Interview mit Schönbohm zum Zuwanderungsgesetz
Droht Brandenburg eine Regierungskrise oder gar der Bruch der Großen Koalition? Das Zuwanderungsgesetz der rot-grünen Bundesregierung stellt das SPD-CDU-Bündnis jedenfalls vor eine Belastungsprobe, denn im Bundesrat wird es vermutlich entscheidend auf Brandenburg ankommen. Im MAZ-Interview begründet Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), warum er den Gesetzentwurf ablehnt – und beruft sich dabei auch auf einen Rat des heutigen US-Außenministers Colin Powell. Das Gespräch führte Joachim Riecker.
Ministerpräsident Manfred Stolpe hat Ende vergangenen Jahres in Abstimmung mit Ihnen im Bundesrat vier Bedingungen genannt, unter denen Brandenburg einem Zuwanderungsgesetz zustimmen kann. Sind diese Bedingungen aus Ihrer Sicht erfüllt?
Schönbohm: Nein. Die rot-grüne Bundesregierung hat sich nur dem Schein nach bewegt. In der vorliegenden Form kann die Landesregierung dem Zuwanderungsgesetz nicht zustimmen.
Warum? Die rot-grüne Bundesregierung hat doch viele Forderungen Brandenburgs erfüllt. So wird das Nachzugsalter für Kinder von in Deutschland lebenden Ausländern von 14 auf 12 Jahre gesenkt.
Schönbohm: Wissen Sie, es geht nicht nur um das Nachzugsalter, es geht viel weiter. Aber schon bei dieser Frage wurden so viele Ausnahmeregelungen eingeführt, dass das Nachzugsalter faktisch bei 18 Jahren liegen würde. Oder nehmen Sie die Regelungen, die die nichtsstaatliche Verfolgung betreffen. Nach Einschätzungen von Fachleuten sind die undurchsichtig. Niemand kann da ausschließen, dass es nicht doch zu einem stärkeren Zustrom kommt.
Aber auch in anderen Punkten ist Ihnen die Bundesregierung entgegengekommen. So wird das Ziel der Zuwanderungsbegrenzung jetzt ausdrücklich in einem eigenen Paragraphen festgeschrieben.
Schönbohm: Da wurde rumgetrickst. Denn die Realität des Gesetzes sieht ganz anders aus. Ich befürchte, dass es durch die geplanten Regelungen nicht zu einer Zuwanderung in geregelte Arbeitsverhältnisse, sondern zu einer verstärkten Zuwanderung in die Sozialsysteme Deutschlands kommen wird. Das ist für uns nicht akzeptabel. Die Bürger erwarten auch von uns, dass wir eine solche Entwicklung nicht zulassen. Und genau hier versagt das Gesetz.
Es drängt sich allerdings der Verdacht auf, dass die Union nicht aus sachlichen Gründen, sondern nur wegen der Bundestagswahl das Zuwanderungsgesetz verhindern will.
Schönbohm: Für mich geht es allein um die sachlichen Fragen. Ich habe immer gesagt, dass ich es sehr bedauern würde, wenn das Zuwanderungsbeschränkungsgesetz nicht zustandekommt. Denn wir müssen dringend die Integration von Ausländern in Deutschland verbessern. Doch einem schlechten Gesetz gerade mit Blick auf die Zukunft Deutschlands kann und will ich nicht zustimmen.
Würden Sie für Ihre Position auch den Bruch der Koalition mit der SPD in Kauf nehmen?
Schönbohm: Die Frage stellt sich nicht. Im Koalitionsvertrag ist glasklar festgelegt, dass wir im Bundesrat allein im Interesse des Landes entscheiden. Bei einer Arbeitslosigkeit von mehr als 18,7 Prozent liegt vermehrte Zuwanderung eindeutig nicht im Interesse Brandenburgs. Im Übrigen ist im Koalitionsvertrag festgelegt, dass sich Brandenburg im Bundesrat der Stimme enthält, wenn sich beide Parteien in einer grundsätzlichen Frage nicht einigen können.
Sind Sie sicher, dass Manfred Stolpe das genauso sieht?
Schönbohm: Ich kenne Manfred Stolpe als sehr verlässlichen Mann, der Verträge einhält.
Er könnte allerdings darauf verweisen, dass er seine Forderungen in Abstimmung mit Ihnen erhoben hat und Sie nun auf Druck Ihrer Partei die gemeinsame Absprache brechen.
Schönbohm: Ministerpräsident Stolpe hat in der Dezembersitzung des Bundesrates die vier Bereiche genannt, bei denen es Veränderungen geben muss. Die konkreten Forderungen dazu hat der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) direkt dazu formuliert, so dass ich die Formel geprägt habe: Stolpe plus Müller gleich Schönbohm. Das hat Stolpe auch immer akzeptiert. Und Innenminister Otto Schily weiß das seit Wochen.
Bei der Steuer- und der Rentenreform hat Brandenburg auch mit der rot-grünen Bundesregierung gestimmt.
Schönbohm: Damals haben wir uns nach langen Diskussionen und trotz großer Bedenken zu einer Zustimmung durchgerungen. Doch daraus lässt sich keine Gesetzmäßigkeit ableiten. Der heutige US-Außenminister Colin Powell hat mir früher einmal den Rat gegeben: Jörg, du musst im Sand eine Linie ziehen und dir dann sagen, dass dies die Linie ist, die nicht überschritten werden darf. Genau diese Situation haben wir jetzt.
Wie soll es denn aus Ihrer Sicht nun weitergehen?
Schönbohm: Ich kann an die Bundes-SPD nur appellieren, nicht ständig Rücksicht auf die Grünen zu nehmen und doch noch die Einigung mit der Union zu suchen. Dieses Gesetz ist für die Bundesrepublik so wichtig, dass es von beiden großen Volksparteien gemeinsam getragen werden muss — die Union ist hierzu bereit.
Und wenn das Gesetz im Bundesrat nicht die erforderliche Mehrheit erhält …
Schönbohm: … sollte die Bundesregierung den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat anrufen. Dies ist das geeignete Gremium, um doch noch zu einer Einigung zu kommen. Es kann schließlich nicht angehen, dass Schily den Ländern diktiert, dieses Gesetz oder keines. Wer einen Kompromiss will, muss auch Spielräume dafür aufzeigen. Der Bundesrat ist ein eigenes Verfassungsorgan und kein Vollzugsorgan der Bundesregierung.