6. Februar 2004 · Quelle: PNN

Blick hinter den Stacheldrahtzaun

Olaf Löh­mer ist Mit­glied des Flüchtlingsrates Bran­den­burg und besucht Abschiebe­häftlinge in Eisenhüttenstadt

(PNN, Ulrike Strube) Ein klein­er Bau gesichert mit Videokam­eras und end­los wirk­en­dem, eng geschlun­genem Stachel­draht. Eine kleine Fes­tung im Südosten des Landes
Bran­den­burg, nahe der deutsch-pol­nis­chen Gren­ze. Weitab von der öffentlichen Wahrnehmung: die Abschiebe­haft in Eisen­hüt­ten­stadt. Hier wer­den Men­schen inhaftiert, deren Abschiebung vor­bere­it­et wird. Ihr Asy­lantrag wurde
abgelehnt, weil beispiel­sweise die Gefahr ihres Lebens in der Heimat für nicht bedrohlich erachtet wurde. Sie sitzen teil­weise monate­lang ein, ohne etwas ver­brochen zu haben. Olaf Löh­mer erzählt. Sein Gesicht ist gezeichnet
von Fas­sungslosigkeit. Die Zustände für die dort leben­den Men­schen seien ein­fach unmen­schlich. Seit Jahren engagiert sich der Stu­dent für die Rechte von Asyl­suchen­den im Land Bran­den­burg, beispiel­sweise warb – und wirbt – er
für die Abschaf­fung der Wertgutscheine für Asylsuchende. 

Auf den Aktion­sta­gen der JungdemokratInnen/Junge Linke im ver­gan­genen Früh­ling erfuhr das Mit­glied des Bran­den­burg­er Flüchtlingsrates vom Leben in der Abschiebe­haft in Eisen­hüt­ten­stadt. Löh­mer las Berichte vom Leben hinterm
Stachel­draht, beispiel­sweise von Alice Mutoni Kamau, die nach eige­nen Aus­sagen in die Beruhi­gungszelle Num­mer 2007 ges­per­rt und auf einem mit Plas­tik bedeck­ten flachen Gestell gefes­selt wurde. Er zitiert aus ihrem
Bericht: „Sie fes­seln deine Hände, deinen Bauch und deine gespreizten Beine.“ Die Keni­aner­in wurde mehrmals fix­iert – „bis sie sich wieder unter Kon­trolle hat­te“. Anfang Okto­ber 2003 waren es über zehn Stun­den, was die
Zen­trale Aus­län­der­be­hörde für Asyl­be­wer­ber bestätigt. Dabei gilt die Fix­ierung als kör­per­lich­er Ein­griff in die Frei­heit. „Selb­st im akuten Not­fall muss eine richter­liche Genehmi­gung einge­holt wer­den“, erk­lärt Hubert Hein­hold, Recht­san­walt und Vor­standsmit­glied der Men­schen­recht­sor­gan­i­sa­tion Pro Asyl auf Nach­frage. Wenn von dieser Form der Beruhi­gung eines Men­schen in psy­chi­a­trischen Abteilun­gen von Kranken­häusern Gebrauch gemacht wird, „muss diese Maß­nahme alle 15 Minuten neu entsch­ieden wer­den“. Kamau wurde Ende des ver­gan­genen Jahres in Hand­schellen abgeschoben. Doch das ist ein
ander­er Bericht. 

Dem Anfang der 90er gegrün­de­ten Flüchtlingsrat liegen zahlre­iche Begeben­heit­en von Inhaftierten vor. In ihnen wird über man­gel­nde medi­zinis­che und psy­cho-soziale Ver­sorgung gesprochen. Dazu kom­men fehlende
Qual­i­fika­tio­nen und fehlende Fremd­sprachenken­nt­nis des Per­son­als, ganz zu schweigen von dem Ange­bot ein­er Rechtsberatung. 

Alle ein bis zwei Wochen fährt Olaf Löh­mer von Pots­dam nach
Eisen­hüt­ten­stadt. Mit­tags nimmt er den roten Dop­pel­stock­zug. Drei Stun­den lang führt ihn seine Reise vor­bei an den glat­ten Fas­saden der Regierungs­ge­bäude in der Bun­de­shaupt­stadt und der fried­vollen Land­schaft hin
in eine andere Welt, von der er früher nichts ahnte. Jeder
Abschiebung­shäftling darf, wie es in der Antwort der Lan­desregierung auf die Kleine Anfrage Num­mer 2470 der PDS vom Okto­ber 2003 heißt, „täglich in der Zeit zwis­chen neun und 11.30 Uhr und in der Zeit von 14 bis 18 Uhr Besuch
emp­fan­gen“. Die Besuch­szeit ist auf täglich eine Stunde begren­zt. Das erste Mal war Olaf Löh­mer bere­its gegen halb zwei Uhr vor Ort, um die Zeit auszunutzen. „Das war etwas naiv“, kom­men­tiert der aus Han­nover Stam­mende zynisch. „Pünk­tlich um 14 Uhr begin­nt der Ein­lass für die Besuch­er.“ Nach­dem der Name des zu Besuchen­den notiert wird, begin­nt eine inten­sive Kon­trolle: Erste Schleuse – Pfört­ner: Abgabe des Per­son­alausweis­es und Aushändi­gung der
Besucherkarte. Zweite Schleuse – Pfört­ner: Warten auf einen Mitar­beit­er, der den Besuch­er zur näch­sten Kon­trolle führt. Dritte Schleuse – auf dem Haft­gelände: Kon­trolle der Sachen. „Die ersten zwanzig Minuten sind dann
vor­bei.“ Die verbleibende Zeit nutzt der 26-Jährige zum Gespräch mit min­destens zwei Men­schen. Er möchte wis­sen, ob sein Gegenüber Bedürfnisse hat wie Kon­takt zum Anwalt, Prob­leme mit dem Per­son­al oder Nachricht­en für
Freunde. 

Der 26-Jährige erfährt von der täglichen Stunde Freigang, „auf dem eingezäun­ten Gelände“, den 18 Quadrat­meter großen Zellen für bis zu drei Men­schen mit unver­schließbaren Schränken und der Angst vor der ungewissen
Zukun­ft. Manch­mal bringt er Eingeschweißtes wie Kekse, Getränke oder ein­fach Geld zum Tele­fonieren mit. Diese Hil­fe sei neben­säch­lich. „Die Angst vor der Zukun­ft ist das zen­trale Prob­lem.“ Eine Abschiebung sollte nach Möglichkeit
ver­hin­dert wer­den. Für die Zeit der Inhaftierung benötigten die Gefan­genen Sol­i­dar­ität und Kraft. „Die Men­schen sitzen dort, weil der Ver­wal­tungsvor­gang Abschiebung vor­bere­it­et wird.“ 

Nach seinen Besuchen und regelmäßi­gen Tele­fonat­en mit den Men­schen in der Ein­rich­tung sucht Löh­mer das Gespräch mit seinen Mit­stre­it­ern vom Flüchtlingsrat, mit Seel­sorg­ern und Anwäl­ten. So kon­nte eine Frauen­ber­atung aus Frank­furt (Oder) gewon­nen wer­den, die die Frauen hin­ter dem Stachel­draht besucht. Kopfzer­brechen bere­ite dem Flüchtlingsratsmit­glied die fehlende kosten­lose Rechts­ber­atung. Der näch­ste auf Asyl­recht spezial­isierte Anwalt sei in Berlin zu erre­ichen. Vor zwei Jahren bat die Arbeits­ge­mein­schaft Aus­län­der- und Asyl­recht des Deutschen Anwalt Vere­ins das bran­den­bur­gis­che Innen­min­is­teri­um um die Genehmi­gung ein­er regelmäßi­gen Rechts­ber­atung, doch
die wurde die mit der Begrün­dung „kein Bedarf“ abgelehnt. 

Prob­lema­tisch erscheinen Olaf Löh­mer die haftähn­lichen Bedin­gun­gen. „Wenn man bedenkt, dass die meis­ten von ihnen erst­mals im Gefäng­nis sitzen.“ Erst Abschiebe­haf­tanstal­ten wur­den in der Bun­desre­pub­lik Anfang der 90er Jahre
ein­gerichtet. Laut Flüchtlingsrat wer­den bun­desweit jährlich mehr als 50 000 Men­schen abgeschoben. Bran­den­burgs Haf­tanstalt wurde 1997 mit 108 Plätzen in Betrieb genom­men. Seit ihrem Beste­hen haben 3 346 Per­so­n­en die Einrichtung
zu „Haftab­schiebungszweck­en“ ver­lassen. Die durch­schnit­tliche Haft­dauer betrage 29 Tage und über­schre­ite in keinem Fall die maximale
Inhaftierungs­dauer von 18 Monaten. 

Für den Stu­den­ten der Biolo­gie und Geografie ist diese Arbeit eine ein­drucksvolle Erfahrung. „Ich lerne Zustände ken­nen, von denen ich nichts erfahren hätte.“ Mit ihnen abfind­en möchte er sich nicht. Und so will er weit­er ver­suchen den Men­schen, die aus welchem Grund auch immer den Weg hier­her gefun­den haben, zu ihrem Recht auf „men­schen­würdi­ge Bedin­gun­gen und Chan­cen“ zu verhelfen.

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