POTSDAM In der kurzen Erklärung des Ministerpräsidenten taucht der Name Jörg Schönbohm nicht auf. Von seinem österreichischen Urlaubsort ließ Manfred Stolpe (SPD) gestern mitteilen, dass er “vorschnelle Äußerungen in der Öffentlichkeit” zum Zuwanderungsgesetz als “wenig hilfreich” ansehe. Diese würden nicht “dem von den Koalitionspartnern verabredeten Verfahren” entsprechen.
Stolpe, da besteht in der Koalition kein Zweifel, bezog sich auch auf Schönbohm und dessen Äußerungen zum rot-grünen Zuwanderungsgesetz. “In der vorliegenden Form”, hatte Schönbohm der MAZ erklärt, “kann die Landesregierung dem Zuwanderungsgesetz nicht zustimmen.”
In der SPD ist diese vorschnelle Festlegung des CDU-Innenministers aufmerksam registriert worden. “Das macht die Situation nicht einfacher”, meinte SPD-Fraktionschef Gunter Fritsch noch betont zurückhaltend. “Das war wohl eher ein Signal an seine CDU, dass die ihn nicht in der Luft zerreißt”, interpretiert er.
Der Streit um die Zuwanderung — Brandenburg ist Zünglein an der Waage im Bundesrat — stellt die Große Koalition in Potsdam vor eine schwere Zerreißprobe. Denn in der SPD gibt es Äußerungen, die auf eine Zustimmung Brandenburgs im Bundesrat drängen. Der SPD-Landesvorstand wird auf Initiative von Vorstandsmitgliedern über das Abstimmungsverhalten auf ihrer Klausur am Freitag und Samstag in Michendorf bei Potsdam beraten. “Die Forderungen Brandenburgs sind im Kern erfüllt. Stolpe muss zustimmen”, erklärte gestern Vorstandsmitglied Harald Sempf. Es gehe um die Frage der Glaubwürdigkeit von Stolpe und der SPD. Das sieht auch Vize-Landeschefin Katrin Molkenthin so. “Mehr kann Schönbohm nicht erwarten”, glaubt sie. Sonst setze er die Koalition aufs Spiel. Der CDU-Chef müsse “endlich kapieren”, dass er der kleinere Koalitionspartner sei.
Selbst SPD-Fraktionschef Fritsch ist der Meinung, das Gesetz sei nun “zustimmungsfähig”. Allerdings läßt Fritsch offen, wie sich die rot-schwarze Landesregierung positionieren werde. Die Entscheidung, glaubt er, werde erst wenige Stunden vor der Bundesratssitzung am 22. März fallen.
Stolpe will über das Abstimmungsverhalten “nicht vor dem 19. März” entscheiden. An diesem Tag trifft sich das Kabinett, um abschließend über Brandenburgs Votum drei Tage später im Bundesrat zu beraten. Bis dahin solle sorgfältig geprüft werden, “ob die von mir am 20. Dezember 2001 im Bundesrat vorgetragenenen Forderungen zum Zuwanderungsgesetz im Kern erfüllt sind”, erklärte Stolpe. Dazu ist eine regierungsinterne Arbeitsgruppe eingesetzt worden — beteiligt sind die CDU-geführten Innen- und Justizressorts sowie das Sozialministerium und die Staatskanzlei, beide SPD-geführt.
Gemeinsam mit Schönbohm hatte Stolpe im Dezember vier Forderungen aufgestellt. Ob diese nun mit dem neuen Kompromissangebot erfüllt sind, darüber gehen die Meinungen in SPD und CDU weit auseinander. SPD-Landeschef Matthias Platzeck spricht von einem “klaren Schritt in Richtung Konsens mit der CDU”. Die CDU-Fraktion hingegen stellte sich hinter Schönbohm. Den Bürgern könne nicht erklärt werden, warum die CDU bei der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland einem Zuwanderungsgesetz zustimmen sollte, “bei dem nicht eindeutig die Interessen der Brandenburger Vorrang haben”, sagte Blechinger.
Schönbohm selbst bleibt bei seiner Position und verweist auf den Koalitionsvertrag, der im Streitfall Enthaltung im Bundesrat nach sich zieht. In seiner Umgebung wird an die Steuerreform-Debatte im Sommer 2000 erinnert, als er der SPD-Linie entgegengekommen sei. Diesmal könnte er nicht wieder ausscheren und sich gegen die Unionsspitze stellen, die ihn damals als “Umfaller” demütigte, heißt es. Überdies könnte Schönbohm dann seine Ambitionen an den Nagel hängen, möglicherweise nach einem Stoiber-Wahlsieg Bundesinnenminister zu werden.
In der SPD wird indes damit gerechnet, dass der Druck von Kanzler Schröder auf Stolpe noch zunehmen werde. Der brauche dringend einen Erfolg im Bundesrat, so ein SPD-Genosse, auch wenn dadurch die Koalition in Brandenburg brechen würde.
Für die CDU würde das bedeuten, sie müsste erneut in die Opposition. Und Schönbohm? Der könnte, so merkte ein CDU-Mann an, nicht einmal sofort Oppositionsführer werden. Die Neuwahl der Fraktionsspitze, die am Dienstag vorgesehen ist, hätte dann gerade erst stattgefunden.
Abstimmungsverhalten
Im Punkt 5.2.2 des Koalitionsvertrages von SPD und CDU ist das Abstimmungsverhalten im Bundesrat geregelt. Dabei werden folgende Prämissen zugrundegelegt:
“a. Die Interessen des Landes haben absoluten Vorrang.
b. Wortlaut und Geist der Koalitionsvereinbarung sind zu berücksichtigen. Sie sind Grundlage der vereinbarten Politik.
c. Es werden nur solche Fragen als strittig gestellt, die nach Auffassung eines Koalitionspartners von grundsätzlicher Bedeutung sind.
Kommt eine Einigung nicht zustande, enthält sich das Land der Stimme. Diese Vereinbarung gilt auch für alle schon bislang in den Bundesrat eingebrachten Initiativen, die noch nicht abgeschlossen sind.”