(Tagesspiegel, Rainer W. During) Potsdam. Fallen demnächst wieder Bomben in der Ruppiner Heide? Die umstrittene Wiederinbetriebnahme des „Bombodrom“ genannten Luft-Boden-Schießplatzes bei Wittstock scheint unmittelbar bevorzustehen. Während die Bürgerinitiative „Freie Heide“ für den 20. April zum Ostermarsch unter dem Motto „Der Frieden braucht kein Bombodrom“ aufruft, könnten hier schon wenige Tage später die ersten Bomben fallen. Noch in diesem Monat will Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) dem Vernehmen nach die Erlaubnis für die Nutzung des Geländes geben. Bei der Luftwaffe laufen nach Tagesspiegel-Informationen bereits die internen Vorbereitungen für eine Aufnahme des Trainings-Flugbetriebes Ende April.
„Eine politische Entscheidung wird zurzeit vorbereitet“, heißt es offiziell im Verteidigungsministerium. Zu einem genauen Zeitplan will sich der Sprecher nicht äußern. Wie der Tagesspiegel aus Militärkreisen erfuhr, hat die Luftwaffe indessen jedoch intern bereits Termine festgelegt. Danach sollen alle Vorbereitungen für den Beginn der Trainings-Bombenabwürfe so abgeschlossen werden, dass binnen einer Woche nach dem Befehl zur Aktivierung des Übungsplatzes bereits kurz nach Ostern mit den Flügen begonnen werden kann.
Den vier in Cochem, Jever, Lechfeld und Nörvenich stationierten Jagdbombergeschwadern wurden bereits Übungszeiten im Mai zugewiesen. Für Zwischenlandungen sind die zivil mitbenutzten Militärflugplätze Laage bei Rostock und Trollenhagen bei Neubrandenburg vorgesehen. Von dort aus sollen die mit einem Terrainfolgeradar für automatische Tiefflüge ausgestatteten Tornado-Kampfflugzeuge ihre Übungsziele ansteuern.
Das rund 144 Quadratkilometer große Areal östlich von Wittstock war in den Fünfzigerjahren von den sowjetischen Streitkräften als Truppenübungs- und Bombenabwurfsplatz requiriert worden. Seit dem Abzug der Roten Armee nach der Wende kämpfen die Bürgerinitiative und die umliegenden Gemeinden gegen die Nutzung des Geländes als Bombodrom.
Vor drei Jahren gelang ihnen zumindest ein Teilerfolg. Das Bundesverwaltungsgericht untersagte der Bundeswehr vorerst die geplante Weiternutzung als Bombenabwurfplatz. Ausdrücklich stellten die Richter aber fest, dass die grundsätzliche Weiternutzung durch die Bundeswehr nicht in Frage gestellt sei. Die Militärs hätten nur vergessen, die betroffenen Gemeinden anzuhören.
In ihre Koalitionsvereinbarung nach den Bundestagswahlen haben SPD und Grüne daraufhin die erneute Prüfung der Notwendigkeit zur Weiternutzung des Bombodroms aufgenommen. Folgen muss der Verteidigungsminister den Bedenken aber nicht.
Allerdings wurde Minister Struck noch im Februar von der Bürgerinitiative an sein früheres Verhalten erinnert. 1992 hatte der Politiker im Namen der SPD-Bundestagsfraktion den damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) aufgefordert, auf die Weiternutzung des von den Sowjets enteigneten und somit zu Unrecht genutzten Schießplatzes zu verzichten.
Pläne bereits in der Schublade
“Bombodrom”: Beführworter für schnelle Entscheidung / Gegner protestieren
(MAZ) WITTSTOCK/BERLIN Bomben auf das “Bombodrom” — die Horrorvorstellung der
Friedensaktivisten der “Freien Heide” könnte bald Wirklichkeit werden.
Zumindest wenn es nach der Bundesregierung geht. Gestern meldete der
verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold,
grünes Licht an der politischen Front. Die im Koalitionsvertrag mit den
Grünen festgelegte Überprüfung ist abgeschlossen. Ergebnis, so Arnold: Die
“militärpolitische Notwendigkeit” sei erwiesen. “Wir können unsere Flieger
nicht immer zum Üben in die USA schicken.” Das 144 Quadratkilometer große
Areal in der Kyritz-Ruppiner Heide (Ostprignitz-Ruppin) sei groß genug, um
vernetzte Übungen von Bodentruppen und Luftwaffe durchzuführen.
Auch das Bundesverteidigungsministerium glaubt an eine Entscheidung vor der
Sommerpause. Die Anhörung der Gemeinden sei beendet. Allerdings müssten noch
einige offene Fragen etwa zu Eigentumsrechten oder zum Lärmschutz geklärt
werden, erklärte Sprecher Rainer Kümpel auf MAZ-Anfrage. Er wies allerdings
Medienberichte zurück, dass bei der Luftwaffe bereits interne Vorbereitungen
für eine Aufnahme des Trainingsflugbetriebes ab Ende April laufen würden.
Den Berichten zufolge soll den in Cochem, Jever, Lechfeld und Nörvenich
stationierten Jagdbombergeschwadern bereits Übungszeiten im Mai zugewiesen
worden seien. Es sei zwar möglich, dass bei den einzelnen Geschwadern
bereits “Schubladenpläne” existieren, so Kümpel. Meldungen über konkrete
Zeitpläne seien allerdings “völlig falsch”.
Auch der Kommandant des Wittstocker Truppenübungsplatzes am Rande der Heide,
Oberstleutnant Wolfgang Engel, winkt ab. Der Platz sei derzeit ohnehin kaum
nutzbar, da die Flächen noch nicht von den Munitions-Altlasten der Sowjets
beräumt sind.
Dennoch glauben selbst erklärte “Bombodrom”-Gegner, wie der
SPD-Bundestagsabgeordnete Ernst Bahr nicht, dass das Ministerium ernsthaft
von seinen Plänen abrücken wird: “Es sieht so aus, als ob Struck die Pläne
der Bundeswehr umsetzen will.” Bahr rechnet mit einer Entscheidung in den
kommenden Wochen. Dessen ungeachtet werde er weiter an seinem Widerstand
festhalten. “Der Irak-Krieg zeigt: Wenn man wirklichkeitsnah trainieren
will, braucht man Plätze auf denen man auch mit Boden-Luft-Raketen üben
kann.” Doch dafür sei das Areal im Nordosten zu klein.
Widerstand regt sich auch bei den Grünen. Sowohl der Landesverband als auch
der Bundesverband von Bündnis 90/Die Grünen hätten bereits auf die
“wirtschafts- und umweltpolitisch verheerende Wirkung” eines
Bombenabwurfplatzes in der Kyritz-Ruppiner Heide hingewiesen, sagte
Landeschef Roland Vogt. Er rief die Brandenburger auf, am 20. April am
Ostermarsch gegen das “Bombodrom” teilzunehmen.
Während einige bereits wieder Demonstrationen planen, bereitet Reiner Geulen
die juristische Abwehr vor. Der Anwalt vertritt unter anderem den Kreis
Ostprignitz-Ruppin sowie die Gemeinden Rossow und Schweinrich. Sobald eine
Entscheidung für den Übungsplatz falle, werde er Klage einreichen, so
Geulen. “Und falls das Ministerium nicht den Gerichtsbeschluss abwarten
sollte, beantragen wir eine einstweilige Anordnung.” Geulen spielt auf Zeit:
“Bis zu einer endgültigen Entscheidung können sechs Jahre vergehen.”
(Inforiot) Siehe auch www.freieheide.de
Der alljährliche Ostermarsch für die Freie Heide findet 2003 am 20. April ab 14 Uhr in Fretzdorf statt.