(Junge Welt, 13.8.,Johann Tieck) Auf offener Straße wird ein 23jähriger am 5. Juni niedergeschlagen und in eine Privatwohnung verschleppt. Die anderthalb Tage andauernden Mißhandlungen, die er dort zu erleiden hat, überlebt er nur knapp. Tatort ist nicht irgendeine Folterdiktatur in der dritten Welt, sondern der Stadtteil Neuberesinchen in Frankfurt/Oder. Die Täter, drei Männer und zwei Frauen, sind größtenteils vorbestrafte Neonazis. Das schwerverletzte Opfer, das der linken Szene zugerechnet wird, wird noch immer im Klinikum Markendorf im künstlichen Koma gehalten.
Neben der Grausamkeit der Tat ist an diesem Fall bemerkenswert, daß das Geschehen nur schwaches mediales Interesse auf sich zog. Zudem nahm die Polizei zwar kurz nach Bekanntwerden der Tat mehrere Verdächtige fest, ließ sie aber schon wenig später wieder frei. Zu den Entlassenen gehört auch Ronny B., dem – nach Polizeiangaben – schon »die ganze kriminelle Palette« rechtsextremistischer Straftaten angelastet wird. Er ist inzwischen flüchtig und wird in Polen vermutet. Auf Hinweise, die zu seiner Ergreifung führen, ist eine Belohnung von 1 500 Euro ausgesetzt. Die Tat ist der bisherige Höhepunkt einer langen Kette von Neonaziübergriffen in Frankfurt/Oder, die bereits ein Todesopfer gefordert haben. Ende März 2003 überfielen Neonazis einen Punk in seiner Wohnung und stachen ihn nieder, nachdem sie ihn ebenfalls mißhandelt hatten. Das Opfer erlag kurz darauf seinen schweren Verletzungen.
Die meisten Täter sind hier offenbar nicht in der örtlichen Kameradschaft oder einer anderen neonazistischen Struktur organisiert. Die Führungskader von NPD und »Freien Kameradschaften« haben der Stadt den Rücken gekehrt. Gleichwohl ist mit einer Entspannung der Lage nicht zu rechnen. Daher hat die Autonome Antifa Frankfurt/Oder zusammen mit antifaschistischen Gruppen aus Brandenburg und Berlin für den heutigen Freitag abend zu einer Demonstration gegen den rechten Terror aufgerufen. Der Stadt wird vorgeworfen, ähnlich wie die Presse zu den Vorfällen wie dem vom 5. Juni keine Stellung zu nehmen. Die Polizei habe selbst Übergriffe, bei denen es auch Schwerverletzte gab, einfach verheimlicht.
Neonazis folterten in Frankfurt/Oder: Soll der Vorfall vertuscht werden?
Interview von Junge-Welt-Autor Hannes Heine mit Timon Müller, dem Sprecher der Berliner Gruppe »Kritik & Praxis«
F: Am 5. Juni dieses Jahres haben in Frankfurt/Oder drei Männer und zwei Frauen einen 23jährigen Mann aus der linken Szene schwer gefoltert. Steht inzwischen fest, daß es sich bei den Tätern um Neonazis handelt?
Die Männer sind in Frankfurt/ Oder als Neonazis bekannt. Zumindest gegen zwei von ihnen wurde bereits wegen Straftaten mit eindeutig rechtsextremem Hintergrund ermittelt. Die Aussage, die Tat stünde mit einer vorangegangenen Vergewaltigung eines Mädchens durch das Opfer im Zusammenhang, hat die Polizei als Schutzbehauptung zurückgewiesen.
F: Am heutigen Freitag organisieren Sie in Frankfurt/Oder eine Demonstration mit, um auf die Tat aufmerksam zu machen. Wäre das nicht Aufgabe der Antifaschisten vor Ort?
Die Autonome Antifa Frankfurt/Oder ist an der Vorbereitung der Demonstration beteiligt. Sie hat einen Aufruf geschrieben, der vor allem ihre Kritik am zivilgesellschaftlichen Antifaschismus formuliert. Die Gruppe »Kritik & Praxis« hat einige Gedanken zu den Ursachen der Tat und dem Verhältnis von Gesellschaft, Gewalt und Kapitalismus beigesteuert. Wir mobilisieren jetzt unter dem Motto »Während die Anständigen nur aufstehen, greifen wir an! Dem Grauen ein Ende bereiten« …
F: … womit die örtlichen Behörden wohl ein Problem gehabt haben dürften.
Tatsächlich hat das zuständige Polizeipräsidium in dieser Formulierung einen Aufruf zur Gewalt entdeckt und uns untersagt, sie auf Transparenten zu verwenden. Unabhängig davon wird die Demonstration unsere Position sichtbar machen.
F: Der Folterfall ist von den Medien bisher kaum beachtet worden. Im Online-Archiv der lokalen Märkischen Oderzeitung scheinen Meldungen dazu gezielt gelöscht worden zu sein. Wie erklären Sie sich, daß der Vorfall erst durch alternative Internetmagazine bekannt wurde?
Neonazis sind schlecht für das Investitionsklima. Zumindest dieses unterschwellige Statement des Aufstands der Anständigen scheint in Frankfurt angekommen zu sein. Die ausgebliebene öffentliche Empörung ist erstaunlich, vor allem wenn man die Reaktionen auf die Bilder folternder US-Soldaten im Irak bedenkt. Die Zustände im eigenen Land scheinen viele weniger kritisch zu sehen.
F: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat bestätigt, daß die beiden tatverdächtigen Frauen gefaßt wurden und derzeit in Untersuchungshaft sitzen. Gerade sie sollen bestialisch gequält haben.
Ähnlich wie bei der wegen der Mißhandlung Gefangener im Irak angeklagten US-Soldatin schockiert es viele Menschen, Frauen als Täterinnen wahrzunehmen. Die dem zugrundeliegende Vorstellung, es gäbe ein weibliches, weniger aggressives Verhalten, ist als Ausdruck geschlechtlicher Normierung und damit als Instrument zur Herrschaftssicherung zurückzuweisen.
Antifademonstration in Frankfurt/O. am 13.8., Beginn: 19 Uhr am Einkaufszentrum HEP (Neuberesinchen). Treffpunkt für gemeinsame Anreise aus Berlin: 17 Uhr, Ostbahnhof, Gleis 1