BAD WILSNACK Die Ereignisse der vergangenen Tage werden nicht so schnell
verblassen. Der Besuch der einstigen Häftlinge aus dem KZ-Außenlager Glöwen
in der Prignitz und die Teilnahme an Veranstaltungen anlässlich der
Befreiung des KZ in Sachsenhausen haben sowohl bei Lehrern als auch Schülern
der Gesamtschule Bad Wilsnack einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
“Die Bilder gehen mir nicht mehr aus dem Kopf”, bekräftigte gestern Helga
Enders. Sie war am Sonntag gemeinsam mit Ulla Seegers, Schulleiterin Gisela
Hauck und einer weiteren Kollegin Gast beim zentralen Festakt an der
Gedenkstätte Sachsenhausen gewesen und hatte die Feierlichkeiten Seite an
Seite mit einstigen Häftlingen des KZ-Außenlagers Glöwen verfolgt, die
bereits im September vergangenen Jahres in der Kurstadt zu Besuch waren.
“Viele hatten Tränen in den Augen”, berichtete die Lehrerin.
Ulla Seeger, die die Geschichte der bei Glöwen gefangen gehaltenen Juden mit
ihren Schülern erforschte, wird die Begegnung mit den Opfern auch nicht so
schnell vergessen. Sie zeigte sich überrascht, wie offen und
freundschaftlich die Gäste aus Israel auftraten, als sie am Montag zur
Enthüllung der Gedenktafel in der Prignitz weilten. “Ich hatte den Eindruck,
sie haben sich wirklich über den Gedenkstein, den wir gesetzt haben,
gefreut”, sagte die Lehrerin. Nach der offiziellen Zeremonie an diesem
Mahnmal hatte sie Gelegenheit, mit der Frau des bereits verstorbenen
Gründers der “Jewish Survivor Association” zu sprechen, in der die
Überlebenden des Nazi-Terrors organisiert sind.
Die Schülerin Christin Maurer wiederum unterhielt sich mit Menachem
Milshtein, der im Alter von 21 Jahren vom KZ-Sachsenhausen ins Außenlager
Glöwen gebracht wurde. “Es fiel ihm wohl sehr schwer, an den Ort des
Schreckens zurück zu kehren”, berichtete sie. Der Sohn habe zudem erzählt,
dass sein Vater zunächst nicht in der Lage gewesen sei, über seine
Erlebnisse in der NS-Zeit zu reden. Vor zwölf Jahren habe er zum ersten Mal
darüber gesprochen. Noch heute verfolgten ihn Alpträume, die ihn nachts aus
dem Schlaf fahren ließen.
Unter den Gästen aus Israel befand sich auch Ester Zilberstein. Sie ist die
einzige weibliche Überlebende, die zwischen 1945 und 1945 im Beutelager
“Roland” gefangen gehalten wurde. Wie Helga Enders im Gespräch mit ihr
erfuhr, war sie zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt. Sie musste im Lager
schwere Arbeit verrichten: Gräben für Kabel verlegen und mit dem
Presslufthammer alten Beton aufstemmen. Als einzige Nahrung bekam sie damals
Wasserrübensuppe mit einem Stück Brot gereicht.
Um das Treffen mit den einstigen Häftlingen am 60. Jahrestag entsprechend zu
würdigen, will die Schule dazu eine Ausstellung vorbereiten und gemeinsam
mit dem Politologen Thomas Irmer eine Broschüre herausgeben. Leichter
zugänglich wird demnächst auch der Erfahrungsbericht des Überlebenden Abram
Lancman sein. Englischlehrer der Wilsnacker Schule haben “The Torrent of
Fate” inzwischen ins Deutsche übersetzt. Schüler und andere Interessenten
sollen ein Exemplar erhalten.
Sorge bereitete dem Wilsnacker Kollegium lange Zeit, was aus dem Gedenkstein
wird, wenn die Gesamtschule nach den Sommerferien endgültig ihre Pforten
schließt. “Wir sind mit Ortsbürgermeister Fritz Olboeter überein gekommen,
dass sich die Gemeinde Nitzow künftig um die Pflege kümmern wird”, sagte
Ulla Seeger.