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Begegnung aus dem Effeff

In Frank­furt an der Oder folterten Neon­azis stun­den­lang einen Jugendlichen. Die Stadtver­wal­tung sieht keine poli­tis­chen Hin­ter­gründe der Tat

(Jun­gle World, 24.8.04, Jes­si­ca Kon­rad) Wenn ein Neon­azi einen Autoun­fall baut, ist das kein recht­sex­tremer Über­griff. Das meint zumin­d­est der Press­esprech­er der Stadt Frank­furt an der Oder, Heinz-Dieter Wal­ter. Mit dieser banalen Fest­stel­lung hat er wohl Recht. Er wurde jedoch nicht nach sein­er Mei­n­ung zu Neon­azis, die nicht Auto fahren kön­nen, gefragt, son­dern zu einem recht­en Über­griff, der an Bru­tal­ität kaum zu übertr­e­f­fen ist. 

Anfang Juni wurde ein junger Mann im Frank­furter Stadt­teil Neu­beresinchen von fünf jun­gen Leuten auf offen­er Straße ent­führt, regel­recht »von der Straße wegge­fan­gen«, sagt die Frank­furter Staat­san­waltschaft. Er wurde in eine Woh­nung gebracht und dort stun­den­lang schw­er gefoltert, mis­shan­delt und verge­waltigt. Er über­lebte nur Dank ein­er Not­op­er­a­tion und musste zunächst in ein kün­stlich­es Koma ver­set­zt wer­den. Inzwis­chen kon­nte er das Kranken­haus ver­lassen. Nach Angaben der Staat­san­waltschaft wird er bleibende Schä­den davontragen. 

Den­noch ist Wal­ter der Mei­n­ung, dass man nun wirk­lich nicht »über jeden Stock sprin­gen« müsse, der einem im Zusam­men­hang mit rechter Gewalt hinge­hal­ten werde. Schließlich gelte zunächst die Unschuldsver­mu­tung, sagte er der Jun­gle World. Und über­haupt sehe er keinen poli­tis­chen Hin­ter­grund der Tat. Deshalb habe die Stadtver­wal­tung es auch nicht für notwendig gehal­ten, sich zu äußern. »Wer behauptet, die Stadt unter­drücke Nachricht­en und ver­harm­lose rechte Gewalt, betreibt Brun­nen­vergif­tung«, sagt Walter. 

Nach dem bish­eri­gen Stand der Ermit­tlun­gen beteiligten sich drei Män­ner und zwei Frauen an der Folter. Nach Infor­ma­tio­nen der linken Gruppe Kri­tik & Prax­is Berlin sind zumin­d­est die beteiligten Män­ner in Frank­furt an der Oder als Neon­azis bekan­nt. Inzwis­chen kon­nten drei der mut­maßlichen Tat­beteiligten festgenom­men wer­den, teilte Ulrich Scherd­ing von der Staat­san­waltschaft Frank­furt der Jun­gle World mit. Die Staat­san­waltschaft wirft ihnen gefährliche Kör­per­ver­let­zung, sex­uelle Nöti­gung und Verge­wal­ti­gung vor. Gegen einen weit­eren mut­maßlichen Beteiligten, Ron­ny B., läuft eine bun­desweite Fah­n­dung. Über B. könne »man ohne viel Phan­tasie sagen, dass er ein Rechter ist«, sagte Scherd­ing. Der Staat­san­waltschaft zufolge habe er die »ganze krim­inelle Palette« recht­sex­tremer Straftat­en aufzuweisen. 

In Frank­furt an der Oder will man aber von einem poli­tis­chen Hin­ter­grund nichts wis­sen. Auch deshalb organ­isierte die Autonome Antifa Frank­furt an der Oder (Aafo) vor zwei Wochen eine Demon­stra­tion, an der sich rund 350 Per­so­n­en beteiligten. Sie richtete sich gegen rechte Gewalt und den Umgang der Stadt mit diesem Prob­lem. »Die Stad­to­beren (…) strafen die mas­siv­en recht­sradikalen Über­griffe der let­zten Zeit immer öfter mit Desin­ter­esse und Igno­ranz, ohne sich klar gegen Nazis zu posi­tion­ieren«, heißt es in dem Aufruf. Der Ober­bürg­er­meis­ter von Frank­furt, Mar­tin Patzelt (CDU), dis­tanzierte sich post­wen­dend in ein­er Presseerk­lärung von der Demon­stra­tion. Er sei nicht der Mei­n­ung, dass der Protest »in erfol­gver­sprechen­der Art und Weise« recht­sex­tremem Denken und Han­deln begeg­nen werde. 

Beson­deren Anstoß nahm er am Mot­to der Demon­stra­tion: »Dem Grauen ein Ende set­zen – Während die Anständi­gen nur auf­ste­hen, greifen wir an.« Hier­mit werde zu einem »gewalt­samen Vorge­hen« aufgerufen; die Demon­stran­tInnen set­zten sich ins Unrecht. Seit Jahren werde in Frank­furt den Neon­azis »mit spür­barem Erfolg« von den Bürg­erin­nen und Bürg­ern der Stadt die Stirn geboten, betonte er. Ein Aktivist der Aafo hinge­gen sagte der Jun­gle World, angesichts der zahlre­ichen Gewalt­tat­en der let­zten Zeit stelle sich die Frage, »wo der Erfolg zu sehen sein soll«. 

Zwar seien nach Ein­schätzung der Aafo in Frank­furt die Struk­turen der NPD nahezu zusam­menge­brochen, dafür gebe es eine Organ­isierung auf der Ebene der neon­azis­tis­chen Kam­er­ad­schaften. Allerd­ings werde der abendliche Gang durch Frank­furt nicht nur wegen organ­isiert­er Neon­azis oft zu einem Spießruten­lauf. Eben­so macht­en einem »besof­fene Auto­pro­lls« das Leben schwer. 

Dass diese rechte Grund­stim­mung für viele eine generelle Bedro­hung darstellt und ein rechter Über­griff nicht erst ein­er ist, wenn er von einem organ­isierten, »Sieg Heil« rufend­en Neon­azi began­gen wird, ist bis zu den Ver­ant­wortlichen der Stadt offen­bar noch nicht vorge­drun­gen. Über eine der vie­len Schlägereien zwis­chen deutschen und aus­ländis­chen Jugendlichen aus der jüng­sten Zeit sagt Wal­ter, die Jugendlichen hät­ten sich »in Wirk­lichkeit um ein Mäd­chen gekloppt«. 

Die Angst um einen Imagev­er­lust der Stadt ist spür­bar. Während der so genan­nte Auf­s­tand der Anständi­gen im Som­mer 2000 ein­er­seits Pro­jek­te gegen rechte Gewalt und Opfer­ber­atun­gen zumin­d­est zeitweise stärk­te, war er ander­er­seits auch Aus­druck der Angst von Städten und Unternehmen, dass rechte Umtriebe Investi­tio­nen behin­dern kön­nten. Frank­furt an der Oder kann sich als deutsch-pol­nis­che Gren­zs­tadt und Sitz der Europa-Uni­ver­sität Viad­ri­na einen Ruf als brown­town nicht leisten. 

Die Stadt hebt in ihrer Selb­st­darstel­lung die Europa-Uni­ver­sität beson­ders her­vor. Dank ihr werde Frank­furt zur »Bil­dungs­brücke zwis­chen Ost und West«, was durch die Lage an der Gren­ze zu Polen begün­stigt werde. Ger­ade dadurch werde die knapp 70 000 Ein­wohner­In­nen zäh­lende Stadt zu ein­er »€päis­chen Begeg­nungs- und Kom­mu­nika­tion­sstadt«, die für die gesamte Gren­zre­gion von Bedeu­tung sei. Die Uni­ver­sität sieht nach eigen­em Bekun­den eine ihrer Auf­gaben darin, das Zusam­menwach­sen Europas zu fördern. 

Die Kam­pagne »FF – Fre­undlich­es Frank­furt« soll das klare Beken­nt­nis der Stadt gegen Recht­sex­trem­is­mus und Gewalt verdeut­lichen. Mit Aufk­le­bern und T‑Shirts der Kam­pagne kön­nten Bürg­erin­nen und Bürg­er ein »sicht­bares Zeichen (…) für Tol­er­anz und Gast­fre­undlichkeit« set­zen, heißt es auf der Home­page der Stadt. 

Die Aafo ver­mutet hin­ter diesem Engage­ment allerd­ings eher Imagear­beit als eine ern­sthafte Auseinan­der­set­zung mit dem Recht­sex­trem­is­mus in der Stadt. Zudem hät­ten sich bis hin zur PDS Ver­bände und Ini­tia­tiv­en von der Demon­stra­tion dis­tanziert. Die städtis­che Kam­pagne diene let­ztlich auch dazu, linksradikale antifaschis­tis­che Arbeit zu dele­git­imieren, meint der Aktivist der Aafo. 

Nach wie vor verge­ht kaum ein Monat ohne rechte Angriffe in der Stadt. Bei einem der bru­tal­sten Über­griffe prügel­ten im März 2003 drei Neon­azis einen Punk in sein­er Woh­nung zu Tode. Im April diesen Jahres schlu­gen acht junge Män­ner einen Asyl­be­wer­ber aus Sier­ra Leone so lange, bis er ins Koma fiel. Die Polizei meldete den Vor­fall nicht der Öffentlichkeit, weil sie von ein­er »harm­losen Kneipen­schlägerei« aus­ging. Der Vere­in Opfer­per­spek­tive machte den Vor­fall schließlich bekannt. 

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