbewerber nicht nachvollziehen: Die Scheine sind so gestückelt,
dass planmäßiger Einkauf möglich sei. Kleidung bekommen die Flüchtlinge — im
OSL-Kreis sind rund 400 Asylbewerber zentral in Bahnsdorf und Sedlitz
untergebracht — zwei Mal im Jahr. Und weite Fahrten bis in die Geschäfte
müsse auch die Dorfbevölkerung auf sich nehmen.