STOLPE-SÜD Kein Bock, aufzuräumen, nicht schon wieder abwaschen — wer kennt
das nicht. Die normalen Alltagssorgen eines ganz normalen Jugendlichen. Doch
wie sieht die Sache aus, wenn der normale Jugendliche ein ausländischer
Asylbewerber ist?
Montagmorgen, 6 Uhr. Der Wecker klingelt. Der gebürtige Iraner Nima
Taimourian springt aus dem Bett. Schnell gewaschen, Frühstück. Dann aufs Rad
und ab zur Albert-Schweitzer-Gesamtschule in Hennigsdorf. Bio, Mathe,
Deutsch und zurück nach Hause. Soweit wenig außergewöhnlich. Doch Nimas
Nachhauseweg führt zum Asylbewerberheim Stolpe-Süd.
“Leute aus Afrika, Vietnam, Indien, aus allen Nationen wohnen hier”, erzählt
der 19-Jährige. “Als ich da zum ersten Mal durchgeführt wurde, war das schon
komisch. So viele verschiedene Menschen nebeneinander, das kennt man im Iran
nicht.”
Nimas Vater wurde politisch verfolgt
Bis 2001, in seinem 15. Lebensjahr, hatte Nima im iranischen Karaj gelebt,
dort die Schule besucht, mit seinen jüngeren Geschwistern Nazner und Iman
nachmittags Fußball gespielt. Sein Vater Mohammed diente bei der Armee. Doch
eines Tages wurde aus dem Offizier ein politisch Verfolgter. Wie es genau
dazu kam, will Nima lieber nicht erzählen. “Meinem Vater wurde die
Todesstrafe angedroht, wir mussten weg”, verrät er nur.
Sein Vater entschied sich für Deutschland, da in Berlin schon ein Neffe
wohnte. “Nur mein Vater und ich konnten zuerst hierher kommen”, erzählt
Nima. Erst ein knappes Jahr später folgte seine Mutter Siroze mit Nimas
Geschwistern ins Flüchtlingsheim Eisenhüttenstadt, wo Nima und Mohammed
zuerst untergebracht wurden. Nach drei Monaten folgte die Versetzung der
Familie nach Stolpe-Süd.
Im hiesigen Asylbewerberheim teilt sich Nima ein kleines Zimmer mit seinem
Vater. Seine Mutter und seine Geschwister bewohnen einen Raum im gleichen
Flur. “Die Duschen und Küche müssen wir uns mit allen Heimbewohnern teilen.
Die Küche ist aber immer so dreckig: Bevor du dein Essen machst, hast du
schon gar keinen Hunger mehr”, schüttelt Nima den Kopf.
Dabei ist der junge Iraner auf die heiminterne Küche angewiesen. “Wir kochen
doch iranisch: Hühnchen, Gemüse und viel Reis. Schweinefleisch verträgt mein
Magen nicht.” Kein Wunder — Nima ist Moslem. Viermal täglich nimmt er sich
Zeit, um auf Persisch zu beten. “Meine Freundin hat mich beim ersten Mal
ganz schön komisch angeguckt und gefragt, was ich da mache”, erinnert sich
Nima. “Heute ist das kein Problem mehr.” Nimas Freundin heißt Stefanie. Sie
ist Hennigsdorferin, 16 Jahre alt und besucht wie Nima die 10. Klasse der
Albert-Schweitzer-Gesamtschu-le. Doch der Weg zum glücklichen Pärchen
gestaltete sich schwierig. “Oh, meine Eltern waren sauer, als ich ihnen
erzählt habe, dass ich eine Freundin habe”, zieht der Iraner die Augenbrauen
hoch. “Ich solle lieber für die Schule lernen, meinte meine Mutter. Erst
später hat sie gesagt, dass ich selbst wissen müsse, was ich mache.”
Inzwischen sind Stefanie und Nima 15 Monate zusammen. Stefanie besucht ihren
Freund regelmäßig im Asylbewerberheim. “Am Anfang wusste ich gar nicht, dass
er da wohnt”, erinnert sie sich. “Die ersten Besuche waren auch seltsam. Das
Heim, die Leute, alles war so ungewohnt. Jetzt ist das aber okay. In letzter
Zeit hab ich sogar schon mit Nimas Vater gequatscht.” Keine
Selbstverständlichkeit, denn Nimas Familie übt noch fleißig an der deutschen
Sprache. “Bisher muss ich die Briefe vom Sozialamt übersetzen und
beantworten”, grummelt der Iraner. “Selbst zum Arzt muss ich meine Familie
begleiten.” Freizeitbeschäftigungen, auf die er gerne verzichten würde. Im
Gegensatz zu seinem Fitnesstraining. “Viermal die Woche gehe ich dafür mit
einem Freund aus dem Heim ins Conny Island. Das kostet für uns nur fünf Euro
im Monat.”
Nima achtet auf seine Finanzen. Arbeiten darf er als Asylbewerber nicht. 40
Euro Bargeld bekommt er monatlich vom Sozialamt zugeteilt. Dazu erhält Nima
Wertgutscheine, die nur für Nahrungsmittel ausgegeben werden dürfen.
Angenommen werden die Gutscheine nur bei den großen Handelsketten. Auch
Rückgeld bekommt Nima bei so einem Einkauf nicht. “Wenn ich Brötchen holen
möchte, muss ich für meinen Fünf-Euro-Gutschein auch Brötchen für fünf Euro
kaufen oder das Restgeld der Kassiererin schenken.”
Nicht das einzige Problem, denn: “Die Leute in Hennigsdorf kamen mir am
Anfang so kalt vor.” Auch mit Rechtsextremen ist er schon aneinander
geraten. “Die kannten schon meinen Namen, da hatte ich sie noch nie
gesehen”, so Nima. “Die meisten Menschen hier sind aber nett.”
Die Abschiebung wäre das Schlimmste
Bleibt die tägliche Angst, wieder abgeschoben zu werden. “Das wäre das
Schlimmste. Wir wollen und können doch gar nicht mehr in den Iran zurück.
Dann wäre das Leben eigentlich vorbei”, sagt Nima ernst. “Bei jedem Brief,
der kommt, hast du Angst, dass er die Abschiebung bedeutet.”
Und wenn in einem Schreiben das erhoffte Asyl gewährt wird? “Dann würde ich
nach Berlin oder Frankfurt ziehen, eine Ausbildung zum Hotelfachmann
beginnen”, kehrt ein Lächeln in das Gesicht des jungen Iraners zurück.
“Einfach locker lassen und keine Briefe vom Sozialamt mehr bekommen.”