(BM) Potsdam — Die Ausschreitungen am Rande der Proteste gegen Rechtsextremisten
am Sonnabend in Potsdam werden im Parlament ein Nachspiel haben. Wie zuvor
der CDU-Innenexperten Sven Petke hat gestern der PDS-Abgeordnete Hans-Jürgen
Scharfenberg die Erwartung geäußert, daß sich der Innenausschuß des Landtags
mit den Krawallen befaßt. Scharfenberg ist designierter Vorsitzender des
Ausschusses. Er kündigte an, daß das Thema voraussichtlich am 11. November
bei der konstituierenden Sitzung erörtern wird.
Scharfenberg nannte die Krawalle “sehr bedauerlich”. Sie hätten dem Ansehen
der Stadt geschadet. Allerdings habe die große Mehrheit der
Gegendemonstranten, darunter vor allem viele junge Leute, sich eindeutig und
friedlich gegen Rechtsextremismus artikuliert. Diese Teilnehmer hätten für
ein positives Zeichen gesorgt, indem sie den Marsch der Rechtsextremen um
den Hamburger Neonazi Christian Worch durch das Zentrum Potsdams
verhinderten.
Bei der objektiven Untersuchung der Ausschreitungen gehe es auch darum, kein
undifferenziertes Bild zuzulassen, betonte der PDS-Politiker. Die
Randalierer hatten am Sonnabend aus einer Menge von etwa 1000
Gegendemonstranten, die die Potsdamer Lange Brücke gegen den
rechtsextremistischen Aufmarsch blockierten, die Polizei mit Steinen
angegriffen, Feuer gelegt und Sachschaden angerichtet. Zur gleichen Zeit
protestierten in der Innenstadt unter dem Motto “Potsdam bekennt Farbe” rund
2500 Menschen friedlich gegen den Aufmarsch der Rechtsextremisten.
Die Potsdamer Grünen als Mitinitiatoren der Gegendemonstrationen betonten
gestern, gegen Neonazis zu sein legitimiere keine Gewalt. Demonstrationen
dürften nicht genutzt werden, um Langeweile und Frust zu kompensieren, sagte
Sprecherin Katrin Vohland. Der Widerstand gegen Rechtsextreme dürfe nicht
autonomen Schlägertouristen überlassen werden.
Die Steinewerfer, die bei den Krawallen auf Polizisten gezielt hatten,
stammen zum größten Teil aus dem Raum Berlin-Brandenburg, wie es gestern bei
der Polizei hieß. Gegen acht Personen sei Haftbefehl wegen gefährlicher
Körperverletzung und Landfriedensbruch ergangen.
Unter den Verdächtigen sind ein 22jähriger Kosovo-Albaner, der in Potsdam
gemeldet ist, ein 17jähriger Schüler aus Berlin und ein 18jähriger Schüler
aus Walsrode in Niedersachsen. Sie hatten Steine und Molotowcocktails gegen
die anrückenden Beamten geschleudert. Zuvor hatten Randalierer Müllcontainer
angezündet.
“Ihr seid schon echte Helden”
Die Linke ist sauer auf Randale-Touristen / OB dankt für friedlichen Protest
(MAZ, Robert Rudolf) INNENSTADT Katerstimmung noch gestern bei den linken Demonstranten, die sich
am Sonnabend friedlich dem Zug der Neonazis auf der Langen Brücke
entgegengestellt hatten. Immerhin, die Demonstration der Rechtsextremen
durch die Innenstadt habe man verhindern können, nannten Vertreter von Asta,
PDS-Jugend, Jusos und Bündnisgrünen gestern als die Haben-Seite.
Einhellig verurteilten sie die vom so genannten “Schwarzen Block” ausgehende
Gewalt. Die traurige Bilanz des Tages: 18 verletzte Polizisten. Dazu kamen
Sachschäden: Sieben große Blumenkübel und zehn Zaunteile wurden im
Lustgarten beschädigt, sagte Andreas Wandersleben, Sprecher des
Entwicklungsträgers Bornstedter Feld. Glasscheiben in der Breiten Straße
klirrten. Der Step entstanden durch zerstörte Container und die Beseitigung
von zwei Tonnen Müll Kosten von mehreren Tausend Euro Unkosten.
Marek Schaller, stellvertretender Vorsitzender der Potsdamer Jusos,
reagierte mit Unverständnis auf die Steinewerfer: Diese hätten den
Rechtsextremen Christian Worch und seinen Anhang überhaupt “erst in die
Nachrichten gebracht”. Anders als das Demonstrationsbündnis “Potsdam bekennt
Farbe”, das der Konfrontation mit den Rechtsextremen bewusst aus dem Weg
gegangen war, wollte sich Schaller mit anderen Potsdamer Jusos dem Zug
entgegenstellen. Im Rückblick konstatierte er, dass das Bündnis “ja nun
recht gehabt hat”. Die Pressesprecherin des Kreisverbandes der
Bündnisgrünen, Katrin Vohland, widerspricht dem: “Es war unglücklich, dass
sich die Demonstrationen geteilt haben.” Hätten sich mehr “Bürger” den
Rechtsextremen entgegenstellt, dann wäre die Gewaltbereitschaft der
Randalierer geringer ausgefallen, so ihre Einschätzung. Sie verteidigte in
einer Presseerklärung das Gewaltmonopol des Staates und erklärte:
“Demonstrationen dürfen nicht zur Kompensation von Langeweile und Frust
genutzt werden, dieser linke Nihilismus ist Brandenburg genauso abträglich
wie völkischer Nationalismus.”
Für den Landesvorsitzenden der PDS-Jugend “Solid”, Robert Wollenberg,
handelte es sich bei den Randalierern um “Krawall-Touristen”, auf die aus
der linken Szene “viele Leute wirklich sauer” seien. Das spiegelt sich
mittlerweile auch in den Auseinandersetzungen im Internet wieder. Auf einer
Plattform namens “Inforiot” prahlt jemand ein offensichtlich unter
Realitätsverlust leidender Held unter dem Namen “pdmwestrulez” im
Diskussionsforum: “Es war an der Zeit, dieser Stadt und den Nazis zu zeigen,
was wir können! Das bleibt den Faschos, ob grün oder braun, im Kopf, und das
ist richtig so.” Ein anderer Diskussionsteilnehmer mit Namen “Maik”
entgegnet: “Ihr Krawallbrüder seid schon echte Antifaschisten, echte Helden!
(…) Schade dass nicht hart genug gegen Straftäter wie euch durchgegriffen
wird.”
Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) dankte gestern all jenen, “die am
Samstag friedlich und mit vielen guten Ideen gegen die Zusammenrottung von
Neonazis in unserer Stadt protestiert haben”. Auch Jakobs sprach von
Krawall-Touristen, die dem gemeinsamen Anliegen “für Toleranz,
Gewaltfreiheit und ein friedliches Miteinander einzustehen” Schaden zugefügt
hätten. “Sie spielen den Neonazis in die Hände”, sagte Jakobs.
Sicherheitskräfte räumten gestern ein, die Einsatzlage vorab falsch
eingeschätzt zu haben.