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Catch 22 in Eisenhüttenstadt


Vor dem Ver­wal­tungs­gericht Frankfurt/Oder wurde heute die Klage von Alice Kamau gegen die Abschiebe­haf­tanstalt Eisen­hüt­ten­stadt ver­han­delt. Die Keni­aner­in wurde während ihrer Haftzeit ins­ge­samt 37 Stun­den und 55 Minuten gefes­selt. Eine Urteilsverkündi­gung, die von der anwe­senden Presse, dem Land­tagsab­ge­ord­neten Ste­fan Sar­rach und weit­eren Gästen erwartet wurde, fand allerd­ings nicht stand. Nach Auskun­ft des Richters wird die Entschei­dung erst in zwei Wochen verkündet.

Gegen­stand des Ver­fahrens waren die am Besten doku­men­tierten Fes­selun­gen am 1. und 2. Okto­ber 2003. Am ersten Tag war die Kla­gende 5 Stun­den und 15 Minuten
an Hän­den, Füßen und Rumpf gefes­selt wor­den. (Soge­nan­nte Fünf-Punkt-Fixierung)
Am 2. Okto­ber wurde Frau Kamau noch ein­mal 9 Stun­den und 45 Minuten gefesselt. 

Im Laufe der Ver­hand­lung schilderten der Leit­er der Abschiebe­haftein­rich­tung, Regierungs­di­rek­tor Dr. Bock und seine Mitar­bei­t­erin Regierung­soberin­spek­torin Scholz die Durch­führung von soge­nan­nten Fix­ierun­gen in Eisen­hüt­ten­stadt. Die Gefan­genen wer­den bäuch­lings auf eine Matratze gelegt, anschließend wer­den die gespreizten Glied­maßen und der Rumpf mit Gurten fest­geschnallt. Auf die Nach­frage, ob er das Vorge­hen ver­hält­nis­mäßig finde, erwiderte Dr. Bock lap­i­dar: „Schön ist das nicht.“ Bock bezweifelte jedoch die Darstel­lung von Frau Kamau. In einem Brief hat­te sie geschrieben, dass die Fes­seln so fest seien, dass man nach ein­er gewis­sen Zeit seine Glied­maßen nicht mehr spüre. Die Riemen der Fes­selungsvor­rich­tung sein bre­it genug um die Durch­blu­tung nicht zu behin­dern – zudem seien die Beine auch nicht son­der­lich weit gespreizt, son­dern eben nur „so bre­it, wie die Matratze eben.“
Im Laufe der Ver­hand­lung wurde deut­lich, dass Frau Kamau über ihre Lage sehr verzweifelt war. Immer wieder erk­lärte sie, dass sie sich „etwas antun werde,“ sie trank Sham­poo und ver­suchte mehrfach sich zu ver­let­zen. Dr. Bock erk­lärte, dass die Fes­selun­gen vor allem dazu dien­ten, die Inhaftierte vor sich selb­st zu schützen. Die Frage, ob Frau Kamau suizidge­fährdet und damit laut Abschiebe­haftvol­lzugs­ge­setz nicht haft­fähig gewe­sen sei, verneinte er jedoch.
Teil­weise erin­nerte das Ver­fahren an den Roman Catch 22 von Robert Heller. In diesem ver­sucht der Pilot John Yos­sar­i­an von der Front nach Hause ver­set­zt zu wer­den. Nach Hause geschickt wer­den kann man nur, wenn man geis­teskrank ist. Wer sich aber selb­st als geis­teskrank meldet, will sich nur vor dem Kriegs­di­enst drück­en, was wiederum bedeutet, dass man ratio­nal han­delt und damit nicht geis­teskrank sein kann. 

Die Argu­men­ta­tion der Aus­län­der­be­hörde in Bezug auf Frau Kamau war ähn­lich – die Selb­stver­let­zun­gen seien nur ein Mit­tel gewe­sen um in Frei­heit zu kom­men. Durch die Fes­selun­gen habe man jedoch Suizid­ver­suche ver­hin­dern müssen. 

Juris­tisch ging es vor allem um die Frage, ob es eine Rechts­grund­lage, also ein Gesetz, das Bedi­en­steten in der Abschiebe­haftein­rich­tung das Fes­seln von Häftlin­gen erlaubt, gibt. Außer­dem musste gek­lärt wer­den, ob die Fes­selun­gen ver­hält­nis­mäßig waren oder es mildere Mit­tel gegeben hätte.
Falko Dresch­er, Mitar­beit­er des Anwalts­büros, welch­es Frau Kamau ver­tritt, machte Zweifel gel­tend, ob es über­haupt eine Recht­fer­ti­gung der Fes­selun­gen gäbe. Im Abschiebe­haftvol­lzugs­ge­setz sei nur von unmit­tel­barem Zwang die Rede und das bedeute, dass wenn über­haupt nur die vor­rüberge­hende Fes­selung von Hän­den oder Füßen erlaubt sei. Er wies darauf hin, dass selb­st im Strafvol­lzug nur eine Zwei-Punkt-Fix­ierung vorge­se­hen und im Strafvol­lzugs­ge­setz aus­drück­lich eine ärztliche Beauf­sich­ti­gung gefordert sei. Dies hätte erst recht für Abschiebe­häftlinge zu gel­ten, die nicht verurteilt wur­den, son­dern lediglich zur Sicherung ein­er Ver­wal­tungs­maß­nahme, der Ausweisung, inhaftiert sind. Eine Fünf-Punkt-Fix­ierung ohne ärztliche Auf­sicht und auf so lange Zeit würde eine men­sche­nun­würdi­ge Behand­lung darstellen und sei damit rechtswidrig. Auch Richter Bölicke hat­te in einem Ein­gangsstate­ment geäußert, dass in dem Ver­fahren die Men­schen­würde betrof­fen sei. Da die in Artikel 1 des Grundge­set­zes niedergelegte Men­schen­würde das einzige Grun­drecht ist, welch­es nicht eingeschränkt wer­den darf, kann man spekulieren, ob dies bere­its ein Hin­weis auf das kom­mende Urteil war. 

Zu hof­fen wäre es – damit Frau Kamau wenig­stens im Nach­hinein reha­bil­i­tiert wird und die Mitar­beit­er der Anstalt sich genauer über­legen, ob sie je wieder Häftlinge ein­er solchen Behand­lung aus­set­zen. (theg)

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