Als Gegenaktion zu einem Infostand des NPD Kreisverbandes Havel-Nuthe hatten heute mehrere Menschen zu einem spontanen Politbrunch auf dem Neustädtischen Markt in Brandenburg an der Havel eingeladen.
Kuchen gegen Nazipropaganda
Bei herrlichen Sonnenschein kamen zeitweise bis zu 50 Menschen zusammen, um bei Kaffee und Kuchen locker und leicht gegen (Neo)nazismus in Brandenburg an der Havel zu protestieren, während die erschienen NPD Aktivisten_innen mühselig versuchten ihre aufhetzende Propaganda unter die Leute zu bringen.
Um die elf, aus den Landkreisen Havelland, Ostprignitz-Ruppin und Potsdam-Mittelmark angereisten, Mitleid erregenden braunen Parteikader, die ihren Stand am Rande des Innenstadtensembles aufgebaut hatten, dennoch die Möglichkeit zu geben ihre Flugblätter los zu werden, wurde schließlich eine besondere Tauschbörse initiiert.
Dabei wurde eine große Zahl Passant_innen animiert sich zunächst am NPD Infotisch (Neo)nazipropaganda geben zu lassen, diese dann am Kuchenstand zu entsorgen und dafür ein Stück Kuchen oder einen Kaffee zu erhalten.
NPD hetzte gegen Ausländer
Angemeldet wurde die NPD Aktion übrigens als so genannte „Mahnwache“ unter dem Motto „Beendigung der deutschen Krankenkassenleistungen für im Ausland lebende Familienangehörige hier lebender Ausländer“ (1.) und knüpft an ähnliche Empörungsversuche aus dem konservativen bürgerlichen Lager an. Bereits im April 2003 forderte so beispielsweise die umstrittene Vorsitzende des „Bundes der Vertriebenen“ (BdV), Erika Steinbach (CDU), gemäß der Zeitung „Die Welt“, die „Bevorzugung ausländischer Familieangehöriger in der kostenlosen Mitversicherung deutscher Krankenkassen abzuschaffen“. (2.)
Die Forderung nach der Abschaffung dieser vermeintlichen Vergünstigungen ist jedoch purer Populismus bzw. grober Unfug, da gemäß des diesbezüglichen „Abkommen zwischen der Republik Türkei und der Bundesrepublik Deutschland über soziale Sicherheit“ aus dem Jahr 1964 (3.) sowie ähnlicher bilateraler Vereinbarungen mit anderen Staaten beide Vertragspartner von den Regelungen profitieren.
Der Aufruf der NPD zielt also nur vordergründig gegen die vermeintlichen finanziellen Belastungen der Bundesbürger_innen durch „Ausländer“. Tatsächlich will die Partei mit falschen Behauptungen Rassismus schüren.
Erstaunlicher Weise hat dies auch die Stadt Brandenburg an der Havel erkannt: „(…)Wenn die NPD mit solchen Forderungen auf den Platz tritt, verbirgt sich dahinter weit mehr als nur die Veränderung der deutschen Krankenkassenleistung für im Ausland lebende Familienangehörige. In erster Linie ist es ihr Anliegen die Unzufriedenheit der Menschen über Politik und Wirtschaft, auf Migranten und die demokratische Gesellschaftsordnung zu verschieben. Dabei ist die NPD im Wesentlichen fremdenfeindlich und rassistisch. Die NPD betrachtet die Gesellschaft als Volkskörper der organisch-biologisch entwickelt ist. Sie verwendet Rassismus als eine politische Theorie, in der sie immer wieder mit fremdenfeindlichen und fremdenängstlichen Stimmungen in der Bevölkerung Gewalt und Ausgrenzung befördern will. Die Krankenkassenleistungen gelten für die NPD als volkspolitische Maßnahme des Staates und dürfen in ihrem Sinne nur an deutsche Familien ausgezahlt werden.(…)“ (4.)
Stadt ignoriert zunehmende (Neo)naziaktivitäten
Es ist allerdings sehr bedauerlich, dass den offiziellen Vertreter_innen der Stadt und ihrer „Koordinierungsgruppe bei relevanten extremistischen Aktivitäten“ Konzepte für effektive und plakative Gegenaktivitäten zu den seit 2007 zunehmenden Aktionen der NPD sowie ihrer Sympathisant_innen fehlen und lediglich dazu aufgerufen wird die unerwünschten Gäste „mit Nichtachtung zu strafen“. (5.)
Bereits am 26. März 2011 konnten sich so ungefähr 250 Holocaustleugner_innen unter Führung eines NPD Mitgliedes relativ ungestört vor der JVA im Ortsteil Görden versammeln und mit Unterstützung von Gesinnungsgenoss_innen aus der ganzen Welt eine Kundgebung für die Freiheit des dort inhaftierten (Neo)nazis Horst Mahlers abhalten.
Wo ist der „Wind“ der „Zivilgesellschaft“ welcher der „NPD“ in „Brandenburg“, laut dem Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz Brandenburg“, angeblich am „härtesten ins Gesicht“ weht? (6.)
Polizei verbot Meinungsäußerungen gegen (Neo)nazis
In Brandenburg an der Havel wehte der Wind bisher anscheinend nur in die andere Richtung.
Um möglicherweise die „Nichtachtung“ der (Neo)nazis zu zementieren wurden den Kuchenstandbetreiber_innen polizeilich nicht gestattet politische Statements an ihrem Stand zu veranschaulichen. Besonders „schlimm“ wurde von den eingesetzten Polizist_innen dabei ein Plakat mit der Aufschrift „Brauner Müll gehört in die Tonne!“ erachtet. Es musste nach mehreren Drohungen entfernt werden.
Die Anmeldung einer spontanen Kundgebung wurde ebenfalls nicht gestattet. Jegliche kurzfristig angemeldete Versammlungen seien aufzulösen und dabei eventuell verwendetes Material zur politischen Meinungsäußerung zu beschlagnahmen, so der Einsatzleiter vor Ort nach angeblicher Rücksprache mit seinen Vorgesetzten.
Kuchenstand trotzdem Erfolg
Trotz der polizeilichen Schikanen wurden die Gegenaktivitäten gegen den NPD Infostand dennoch von den Beteiligten als Erfolg gewertet. Schließlich frequentierte eine große Anzahl von Menschen den Kuchenstand und entsorgte dabei noch dezent die erhaschte Nazipropaganda.
weitere Fotos hier:
Quellen:
1.) Stadt Brandenburg: „Presseinformation der Koordinierungsgruppe“ http://www.stadt-brandenburg.de/aktuelles/presseservice/details-der-presseinformation/artikel/presseinformation-der-koordinierungsgruppe-npd-infostand-am-28052011/?no_cache=1&cHash=38766bdda2d090825624c70f03c14e3f
2.) Die Welt: „Krankenkassen müssen für Eltern von Ausländern in deren Heimat zahlen“, 13. April 2003, Rechtschreibung im Original, http://www.welt.de/print-wams/article128252/Krankenkassen_muessen_fuer_Eltern_von_Auslaendern_in_deren_Heimat_zahlen.html
3.) Deutsch-Türkisches Sozialversicherungsabkommen, http://www.deutsch-tuerkisches-recht.de/Rechtsverkehr/Internationale-%C3%9Cbereinkommen/Sozialversicherungsabkommen
4.) wie 1.)
5.) wie 1.)
6.) Märkische Allgemeine Zeitung: „Aufatmen in Brandenburg nach NPD-Misserfolg bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt“, 22. März 2011,
http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/12042766/62249/Aufatmen-in-Brandenburg-nach-NPD-Misserfolg-bei-der.html