(uw, MAZ) Einen energischeren Einsatz für eine Bleibegenehmigung der unmittelbar vor der Abschiebung stehenden kolumbianischen Familie Vasquez/Palomino fordert PDS-Fraktions-Chef Alfredo Förster von Oberbürgermeisterin Dietlind Tiemann (CDU). “Wenn die Oberbürgermeisterin tatsächlich einen guten Draht zu Innenminister Jörg Schönbohm hat, dann sollte sie dringend bei ihm anrufen, denn er hat das letzte Wort”, sagt Förster.
“Man formuliert hier in Zukunftskonferenzen eine angestrebte Einwohnerzahl von 82 000, schiebt aber gleichzeitig die am besten integrierten Ausländer ab”, empört sich der Fraktionschef. Solche Personen seien wertvoll für die Stadt. “Ich kann nur den Kopf schütteln”, sagte Förster dem Stadtkurier. Es sei dies “eine Art von Gastfreundschaft, wie wir sie kurz vor der Ruder-Juniorenweltmeisterschaft keinesfalls gebrauchen können”, so der PDS-Mann. Er könne nicht verstehen “wie die Ausländerbehörde auf die Idee kommt, ein traumatisiertes Kind zurück in dieses Land schicken zu können”. Oberbürgermeisterin Tiemann war gestern zu keiner Stellungnahme zu erreichen.
Diana Vasquez, Lehrerin an einer katholischen Schule in Cali, war vor mehr als drei Jahren mit ihrem Mann, einem Siemens-Ingenieur, und ihrer heute zehnjährigen Tochter nach Deutschland gekommen, weil sie nach eigenen Angaben in ihrer Heimat hatte entführt werden sollen. Hintergrund der fehlgeschlagenen Tat seien Anfeindungen gegen ihren Onkel, einen liberalen Stadtrat. Die Einwanderungsbehörde hatte Vasquez Asylantrag aber mit der Begründung abgelehnt, für die Verfolgung lägen nicht genug Beweise vor. Die Familie klagte vor dem Verwaltungsgericht Potsdam, scheiterte aber, weil das Gericht argumentierte, die Familie könne dem Konflikt mit dem Umzug in eine andere Stadt innerhalb Kolumbiens entgehen. Die zehnjährige Tochter Julieth war monatelang in der Landesklinik in Behandlung, weil sie unter anderem Verfolgungsträume hat — in ihrer Gegenwart hatte die Familie einen Erschossenen vor der eigenen Haustür gefunden.
“Wir haben alles versucht, einen Weg zu finden”, sagt die Ausländerbeauftragte der Stadt, Katrin Tietz. Es sei eine bittere Erfahrung aus ihrer jahrelangen Tätigkeit, dass eine so genannte nicht-staatliche Bedrohung nicht als Asylgrund anerkannt werde. Die Härtefallkommission des Landes, die kürzlich eigens für strittige Asylfälle eingerichtet wurde, wird sich mit dem Fall wohl nicht mehr befassen. Die Kommission kümmere sich nur um Fälle, bei denen der Ausreisetermin noch nicht feststehe, sagte Flüchtlingsberaterin Susanne Schmidt vom Diakonischen Werk. Der Wohlfahrtsverband hat derzeit einen Vertreter in dem Gremium. Schmidt sagte, die Chancen für die Familie, vor der Kommission Erfolg zu haben, seien vergleichsweise gering gewesen.
Bitterer Abschied
Kolumbianische Familie wird trotzt vorbildlicher Integration abgeschoben
(uw, MAZ) “Einen Stuhl haben wir noch in der Wohnung” — die zehn Jahre alte Julieth hat sich noch nicht ganz von ihrer Wohnung in der Magdeburger Straße verabschiedet, obwohl Schrankwand und Sitzgarnitur schon abtransportiert sind. Weihnachten hatte die kolumbianische Asylbewerber-Familie mit Freunden aus dem Haus noch bei Spekulatius und Räucherkerzen hier gemütlich beisammen gesessen (MAZ berichtete).
Nun müssen Julieth Palomino, ihr zwei Jahre alter Bruder Matthius, Vater Hector Palomino und Mutter Diana Vasquez Brandenburg, Deutschland verlassen. Donnerstag früh geht das Flugzeug. Abgeschoben, weil, wie es in der Behördensprache heißt, der “Verfolgungsdruck” zu Hause nicht groß genug sei.
Dabei klingt das, wovor die ehemals gut gestellte Familie floh — er war Ingenieur bei Siemens, sie Lehrherrin an einer katholischen Grundschule — erschreckend genug.
Diana Vasquez war, so sagt sie, nur knapp einer Entführung entgangen, die in Zusammenhang mit ihrem Onkel gestanden habe. Der Mann ist liberaler Stadtrat in der Drogenhochburg Cali. Zu zwei verschiedenen Gelegenheiten hatten Attentäter auf ihren Onkel geschossen, ihn aber nur leicht verletzt. Dann wollten sie offenbar an seine Nichte. Einige Zeit später lag ein unbekannter Erschossener vor der Tür der Palominos. Die Familie entschloss sich zur Flucht. Nach Monaten in einem Übergangslager in Frankfurt am Main lebt die Familie seit Februar 2002 in Brandenburg.
Den deutschen Behörden fehlte allerdings ein Beleg für die Bedrohung, von der Diana Vasquez erzählte. Dass sie bei der Polizei Anzeige erstattete, genügte nicht. Der Asylantrag wurde im März 2003 abgelehnt. Vasquez klagte dagegen, aber das Verwaltungsgericht Potsdam entschied, dass ihr Aufenthalt in Deutschland nicht zwingend sei, weil sie auch innerhalb Kolumbiens in eine andere Stadt ziehen könne, um dem Konflikt aus dem Weg zu gehen.
“Juristisch mag das korrekt sein, menschlich ist es aber unmöglich”, empört sich Pfarrer Richard Rupprecht von der Gemeinde der Heiligen Dreifaltigkeit. Besser als Vasquez, Palomino und die Kinder könne man sich nicht in Deutschland integrieren. So hat Diana Vasquez extra Deutschkurse belegt, weil ihr zweimal in der Woche nicht häufig genug war. Sie hilft auf jedem Kuchenbasar der Gemeinde aus, betreut ehrenamtlich — arbeiten dürfen Asylbewerber nicht — Kinder in der Kita. Ihr Mann Hector jätet bei den Franziskanerinnen die Beete und Tochter Julieth bringt in der Schule — die Ausländerbehörde ließ sie immerhin das dritte Schuljahr an der Sprengel-Schule beenden — nur Einsen und Zweien nach Hause.
“Wir brauchen hier doch solche engagierten Familien mit Kindern”, sagt Pfarrer Rupprecht, in dessen Gemeinde die Kolumbianer inzwischen einen großen Freundeskreis haben. “Die Familie hat 100 Prozent von dem erfüllt, was man von Ausländern optimalerweise erwarten kann”, ist der Pfarrer überzeugt, der Julieth erst im Mai die Erstkommunion gab und dessen Kaplan Matthias Faustmann Taufpate des zwei Jahre alten Matthius ist. Als “tragisch” bezeichnet Anwalt Thomas Hardtmann die Abschiebung, die nur offiziell anders heißt, weil die Kolumbianer “freiwillig” gehen, um Reisekostenzuschuss zu erhalten. “Die haben in Kolumbien ein Leben gehabt, bei dem man dreimal überlegt, ob man es aufgibt”, so Hardtmann: “Die sind nicht freiwillig weggegangen — hier sind sie schlechter gestellt.”