Erneut Antifaschistin in Potsdam vor Gericht. Nach verhindertem Neonaziaufmarsch im
vergangenen Jahr erstellte Polizei Fahndungsplakat
Während am letzten Samstag ein Neonaziaufmarsch in Potsdam von mehreren tausend
Antifaschisten verhindert werden konnte, ist das juristische Nachspiel einer
Gegendemonstration aus dem letzten Jahr noch nicht beendet. Mit Blockaden und
Barrikaden war am 30. Oktober 2004 ein Aufmarsch des Hamburger Neonazis Christian
Worch gestoppt worden. Am frühen Nachmittag hatte sich damals die Lage wieder
entspannt, und die Neonazis hatten sich auf den Weg nach Babelsberg gemacht.
Eigentlich war also alles vorbei, als sich Selina M. einer Absperrung näherte. Eine
Polizistin fuhr die Demonstrantin jäh an: »Beweg deinen Arsch«. Es kam zu einer
kurzen Rangelei, in deren Folge die Beamtin versuchte, die Antifaschistin
festzunehmen. Diese entfernte sich von der Brücke, wurde aber wenig später von drei
Polizisten gestellt. Dabei erlitt sie so schwere Verletzungen, daß sie im
Krankenhaus behandelt werden mußte. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen
gegen sie ein: Beamtenbeleidigung, Widerstand bei der Festnahme und versuchte
Körperverletzung lautete die Anklage. In sechs Verhandlungsterminen sichtete das
Gericht wieder und wieder Videomaterial. Etwa 200 Stunden Filmmaterial gibt es
seitens der Polizei von der Demonstration. Von dem entsprechenden Zeitraum der
Auseinandersetzung konnten aber keine Bilder gefunden werden. Zeugen mußten her und
kamen. Gleich mehrere Polizeibeamte wollen Beleidigungen gesehen und gehört haben.
Sie kommen alle aus derselben Berliner Einheit.
Demonstranten, die das Geschehen
beobachtet haben, schilderten dagegen einen anderen Sachverhalt: Selina M. habe die
Polizisten keinesfalls beschimpft, ebenso wenig hätten ihre Handbewegungen
beleidigende Gesten dargestellt. Es stand also Aussage gegen Aussage. Einen Tag vor
dem neuerlichen Worch-Aufzug am vergangenen Samstag folgte die Urteilsverkündung.
Die Angeklagte wurde zu 300 Euro Geldstrafe verurteilt.
Gegen die drei Zeugen, die
sie entlastet haben, kündigte die Richterin an, Ermittlungen wegen Falschaussage
einzuleiten. Das juristische Nachspiel des 30. Oktober 2004 ist damit aber noch
nicht abgeschlossen. Aus dem umfangreichen Filmmaterial entwarf die Polizei ein
Fahndungsplakat mit 27 angeblichen Gewalttätern aus der linken Szene. Sechs Personen
seien bereits ausfindig gemacht worden, erklärte Dirk Volkland, Leiter der Potsdamer
Kripo. Gegen mindestens zwei Personen folgen nun Strafverfahren. Ein Ende der
Ermittlungen gegen die Vorjahresdemonstration ist noch lange nicht abzusehen.
Anklage gegen Julia S. erhoben
Potsdam. In Potsdam hat die Staatsanwaltschaft Anklage wegen
versuchten Mordes gegen die 22jährige Antifaschistin Julia S. erhoben, wie der
Tagesspiegel (Dienstagausgabe) meldete. Auch vier weitere linke Jugendliche sollen
demnach in den kommenden Tagen eine gleichlautende Anklage bekommen. Julia S. ist
Sprecherin des linken Potsdamer Wohnprojekts »Chamäleon«, das mehrfach von Neonazis
überfallen wurde. Die Staatsanwaltschaft wirft S. vor, sie habe in der Nacht zum 19.
Juni in Potsdam mit den anderen Beschuldigten einen Neonazi überfallen. Obwohl der
16jährige Benjamin Ö. bei der Auseinandersetzung nur leicht verletzt wurde, wertet
die Behörde den Angriff als versuchten Mord, weil ein Teleskopstock eingesetzt
worden sei, der als lebensbedrohliches Tatwerkzeug gelte. Julia S. sitzt seit über
vier Monaten in Untersuchungshaft. Die »Rote Hilfe« bittet um Solidarität und
finanzielle Unterstützung für die Antifaschistin.
Solikonto für Julia S.:
Rote Hilfe Potsdam
Postbank Stuttgart
BLZ: 60010070
KtoNr.: 151907703
Stichwort
Knastsoli