Bundesgerichtshof überprüft am Donnerstag die Urteile vom Potzlow-Prozess / Anklage monierte zu geringes Strafmass
POTZLOW Ein malerisches Dorf in der Uckermark gerät Ende 2002 durch einen grausamen
Mord an einem Jugendlichen bundesweit in die Schlagzeilen. Drei junge Männer
haben in der Nacht vom 12. zum 13. Juli 2002 den 16-jährigen Marinus
Schöberl stundenlang gefoltert und schließlich durch einen “Bordsteinkick”
umgebracht. Danach verscharren sie ihr Opfer in einer ehemaligen
Jauchegrube. Erst nach Monaten, am 17. November kommt die Tat ans Licht,
entdeckt die Polizei nach einem Tipp von Jugendlichen die Leiche.
Die Täter werden nach 24 Prozesstagen Ende vergangenen Jahres vor dem
Neuruppiner Landgericht zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Zwischen 2
und 15 Jahren sollten die Männer hinter Gitter — eine zu milde Strafe für
ein derartiges Verbrechen, kritisierte die Neuruppiner Staatsanwaltschaft
und ging in Revision. Nun muss sich der Bundesgerichtshof mit dem Fall
befassen.
Die Staatsanwaltschaft hatte moniert, dass nicht alle drei Täter wegen
vollendeten Mordes verurteilt wurden. Am Donnerstag werden sich die Richter
des 5. Leipziger Strafsenats damit beschäftigen, ob die Urteile hoch genug
waren. Der Bundesgerichtshof kann die Richtersprüche bestätigen oder
kassieren und den Fall ans Neuruppiner Landgericht zurückverweisen.
Das Landgericht hatte den zur Tatzeit 17-jährigen Haupttäter Marcel Sch.
unter anderem wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von acht Jahren und sechs
Monaten verurteilt, die Staatsanwaltschaft hatte zehn Jahre gefordert. Sein
damals 23-jähriger Bruder Marco erhielt unter anderem wegen versuchten
Verdekkungsmordes eine Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren statt
lebenslänglich — wie von der Anklagebehörde gefordert.
Der zur Tatzeit 17-jährige Mitangeklagte Sebastian F. sollte wegen
gefährlicher Körperverletzung zwei Jahre Jugendstrafe absitzen. Er war
eigentlich wegen versuchten Mordes angeklagt und sollte nach dem Willen der
Staatsanwaltschaft für neun Jahre und acht Monate hinter Gitter.
Insbesondre das geringe Strafmass gegen Sebastian F. veranlaßte die
Neuruppiner Staatsanwaltschaft, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen.
Die Milde der Urteile stieß vor allem auch bei den Einwohnern in Potzlow auf
Unverständnis und heftige Kritik. Einige Bewohner äußerten Furcht vor
Racheakten, sollten die drei Gewalttäter bald wieder freikommen.
Nicht nur die Tat selbst hatte die Potzlower entsetzt, es war vor allem die
unvorstellbare Brutalität, mit der die drei Männer den 16-Jährigen nach
einem Trinkgelage quälten und schließlich umbrachten. Täter und Opfer hatten
sich am 12. Juli 2002, einem Freitag, getroffen. Marinus, ein Junge, der
gerne Hip-Hop-Hosen trug und sein Haar blond färbte, war zu Besuch in seinem
einstigen Heimatdorf Potzlow. Zwei Wochen zuvor war Marcels 23-jähriger
Bruder Marco aus dem Knast entlassen worden, in dem er wegen
Körperverletzung saß.
Marinus, Marcel, Marco und Sebastian waren an jenem Abend bei Bekannten zu
Besuch, als das Martyrium begann. Laut Staatsanwaltschaft sahen die
rechtsextrem eingestellten Täter ihr Opfer wegen Kleidung, Frisur und
gewisser Sprachstörungen als minderwertig an. Marinus wurde Alkohol
eingeflößt, es hagelte Schläge. Die Täter urinierten auf ihn, zwangen ihn,
sein Erbrochenes zu essen.
Stunden später brachten sie ihn zu einem still gelegten Schweinestall in
Potzlow. Dort wurde dem wehrlosen Opfer befohlen, in die Kante eines
Schweinetrogs zu beißen — für einen Bordsteinkick, wie er in dem
amerikanischen Spielfilm “American History X” vorgemacht wird.
Marcel sprang mit seinen Springerstiefeln auf den Kopf des 16-Jährigen. Es
sei ein Black-out gewesen, ließ er vor dem Landgericht als Motiv zu
Protokoll geben. Der Gerichtsmediziner sagte aus, dass er so schwere
Schädelverletzungen noch nicht gesehen habe. Marinus habe diese
unvorstellbare Grausamkeit — wenn überhaupt — dann höchstens nur kurz
überlebt. Dennoch schlägt Marcel noch mehrmals einen Stein auf den Kopf
seines Opfers, bevor die Täter die Leiche in der Jauchegrube verscharren.