Zuerst wäre zu bemerken, dass es im Raum Uckermark/Barnim keine rein kommunalen Organisationen von Rechtsextremen gibt. Alle arbeiten regional, dass heißt in mehreren Orten gleichzeitig. Stark ausgeprägt sind die überregionalen Verflechtungen der Neonazi-Organisationen. Sogar internationale Beziehungen sind polizeilich nachgewiesen. Die Aufgaben des polizeilichen Staatschutzes im Bereich Rechtsextremismus liegen in der Gefahrenabwehr und in der Erforschung von Straftaten. Dabei werden Daten an die zuständige Staatsanwaltschaft und an das Landesamt für Verfassungsschutz weitergegeben. Wichtigste Quelle bei den Ermittlungen in diesem Bereich sind laut Leichsenring die Aussagen von Zeugen und Opfern rechtsradikaler Gewalt. Wichtig ist noch, dass der Staatschutz nur im Hinblick auf rechtsextreme Bestrebungen hin aktiv wird. Extremismus definiert sich in der Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung der BRD. Radikale Äußerungen oder Gruppierungen sind – im Gegensatz zum Extremismus – durch die Demokratie gedeckt.
Im Zuständigkeitsbereich des Eberswalder Polizeipräsidiums (Landkreise Barnim und Uckermark) ist eine Verschiebung der Straftaten von der Gewaltkriminalität in den Bereich der Propagandadelikte zu beobachten. Im Jahr 2000 sank die Anzahl der Gewaltdelikte um 50 % gegenüber dem Vorjahr. Auch insgesamt ging die Zahl der Straftaten zurück. Es gibt allerdings Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen. So sank die Anzahl der Nazi-Straftaten im Schutzbereich Eberswalde von 22 auf 14, in Bernau hingegen ist ein Anstieg von 61 auf 69 zu beobachten. Bernau und Prenzlau sind die Bereiche mit den meisten Straftaten. Brennpunkt ist die Region um Prenzlau.
Frau Leichsenring ging von den allgemeinen Zahlen dann zu Details der Strukturen der regionalen Neonaziszene über. Sie führte an, dass die Szene im Raum Uckermark/Barnim von nur zwei „Führern“ zusammengehalten wird. Sie nannte zwar keine Namen, aber aus Ihren Aussagen wurde deutlich, dass es sich hierbei um Frank SCHWERDT (NPD Landesverband Berlin) und um den Ex-Eberswalder Gordon REINHOLZ handelt. Vor allem von diesen beiden Männern gehen überregionale und internationale Kontakte aus. Bei den ausländischen Kontakten handelt es sich meist um Versandhändler für in Deutschland verbotene rechtsextreme Nazipropaganda. Solche Versandhändler existieren zum Beispiel in Dänemark und in den Vereinigten Staaten. Der regionale Vertrieb lief einige Zeit lang über den Eberswalder Szeneladen RAGNARÖCK. Allerdings musste der Laden – allseits bekannt – schließen. Allerdings läuft der Laden konspirativ, das heißt im Untergrund, unter dem Namen FREIHEITSWILLE-VERSAND weiter. Betreiber und Herausgeber eines entsprechenden Mailorder-Katalogs ist René HERRMANN. Der Staatsschutz hat Informationen, dass der Laden demnächst an einem bislang unbekannten Ort neu eröffnen will. Ebenfalls bekannt ist, dass der Laden aus Geldern der NPD finanziell unterstützt wird und einen wichtigen Treffpunkt für die Eberswalder Szene darstellte.
Die Aktivitäten der NPD und deren Unterorganisationen tendieren in der Region gegen Null. Der wesentliche Grund hierfür ist das Verbotsverfahren gegen die Neonazi-Partei. Vielmehr sind SCHWERDT und REINHOLZ damit beschäftigt, bestehende Organisationen in der Region zu etablieren, Kameradschaften zu stärken und zu vernetzen und Alternativen zur NPD nach einem möglichen Verbot aufzubauen. Eine kürzlich etablierte Gruppe stellt hierbei das Junge Nationale Spektrum (JNS) dar. Inzwischen existieren JNS-Gruppen in den Kreisen Märkisch-Oderland, Oder Spree, Barnim und Uckermark. Das Hauptaktionsgebiet dieser bundesweiten Organisation sind die Schulen. REINHOLZ ist „Schriftführer“ in der JNS-Publikation „Der JNSler“.
Innerhalb der Kameradschaften, die im Raum Uckermark/Barnim stark vernetzt sind (Kameradschaftsbund Barnim), ist ein Teilungsprozess im Gange. Das liegt unter anderem daran, dass die Anzahl dieser stark angestiegen ist. Auf der einen Seite gibt es NPD-nahe politische Kameradschaften, die überwiegend legal agieren und die Parteiarbeit der NPD nach dem Verbot fortführen werden, auf der anderen Seite kristallisieren sich immer mehr „Skinhead-Kameradschaften“ heraus, die mit Politik herzlich wenig zu tun haben. Diese engagieren sich im „Kampf um die Straße“ – ihre Sprache ist die Gewalt. Vor allem unpolitische Nazischläger fassen hier Fuß. Die NPD distanziert sich offiziell von Straftaten und Gewalttätern – ebenso die politischen Kameradschaften. So will man eine „politische Hoffähigkeit“ erreichen. Die Kameradschaften sind stark hierarchisch organisiert. Vergleichbar sind die Strukturen in den Kameradschaften mit Vereinshierarchien. Es gibt in jeder Kameradschaft einen Führer; um ihn scharen sich die Kader, die jeweils Chef eines bestimmten Aufgabengebietes sind. Ein Hauptbetätigungsfeld der Kameradschaften ist die so genannte „Anti-Antifa-Arbeit“. Geschulte Neonazis beobachten hierbei den politischen Gegner, speziell linke Jugendliche. Vor allem vor einer erschreckenden Professionalität bei Observationen warnte Uta Leichsenring.
Gordon REINHOLZ arbeitet zurzeit – obwohl er Chef des NPD-Kreisverbandes ist – mit den politischen Kameradschaften an einer „freien Wählergemeinschaft“ – auf Deutsch: an einer Partei. Offensichtlich in Kauf genommen wird hierbei die Schwächung des NPD-Kreisverbandes. Am Aufbau dieser neuen „Partei“ beteiligen sich zurzeit eine Eberswalder, zwei Angermünder, eine Prenzlauer und eine Schwedter Gruppe. In diesem Zusammenhang sprach Frau Leichsenring von der „Bürgerinitiative Uckermark“, die seit vorigem Jahr den Namen „Nationales Bündnis Preußen“ (NBP) trägt. Hierin organisieren sich zurzeit zirka 100 Neonazis. Das Bündnis besteht aus dem „Nationalen Bündnis Uckermark“ mit jeweils 30 Personen aus Gartz und Schwedt und jeweils einer Gruppe von 6–15 Personen aus Brüssow, Templin und Bernau. Deutlicher wird hier, dass es personelle Schnittstellen zwischen NPD und NBP gibt. Aufgrund der Personenstärke und den Überschneidungen wird das NBP als NPD-Nachfolger in der Region gehandelt. Außer den einzelnen Ortsgruppen existiert im Rahmen des NBP noch die „Märkische Jugendkameradschaft“. Diese wurde durch Flugblattverteilungen an Schwedter Schulen bekannt und besteht aus zwei Angermünder Gruppen. Das „Nationale Bündnis Preußen“ veranstaltet regelmäßig Treffen in entlegenen Dorfgaststätten.
Neben diesen festen Strukturen gibt es befreundete Gruppen in fast jedem größeren Ort. Solche Gruppen sind lose Treffen von Nazis in Kneipen oder Jugendklubs. Die Kameradschaften halten nur Kontakt zu diesen Gruppen und versuchen in diesen Mitgliederwerbung zu betreiben. Vor allem in diesen losen Gruppen macht sich bemerkbar, dass sich die Ideologien einzelner Naziführer (hier speziell REINHOLZ) nicht überall durchsetzen. Besorgniserregend ist die Erkenntnis, dass es trotzdem im Raum Uckermark/Barnim 200 bis 230 organisierte Neonazis gibt.
Auch wenn von einer Vielzahl von Organisationen zu sprechen ist, sind diese eher zurückhaltend aktiv. Das liegt unter anderem an den repressiven Maßnahmen des Staates. Die Polizei beobachtet die Naziszene ständig und ermittelt auch ständig im Rahmen von Strafanzeigen. Die Schwächung der Neonazi-Szene ist wie schon erwähnt auch auf das Verbotsverfahren gegen die NPD zurückzuführen. So deckt die NPD nicht mehr die Straftaten. Die hierfür zuständige NPD-Untero
rganisation „Hilfsgemeinschaft für Nationale Gefangene und deren Angehörige (HNG) e.V.“ ist kaum noch aktiv. Das liegt unter anderem, dass die NPD in arge finanzielle Engpässe geraten ist – aufgrund des Verbotsverfahrens. Weiterhin ist zu beobachten, dass sich die Arbeit der Nazi-Organisationen zu einem Großteil im Untergrund abspielt. Auch das ist auf das NPD-Verbotsverfahren und auf die massive Beobachtung durch den Staats- und Verfassungsschutz zurückzuführen.
Die NPD und die politischen Kameradschaften haben, um ein „Saubermann-Image“ zu wahren alle MitgliederInnen angewiesen, sich in den Aktivitäten an den gesetzlichen Rahmen zu halten. Aufgrund der Staats-Antifa-Debatte im Sommer 2000 ist ein massiver öffentlicher Druck entstanden und ein verdammt dunkles Licht auf die Neonazi-Szene gefallen. Aus dieser versuchen sich die Nazis wieder langsam herauszuarbeiten. Offensichtlich wurde dies zum Beispiel nach dem Mord an der 12-jährigen Ulrike Brandt in Eberswalde. „Todesstrafe für Kinderschänder“, „Gegen Gewalt und Drogen“ lauteten damals die Slogans der NPD. Zur Tour de Tolérance im September 2001 tauchten Eberswalder Neonazis – darunter Mirko JORKS, der stark im Kameradschaftsbund Barnim engagiert ist – an einer Tankstelle mit einem Transparent „Nationalisten gegen Faschismus und Intoleranz“ auf.
Zugenommen haben die Schulungsveranstaltungen der Neonazis, die so genannten „Kameradschaftsabende“. Orte für solche Schulungen sind zum Beispiel in Altenhof zu finden. Auch im Joachimsthaler „Kaiserbahnhof“ fanden in jüngster Vergangenheit Schulungen statt. Auf diesen Abenden wird in letzter Zeit oft zum „bewaffneten Kampf“ aufgerufen. Rund 50 % der Kameradschaften befürworten Gewalt und führen diese auch offen aus. Im Mai 2001 gab es einen Kameradschaftsabend zum Thema „Stand der Bewaffnung der Mitglieder“. Dort wurde deutlich, dass es in jeder Kameradschaft mindestens ein Mitglied gibt, welches Schusswaffen besitzt. Zum einen gibt es Neonazis, die diese Waffen völlig legal besitzen und den Waffenschein in einem normalen Schützenverein erworben haben, zum anderen wurden auch Kontakte zu illegalen Waffenhändlern aufgedeckt. Schießwettbewerbe fanden in der Prenzlauer „Kleinen Heide“ und in Spechthausen (September 2000) statt.
Als Fazit nannte Frau Leichsenring vor allem drei wesentliche Aspekte:
- verstärkte konspirative Tätigkeit der Neonazi-Organisationen
— Befürchtung: nach dem NPD-Verbot schwere Straftaten möglich
— Beobachtung: die Nazi-Szene ist keinesfalls „befriedet“
Ebenfalls schlug die Polizeipräsidentin sinnige Dinge vor, um dem Problem zu entgegnen. Oftmals seinen die Gaststättenbetreiber, deren Einrichtungen als Herberge für Kameradschaftsabende dienen, nicht ausreichend sensibilisiert. Viele wissen im Vorfeld nicht, dass eine „Anmeldung einer Vereinsfeier“ durchaus auch eine Anmeldung für einen Kameradschaftsabend darstellen kann. In diesem Bereich müsse man mehr informieren. Auch im alltäglichen Bereich gilt es, Unternehmen zu befragen, ob in deren Belegschaft bestimmte Mitarbeiter durch rechtsextreme Äußerungen aufgefallen sind. Wichtig ist hierbei, dass den Bürgern erklärt werden muss, was denn „rechtsextrem“ sei.
Kompletter Text zum Download: