(MAZ, 28.5.) POTSDAM Dutzende Brandenburger Fußballfans, die als gewaltbereit registriert
sind, bekommen in diesen Tagen Besuch von der Polizei. Damit soll verhindert
werden, dass deutsche Hooligans während der Fußball- Europameisterschaft in
Portugal randalieren. Bei der Weltmeisterschaft 1998 war der französische
Gendarm Daniel Nivel von deutschen Hooligans fast zu Tode geprügelt worden.
Den zirka 100 Fans wird in so genannten Gefährderansprachen erklärt, dass
sie bei einer Reise zur EM genau beobachtet werden und beim kleinsten
Anzeichen aus dem Verkehr gezogen werden. Allein im Raum Cottbus werden rund
40 polizeibekannte Fans aufgesucht, in Potsdam 13. Eine “verfestigte
Hooligan-Szene” existiert laut Innenministerium im Land nicht.
Die Berliner Polizei hat 47 “Gefährder” im Blick. Sieben hauptstädtische
Hooligans haben zudem Meldeauflagen erhalten. Sie müssen sich während der EM
vom 12. Juni bis 4. Juli täglich auf der Polizeiwache melden, sonst drohen
Zwangsgeld und ‑haft. Gegen sechs von ihnen wurden “Passbeschränkungen”,
also ein Ausreiseverbot, ausgesprochen. Sie gelten in Polizeikreisen als
“aktiv mit dem Zeug zum Rädelsführer”. Mindestens vier Brandenburger Rowdys
dieses Kalibers erwartet wahrscheinlich Ähnliches. Sie sind in Berlin aktiv
und an die Behörden ihrer Wohnorte gemeldet worden. Zwei von ihnen sind
Hertha BSC, zwei dem 1. FC Union zuzuordnen.
Potenzielle Gewalttäter stehen auch in Portugal unter Beobachtung der
deutschen Behörden. Zwanzig “szenekundige Beamte” werden an Flughäfen,
Bahnhöfen und während der Spiele der deutschen Mannschaft präsent sein, um
den portugiesischen Kollegen Tipps geben zu können. Eigene Befugnisse haben
sie jedoch nicht. Unter ihnen ist der Berliner Polizeikommissar Arne Sieg
(36). Brandenburg entsendet keine eigenen Polizisten. Für die Zeit der
Europameisterschaft hat Portugal das Schengen-Abkommen ausgesetzt und damit
die Grenzkontrollen auch für EU-Bürger wieder eingeführt. Fanbeauftragte
kritisieren unterdessen die Speicherung von bundesweit 4600 Fans in der
Datei “Gewalttäter Sport” als willkürlich und überzogen.
Überraschung an der Grenze
Fanbeauftragter von Babelsberg 03 kritisiert Sammelwut der Polizei
(MAZ, 28.5., Jan Sternberg) POTSDAM/COTTBUS Wahrscheinlich stehe er selbst in der Datei “Gewalttäter
Sport”, erzählt Gregor Voehs, der Fanbetreuer von Babelsberg 03. In Chemnitz
wurde der 42-jährige Sozialarbeiter beschuldigt, Pyrotechnik ins Stadion
schmuggeln zu wollen. Obwohl der Verdacht ausgeräumt werden konnte, landeten
seine Personalien in der Datenbank, die von der “Zentralen
Informationsstelle Sport” (ZIS) beim Düsseldorfer Landeskriminalamt (LKA)
geführt wird. Zirka 4600 Personen sind dort registriert, rund 100 kommen aus
Brandenburg, 700 aus Berlin.
Wer aus dieser Gruppe eine Reise zur Fußball-Europameisterschaft nach
Portugal plant, könnte an der Grenze Probleme bekommen. Denn das
Schengen-Abkommen ist während des Spektakels ausgesetzt, und in den
Computern der Grenzschützer stehen auch die Daten aus der “Gewalttäter
Sport”-Kartei. Ob dort Eingetragene ausreisen dürfen, liegt im Ermessen der
Beamten. Fanbetreuer wie Voehse oder Matthias Bettag, Sprecher des
bundesweiten “Bündnisses aktiver Fußballfans”, befürchten, dass auch
friedliche Fans an ihrem Portugal-Trip gehindert werden.
Denn gespeichert würden Schlachtenbummler auch wegen Bagatelldelikten, so
Voehse. “Wenn sich jemand weigert, bei einem Polizeieinsatz vor dem Stadion
seine Personalien anzugeben, ist er ganz schnell wegen Widerstands gegen die
Staatsgewalt dran.” Mitunter träfe der Bannstrahl des Gesetzes auch gänzlich
Unbeteiligte. Als Babelsberg-Fans auf der Rückfahrt von einem Auswärtsspiel
in Aue die Scheibe eines Waggons zertrümmert hatten, wurde der Zug von der
Polizei gestoppt. Bei der Aktion seien laut Voehse auch die Personalien
unbeteiligter Reisender aufgenommen worden. Auch sie könnten in der Datei
gelandet sein.
Die Polizei weist solche Vorwürfe zurück. “Wir speichern nicht willkürlich,
sondern nach einer genauen Aufstellung von Straftaten”, sagt Frank Scheulen,
Sprecher des Düsseldorfer LKA. Im Internet gibt die ZIS Ratschläge, die im
Einzelfall nicht immer einfach zu befolgen sind: Fans sollten sich keiner
Gruppe anschließen, von der sie annehmen, “dass sie Gewalt sucht oder dazu
bereit ist”.
In Berlin gehe man “sehr sorgfältig” mit der “Gewalttäter”-Datei um, sagt
Iris Tappendorf, Leiterin der Ermittlungsgruppe “Hooligan” der
Hauptstadt-Polizei. “Nicht jeder, der auffällig wird, kommt sofort in die
Datei”.
Gregor Voehse empfiehlt seinen Nulldrei-Fans nun, vor einer Reise zur EM
unbedingt bei der ZIS in Düsseldorf nachzufragen, ob sie in der Datei
gespeichert sind. Bei einem Treffer sollten sie versuchen, die Löschung der
Personalien zu betreiben. Seinem Ratschlag gefolgt ist indes noch niemand -
aus simplem Grund: Den meisten von Voehse betreuten jungen Babelsberg-Fans
fehlt schlicht das Geld für eine Portugal-Reise. Die märkische Unterstützung
auf der Iberischen Halbinsel scheint ohnehin eher mager auszufallen: Denn
auch Sven Graupner vom Fanprojekt des FC Energie Cottbus kennt unter seinen
Anhängern nur “um die zehn Mann, die die ganze Zeit unten bleiben wollen”.