(Kampagne gegen Wehrpflicht) Gestern fand der 4. Prozeßtag gegen ein Mitglied der Potsdamer Kampagne gegen
Wehrpflicht statt. Wegen eines Zeitungsartikels, in dem schwere Vorwürfe gegen die
Polizei erhoben wurden, die nach einem Überfall von Nazis und Herthafans auf das
alternative Wohnprojekt in der Potsdamer R.-Breitscheid-Str.6 das Haus selbst
stürmte und verwüstete, wird jetzt die Anklage wegen Übler Nachrede verhandelt.
Am 27.01.03 sagte erstmals auch ein Polizist aus, ein Video vom Einsatz gesehen zu
haben, auf dem Polizisten Festgenommene als “Schlampe” beschimpften.
Der Einsatzleiter Andreas Merten mußte einräumen, entgegen der Strafprozeßordnung
keine Durchsuchungszeugen hinzugezogen zu haben. Auch die Betroffenen durften
rechtswidrigerweise nicht an der Durchsuchung teilnehmen. Ganz offensichtlich wollte
die Polizei im Haus ohne lästige Zeugen durchsuchen können.
Allen Ernstes behauptete Merten, daß die Polizei keine Anwesenheitslisten bei den
Einsätzen führt und im Nachhinein die eingesetzten Beamten nur über die
Funkprotokolle feststellen könne, falls diese das Funkgerät benutzt haben. Er und
der die Durchsuchung leitende ETK-Beamte Hauke Geffrath wollten noch nichts davon
gehört haben, daß das Potsdamer Amtsgericht die Durchsuchung inzwischen für
rechtswidrig erklärt hat. So etwas wird nach Angaben der Beamten im Nachhinein nicht
mehr in der Polizei ausgewertet.
Die von der Verteidigung benannten Zeugen bestätigten eine erniedrigende Behandlung
der Festgenommenen durch die Polizei und die Verwüstungen, die die Polizei im Hause
anrichtete.
Schon jetzt ist abzusehen, daß der Prozeß noch mindestens 2–3 neue Verhandlungstage
benötigen wird.
Am fünften Verhandlungstag, am Montag, dem 3.2. 9.30 Uhr im Amtsgericht Potsdam
werden weitere an der Durchsuchung beteiligte Polizisten und einer der Bewohner der
Breiti vernommen.
“Schlampe” vermisst
Gericht attestiert Polizei rabiaten Einsatz
(MAZ) Beweismittelmanipulation hat Lutz Boede gestern der Staatsanwaltschaft
vorgeworfen. Für die Hauptverhandlung seien Teile von Polizeivideos, die die
Ereignisse rund um das Fußballspiel am 25. August 2001 dokumentieren,
“gezielt zusammengeschnitten” worden. Hintergrund: In der vergangenen Woche
hatte ein Beamter ausgesagt, er habe das Wort “Schlampe” auf einem Video
gehört. Dies war indes nicht zu vernehmen, als das Filmmaterial im
Gerichtssaal gezeigt wurde. Auch wurden Polizisten in Vernehmungen die
Aufnahmen vorgeführt, Boede aber nicht. “Ich habe nicht nur rechtsstaatliche
Probleme mit dem damaligen Einsatz, sondern auch mit den Ermittlungen”, so
Boede. Wie berichtet, ist der Sprecher der Anti-Wehrpflicht-Kampagne der
“üblen Nachrede” gegenüber der Polizei angeklagt. Der wüste Zustand nach der
Räumung des alternativen Wohnprojekts Breitscheidstraße 6 an besagtem
Augusttag sowie Schäden am Interieur sind auf den Polizeieinsatz
zurückzuführen. Dies hielt Richterin Lange am fünften Sitzungstag des
Boede-Prozesses für erwiesen. Unterdessen haben die vier geladenen Beamten
P., St., Sch. und K. ausgesagt, persönlich keine Steine oder andere
Wurfgeschosse — also Beweise für Landfriedensbruch — bei Durchsuchungen im
Haus gefunden zu haben. Der Prozess wird fortgesetzt.