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Bürgermeister will Templins Probleme alleine lösen

Ich kenne keine rechte Szene.” Mit diesem Satz hat Ulrich Schoene­ich, Bürg­er­meis­ter von Tem­plin, Unmut aus ganz Deutsch­land auf sich gezo­gen. Denn inner­halb weniger Wochen ereigneten sich in dem Ort zwei Gewalt­tat­en, von recht­sradikalen Tätern, wie es heißt. Doch der Bürg­er­meis­ter bestre­it­et dies und fühlt sich vom Ver­fas­sungss­chutz im Stich gelassen. Nun will er doch ein wenig tun gegen Recht­sex­trem­is­mus im Ort – aber ohne fremde Hilfe.
Empörte Zuschriften kom­men nicht nur aus Bran­den­burg. “Sog­ar Bay­ern äußern sich auf unser­er Home­page”, sagt Ulrich Schoene­ich. Leichte Ver­bit­terung klingt mit. Unver­ständ­nis über die unge­betene Ein­mis­chung. “Dabei sind das alles Fremde, die unser Tem­plin gar nicht ken­nen”, beklagt der Bürg­er­meis­ter der Stadt. Er ver­ste­ht nicht, weshalb er sich quer durch die Repub­lik den Zorn zuge­zo­gen hat.

In dem uck­er­märkischen Touris­tenort, in dem Kan­z­lerin Angela Merkel aufgewach­sen ist, haben am 22. Juli zwei mut­maßliche Recht­sradikale einen arbeit­slosen Tis­chler getötet. Sie trat­en und schlu­gen ihn so lange, bis sein Schädel brach. Drei Wochen später dann eine erneute Gewalt­tat: Ein 19-Jähriger schlägt einen 16-Jähri­gen bru­tal nieder. Er sei Recht­sex­trem­ist, sagt der Täter von sich. Für Tem­plins Stad­to­ber­haupt aber ist der Schläger “nur dumm”. Die bei­den anderen Täter sind für ihn “Durchgek­nallte”. Recht­sradikal sei kein­er von ihnen. Während der Ver­fas­sungss­chutz in dem 16.000 Ein­wohn­er zäh­len­den Städtchen längst so etwas wie eine Hochburg des Recht­sex­trem­is­mus aus­gemacht hat, behauptet der Bürg­er­meis­ter fast trotzig: “Ich kenne keine rechte Szene.” Er bleibt dabei. Immer­hin trage er in Tem­plin seit 18 Jahren die Verantwortung.

Lokalpa­tri­o­tismus, der blind macht? Schönre­den, was nur schw­er in den Griff zu bekom­men ist? In bran­den­bur­gis­chen Städten und Dör­fern hat man sich nach der Wende an vieles “gewöh­nt”: an Hak­enkreuze an den Häusern, “Sieg-Heil”-Rufe bei nächtlichen Feiern, exzes­siv trink­ende Jugendliche, dumpfe Parolen und aggres­sives Gehabe. Örtliche Ver­ant­wortliche entschuldigen recht­sex­treme Umtriebe als Aus­druck der Verzwei­flung – über ver­lore­nen Halt in den Fam­i­lien und fehlende Arbeit. Auch Ulrich Schoene­ich tut das. Noch immer liegt die Arbeit­slosigkeit in Tem­plin bei über 20 Prozent. Hin­ter hüb­sch­er Fas­sade wohnt vielfach die Armut, und es wächst die Wut.
Allerd­ings sieht das vor zehn Jahren von der Lan­desregierung gegrün­dete Aktions­bünd­nis Tol­er­antes Bran­den­burg mit­tler­weile eine weitaus größere Bere­itschaft als noch vor Jahren, genauer hinzuguck­en. Beim Mobilen Beratung­steam gegen Recht­sex­trem­is­mus lassen sich immer mehr Kom­mu­nalpoli­tik­er berat­en. Ulrich Schoene­ich zählte bis vorige Woche nicht zu ihnen.
Ange­blich, weil er nichts bemerkt haben will von dem Treiben in der Stadt. Dabei hat­te der Ver­fas­sungss­chutz erst Anfang Juli darauf hingewiesen, dass es in Tem­plin rund 80 Recht­sex­trem­is­ten gebe, darunter etwa 30 gewalt­bere­ite. Das ste­ht auf der Inter­net­seite der Behörde. Ulrich Schoene­ich sagt, er habe gar keine Zeit, so etwas zu lesen. “Als ich die Ver­wal­tung über­nahm, hat­te ich 400 Mitar­beit­er. Heute sind es nur noch 80.” Dabei habe sich durch Einge­mein­dun­gen die Fläche der Stadt aufs Dreifache ausgedehnt.
“Wir Tem­plin­er soll­ten das allein hinkriegen”
Schoene­ich ist felsen­fest der Mei­n­ung, der Ver­fas­sungss­chutz hätte die Stadt unbe­d­ingt informieren müssen. Er und die Stadtverord­neten wer­fen den Behör­den vor, die Tem­plin­er Kom­mu­nalpoli­tik in den let­zten Jahren “über das Treiben einiger weniger Recht­sradikaler und deren Straftat­en völ­lig im Unklaren gelassen zu haben. Man füh­le sich zu Unrecht als “ahnungs­los und inak­tiv” gebrand­markt. Auch darüber schüt­teln nun viele den Kopf. Kein ander­er müsste eigentlich einen Ort bess­er ken­nen als der Bürg­er­meis­ter. “Wer mit offe­nen Augen durch Tem­plin geht, dem kön­nen Leute der recht­en Szene nicht ver­bor­gen bleiben”, sagt die Vize-Geschäfts­führerin des Vere­ins Oper­per­spek­tive, Johan­na Kretschmann.

Was treibt den Mann? Per­sön­liche Sturheit, gepaart mit der Sorge um den guten Ruf der Stadt, ver­muten die meis­ten. Tem­plin, die Per­le der Uck­er­mark, sollte ihren Glanz nicht ver­lieren. Dazu komme das Unver­mö­gen, eine Fehlein­schätzung zu korrigieren.
Der 1951 in Anklam (Meck­len­burg-Vor­pom­mern) geborene Sohn eines Pfar­rers war immer ein Kämpfer, wollte sich nie anpassen. “Ich war nicht bei den Jun­gen Pio­nieren, machte keine Jugendwei­he, war in der DDR immer in der Oppo­si­tion.” Nach dem Maschi­nen­baus­tudi­um arbeit­ete Schoene­ich ab 1981 als tech­nis­ch­er Leit­er des evan­ge­lis­chen Pflege­heimes Wald­hof in Tem­plin. Der Vater von Angela Merkel, Horst Kas­ner, lehrte nebe­nan am Pas­toralkol­leg. Ange­blich hat er Schoene­ich im Herb­st 1989 für die SDP gewon­nen – die neu gegrün­dete Sozialdemokratis­che Partei im Osten. Vor drei Jahren ist Schoene­ich aus der SPD aus­ge­treten. “Ich sah mich nicht mehr genü­gend von den Genossen unter­stützt”, sagt er. Auch jet­zt hört der Parteilose am lieb­sten auf sich selb­st. “Die Zeit­en in der DDR haben mich geschult, aber auch die vie­len Jahre als Bürg­er­meis­ter.” Es sei ihm egal, sagt er, ob sich zu Tem­plin Poli­tik­er wie Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) oder Innen­min­is­ter Jörg Schön­bohm (CDU) äußern. “Wir brauchen keine Ein­mis­chung.” Vorige Woche hat ihn der Regierungssprech­er aus Pots­dam angerufen. Und soll ihn zur Mäßi­gung aufge­fordert haben. So was kommt bei Schoene­ich nicht gut an.

Immer­hin redet er jet­zt mit den Leuten vom Mobilen Beratung­steam gegen Recht­sex­trem­is­mus, das die Lage als besorgnis­er­re­gend ein­schätzt. Er set­zt auch auf eine Beratung mit Ver­fas­sungss­chutzchefin Win­friede Schreiber. Und er hat sich zu ein­er Kundge­bung gegen den Recht­sex­trem­is­mus am 23. August bewe­gen lassen. Dass dort aber auch die Lei­t­erin des Bünd­niss­es Tol­er­antes Bran­den­burg, Ange­li­ka Thiel-Vigh, sprechen will, miss­fällt Schoene­ich: “Wir Tem­plin­er soll­ten das allein hinkriegen.”

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