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»Wir haben uns zunächst verschätzt«

(Jun­gle World, 24.8.04, Ivo Boz­ic) Thomas Nord ist Lan­des­geschäfts­führer und Mit­glied des Lan­desvor­stands der PDS in Bran­den­burg. Der 47jährige Kul­tur­wis­senschaftler aus Berlin arbeit­ete zuvor als Wahlkreis­mi­tar­beit­er des ehe­ma­li­gen Bun­destagsab­ge­ord­neten Wolf­gang Gehrcke. Er trägt gerne Led­er­jack­en und hat einen kurzen Draht zu Gre­gor Gysi und Lothar Bisky. Am 19. Sep­tem­ber find­en in Bran­den­burg und Sach­sen Land­tagswahlen statt. 

Die PDS ist erst seit ein paar Wochen im Aufwind, obwohl die SPD schon seit weit über einem Jahr in ein­er fun­da­men­tal­en Krise steckt. Wie erk­lären Sie sich, dass die PDS erst jet­zt von dem Absturz der Sozialdemokrat­en profitiert?

Desil­lu­sion­ierung­sprozesse dauern wohl etwas länger. Jet­zt erfahren rel­a­tiv viele Men­schen sehr konkret, was die Hartz-Refor­men für sie bedeuten. Daraus resul­tieren ganz indi­vidu­elle Betroffenheiten. 

Aber weshalb prof­i­tiert die PDS erst jet­zt davon? Bish­er war es vor allem die CDU.

Die Stim­mung gegenüber der SPD war schon länger schlecht. Ich denke aber, dass vie­len Bürg­erin­nen und Bürg­ern nicht so bewusst war, dass diese Refor­men sie per­sön­lich tre­f­fen wer­den. In ein­er Sit­u­a­tion der großen Ent­täuschung sucht man nach poli­tis­chen Alter­na­tiv­en, und da bietet sich die PDS an, weil sie von Anfang an gegen die Agen­da 2010 war und gegen Hartz IV

Bish­er prof­i­tiert die PDS vor allem im Osten. Dort find­en auch die meis­ten Anti-Hartz-Proteste statt. Woran liegt das?

Auf niedrigem Niveau wirkt sich das auch in den Umfra­gen im West­en aus. Dort ist die PDS ja bekan­nter­maßen per­son­ell schwach vertreten und nicht so wahrnehm­bar. Im Osten ist die PDS natür­lich wesentlich stärk­er in der Gesellschaft verankert. 

Im Osten wird auch mehr demon­stri­ert als im Westen.

Die Betrof­fen­heit ist im Osten größer. Hier leben wesentlich mehr Langzeitar­beit­slose als in den alten Bun­deslän­dern, und für die ist es ja beson­ders hart, was Hartz IV ihnen zumutet. 

In Berlin und Schw­erin regiert die PDS und ist somit auch an drastis­chen Spar­maß­nah­men beteiligt.

Die Lan­desregierun­gen von Berlin und Meck­len­burg-Vor­pom­mern waren die einzi­gen, die sich gegen Hartz IV aus­ge­sprochen haben. 

Aber Hartz IV ist doch nur die Spitze des Eisberges.

Das ist richtig. Wir haben uns als Gesamt­partei von Anfang an gegen die Agen­da 2010 aus­ge­sprochen, und das ist auch von den Lan­desmin­is­tern mit­ge­tra­gen und öffentlich ver­mit­telt wor­den. Dass unsere Min­is­terin­nen und Min­is­ter jet­zt in der Sit­u­a­tion sind, ein von Bun­destag und Bun­desrat beschlossenes Gesetz mit umset­zen zu müssen, das gehört dazu, wenn man bere­it ist, Regierungsver­ant­wor­tung zu übernehmen. 

Bun­destagspräsi­dent Wolf­gang Thierse hat der PDS vorge­wor­fen, mit ihrer Anti-Hartz-Mobil­isierung auch den recht­sex­tremen Rand der Gesellschaft zu fördern. Beste­ht diese Gefahr nicht tat­säch­lich, wenn man sich die Beteili­gung von Neon­azis an den Mon­tags­demon­stra­tio­nen anschaut?

Wenn hier jemand – wenn auch unge­wollt – den Recht­sex­trem­is­mus befördert, dann ist es die Bun­desregierung mit ihrer Geset­zge­bung. Der Protest ist ja nicht dadurch zus­tande gekom­men, dass die PDS ihn ange­heizt hat, son­dern er kommt ja wirk­lich von den Betrof­fe­nen selb­st. Die PDS hat schlicht die demokratis­che Ver­ant­wor­tung, dafür zu sor­gen, dass der Protest demokratisch bleibt, anti­ras­sis­tisch und antifaschis­tisch. Dort, wo wir nicht bere­it sind, uns dieser Auf­gabe zu stellen, ist es in der Tat so, dass recht­sex­tremen Kräften Tür und Tor geöffnet wird. 

Wieso hat die PDS es nicht geschafft, sel­ber einen solchen Wider­stand zu organisieren?

Wir hat­ten hier in Bran­den­burg zunächst nicht die Ein­schätzung, dass die Bürg­erin­nen und Bürg­er mit einem solchen Protest reagieren wür­den. Wir haben uns mit dieser Ein­schätzung geir­rt. Die Betrof­fen­heit ist größer, als wir sel­ber ver­mutet haben. Jet­zt sind wir gefordert, diesen Protest, den wir poli­tisch richtig find­en, zu unterstützen. 

Die PDS ist zurzeit Umfra­gen zufolge stärk­ste Partei in Bran­den­burg. Doch wenn sie gewin­nt, wird die SPD niemals als Junior­part­ner­in eine PDS-Min­is­ter­präsi­dentin stützen. Die einzige Chance der PDS mitzuregieren, ist, die Wahl zu ver­lieren. Ist das Ihr neues Wahlziel?

Das war nie unsere Strate­gie und wird es auch nie wer­den. Von Anfang an haben wir gesagt, unsere Ziel­stel­lung ist es, eine andere Poli­tik für Bran­den­burg durchzuset­zen. Das ist unser Maßstab. 

Was wäre Ihnen denn lieber, eine rot-rote Regierung mit ein­er SPD als stärk­ster Frak­tion, oder dass die PDS stärk­ste Partei wird und CDU und SPD weiterregieren?

Wir kön­nen unsere Poli­tik genau­so gut in der Oppo­si­tion vertreten wie in der Regierung. Es war ja auch bis jet­zt schon so, dass die große Koali­tion nicht alle Vorhaben durch­set­zen kon­nte, weil die PDS als Oppo­si­tion­skraft auf Verän­derun­gen der Regierungspoli­tik gedrängt hat. Als Beispiel sei das Bom­bo­drom erwäh­nt. Nur durch die starke Bürg­erini­tia­tive und den Kampf in der Region, unter­stützt von der PDS im Par­la­ment, haben sich die Posi­tio­nen bei SPD und CDU verändert. 

Es gab Speku­la­tio­nen, ob die PDS auch einen SPD-Min­der­heits-Min­is­ter­präsi­den­ten Platzeck mit­tra­gen würde. Ist das The­ma durch?

Unsere Spitzenkan­di­datin Dag­mar Enkel­mann hat erk­lärt, als Min­is­ter­präsi­dentin anzutreten, wenn es das Wahlergeb­nis erfordert. Dahin­ter ste­ht die PDS Brandenburg. 

Ist die neu gegrün­dete Wahlal­ter­na­tive eine Bedro­hung für die PDS, ger­ade im Hin­blick auf den West­en und auf die Bun­destagswahlen 2006?

Ich sehe darin keine Bedro­hung. Ich weiß noch gar nicht so genau, was ich von dieser Wahlal­ter­na­tive hal­ten soll. Sie ver­ste­ht sich ja gegen­wär­tig als Samm­lungs­be­we­gung für Protest. Die inhaltliche Grun­dori­en­tierung ist noch ziem­lich unklar. Sie fokussieren alles nur auf das The­ma Abbau des Sozial­staates. Aber ich glaube, dass Deutsch­land ins­ge­samt eine andere Poli­tik braucht, auch auf anderen Poli­tik­feldern. Wir brauchen eine andere Innen­poli­tik, einen anderen Umgang mit Asyl­be­wer­berin­nen und –bewer­bern, wir brauchen einen Abbau der Repres­sio­nen, die nach dem 11. Sep­tem­ber 2001 auch in Deutsch­land in Geset­ze gegossen wur­den. Ich ver­misse die Bere­itschaft der Wahlal­ter­na­tive, sich da klar und deut­lich zu äußern. Da möchte man sich wohl herum­mo­geln, weil man glaubt, dass es son­st mit der Ein­heit dieses Bünd­niss­es sehr schnell vor­bei wäre. 

Und wenn dort Oskar Lafontaine und Gre­gor Gysi mit­machen wür­den, oder wenn die bei­den eine eigene Partei auf­machen würden?

Auch davor habe ich keine Angst. Lafontaine ist nach wie vor Mit­glied der SPD, und Gysi ist Mit­glied der PDS. Ich kenne auch keine aktuellen Äußerun­gen von Gre­gor Gysi, dass er vorhat, mit Lafontaine eine eigene Partei aufzu­machen. Im Gegen­teil, er macht zurzeit inten­siv Wahlkampf für die PDS in Bran­den­burg und Sach­sen. Im Übri­gen sind zwei Spitzen­poli­tik­er noch keine Partei, die in der Gesellschaft die nötige Ver­ankerung hat. 

Rech­net die PDS mit Gre­gor Gysi im Bun­destagswahlkampf 2006?

Er hält sich diese Frage ja sel­ber noch offen. Da will ich ihm nicht vor­greifen. Ich weiß, dass sich Lothar Bisky sicher­lich darüber freuen würde, aber let­ztlich ist das eine Entschei­dung von Gre­gor Gysi selb­st. Und die hat er noch nicht getroffen.

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