Was im Falle der Deutschen Bahn selbst noch beraten und verhandelt wird, ist im
Potsdamer Hauptbahnhof schon längst Realität: Die Privatisierung öffentlicher Räume
und öffentlicher Güter. Dieser Ort ist ein wichtiger Knotenpunkt des öffentlichen
Personenverkehrs in Potsdam: Regionalbahn, Tram, diverse Buslinien- am am
Hauptbahnhof kommt mensch kaum vorbei. Durch die vielen
hundert Menschen, die diesen
Knotenpunkt täglich nutzen, werden die sogenannten Bahnhofspassagen zu einem der
wichtigsten öffentlichen Plätze Potsdams. Doch Moment? Ist es wirklich ein
öffentlicher Platz?
Profit statt Freiheit
Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass es sich bei den „Bahnhofspassagen“ um
einen privaten Raum handelt, der rein wirtschaftlichen Interessen untergeordnet ist:
Die eigens geschaffene Hausordnung verbietet vieles von dem, was die meisten
Menschen außerhalb des Bahnhofes als ihre Rechte verstehen: Politische
Meinungsäußerungen, Musik, Ausruhen, Essen und Trinken. Die Hausordnung soll dafür
sorgen, dass konsumfreudige Menschen in den Geschäften, ihre Kauflust stillen und
durch die Atmosphäre zu weiteren Einkäufen animiert werden. Was dem Profitstreben
des Centermanagments im Wege steht, wird daher auch schonmal mit einem Hausverbot
bedacht.
Ganz besonders hart trifft es soziale Randgruppen, die ohnehin schon ihrer
Rückzugsräume beraubt sind: Beispielsweise Obdachlose, die bei klirrender Kälte
einen der wenigen warmen Plätze der Stadt aufsuchen wollen. Oder Flüchtlinge, die
nur wegen ihrer Herkunft kontrolliert und schikaniert werden.
… und plötzlich kam der Sheriff
Durchgesetzt werden Hausordnung und Hausverbote durch einen Sicherheitsdienst, bei
dessen Anblick vielen Menschen nicht klar ist, ob dieser ein Gefühl der Sicherheit
oder doch nicht eher ein Gefühl von Unwohlsein produzieren soll. Dazu kommt die hier
ansässige Bundespolizei, deren Streifendienste zusammen mit dem Sicherheitsdienst
manchem Besucher das Gefühl geben, sich eher in einem Hochsicherheitstrakt als in
einem offenen Bahnhof zu befinden.
Garniert wird das alles noch mit einer der höchsten Überwachungskameradichte
Potsdams — verteilt über alle Ecke und Gänge des Gebäudes finden sich hier zig
Kameras, die täglich alle herumlaufenden Menschen aufzeichnen. Küssen, in der Nase
bohren oder was sonst noch eher Privatsache der Menschen ist — im Hauptbahnhof
können sie sicher sein, dabei beobachtet und gefilmt zu werden.
Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast…
Die Überwachung auf Bahnhöfen hat inzwischen erschreckende Dimensionen angenommen:
Durch das Filmen nahezu aller Bahnfahrenden an Start- und Zielbahnhof, durch das
Aufzeichnen der Daten beim Kauf einer Fahrkarte und durch personalisierte Tickets
kann praktisch jede Bewegung eines Menschen innerhalb dieses Netzes nachvollzogen
werden. Wem das alles dienen soll, das lassen die Betreiber dieser
Überwachungsmaßnahmen im Dunkeln. Die Ursachen von Kriminalität wie Armut bekämpfen
Kameras jedenfalls mit Sicherheit nicht. Was bleibt, ist ein Gefühl der ständigen
Beobachtung, das wirkliche Freiheit nahezu unmöglich macht. Wer weiß, dass er in
diesem Moment gefilmt, beobachtet und kurz gesagt überwacht wird, kann sich nicht
unbefangen durch diesen Bahnhof bewegen.
Eine allgemeine Entwicklung
Der Potsdamer Hauptbahnhof ist also ein Ort, wo nicht das Gemeinwohl oder eine
gesellschaftliche Betätigung zählt, sondern der maximale Gewinn der ansässigen
Geschäfte und des Centermanagments. Aber wie sieht es an anderen Orten Potsdams aus?
Die Einschränkung öffentlicher Räume zugunsten privaten Besitzes findet längst an
viel mehr Orten statt. In der Nähe der Glienicker Brücke entstand ein geschlossenes
Wohngebiet für die reicheren Teile der Bevölkerung: Komplett eingezäunt und mit
eigenem Sicherheitsdienst versehen, müssen die Bewohner_innen nicht mehr fürchten,
mit der normalen Bevölkerung in Kontakt zu kommen. Getrübt wird das Vergnügen leider
immer noch von dem Mob, der den angrenzenden Uferweg unsicher macht. Kurzerhand
entschlossen sich einige der wohlhabenderen Anwohner am Griebnitzssee, die Sache in
die eigene Hand zu nehmen, bezahlten einen Sicherheitsdienst und sperrten den Weg in
Eigenregie ab. Hier sollte mit der Macht des Geldes ein von vielen Bewohner_innen
Potsdams benutzer Weg dem Interesse einiger weniger reicher Anwohner untergeordnet
werden.
Geld regiert die Welt?
Privatisierungen, egal ob von öffentlichen Plätzen oder Betrieben, stehen für uns im
Zusammenhang mit der kapitalistischen Globalisierung. Wo nicht das Interesse der
Menschen, sondern das Profitstreben einiger weniger im Mittelpunkt steht, ist das
auch kein Wunder. Es soll Geld gemacht werden, koste es, was es wolle. Uns soll
eingeredet werden, dass wir nur mit mehr Wettbewerb, mehr Privatisierung überhaupt
im globalen Vergleich bestehen können — und deshalb alle Einschränkungen und
Kürzungen unserer Freiheiten und Lebensqualitäten hinnehmen sollen. Um das zu
erreichen, sollen auch die letzten Unternehmen, die noch nicht am maximalen Gewinn
orientiert sind, in private, profitorientierte Unternehmen umgewandelt werden. Was
beispielhaft am Potsdamer Hauptbahnhof schon längst vollzogen, soll jetzt auch für
die Bahn selbst geschehen — mit all den Einschränkungen und Problemen, die das für
Kund_innen und Angestellte der Bahn mit sich bringen wird. Mit dem Argument „Wir
müssen sparen und mehr Geld erwirtschaften, um uns gegen die Konkurrenz behaupten zu
können“, wird noch so mancher Lohn geringer und so manche Fahrkarte teurer werden.
Macht kaputt, was euch kaputt macht
Wir wollen aber kein Potsdam und keine Gesellschaft, wo dem Profitstreben alles
untergeordnet wird. Wo auf Freiheiten der Menschen gepfiffen wird und der einzelne
Mensch nur noch so viel wert ist, wie viel Geld er ausgeben kann.
Wir wollen dieser gesellschaftlichen Entwicklung ein Modell einer solidarischer
Gesellschaft entgegenstellen, in der das Wohl aller Menschen an oberster Stelle
steht und wo Freiheiten und Grundrechte nicht durch Hausordnungen und
Überwachungsmaßnahmen beschränkt werden. Aus diesem Grund wollen wir heute hier im
Potsdamer Hauptbahnhof genau diese Rechte einfordern und ihn für eine kurze Zeit in
einen Freiraum für Kultur, Politik, Sport, Musik und Selbstbestimmung
zurückverwandeln.
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