Am 15.02.2015 folgten mehrere hundert Menschen dem Aufruf des Bündnisses „Cottbus Nazifrei!“ und wollten sich den Geschichtsverdreher*innen der NPD in den Weg stellen. Rund 800 friedliche Blockierer*innen waren am Aktionstag auf den Cottbuser Straßen unterwegs. Die Neonazis mobilisierten zum Cottbuser Hauptbahnhof als Treffpunkt, obwohl ihr angemeldeter Kundgebungsort das rund 2,5 km entfernte Turnerdenkmal war. Cottbus Nazifrei! versuchte einen möglichen Neonaziaufmarsch durch die Cottbuser Südvorstadt zu verhindern.
Cottbus Nazifrei! machte bereits vor dem 15.Februar auf die öffentliche Mobilisierung durch die NPD zu einem nicht angemeldeten Versammlungsort aufmerksam.Trotz mehrfachen Hinweises darauf, haben die Versammlungsbehörden darin kein Problem gesehen. So hätte ein Neonazi-Aufmarsch durch die Südvorstadt stattfinden können.
Die Demonstration von Cottbus Nazifrei! führte am Spreewald-Bahnhof vorbei zur Güterzufuhrstraße und wurde dort zunächst ohne Angabe von Gründe durch die Polizei gestoppt. Er führte dann weiter über die Bahnhofsbrücke und die Thiemstraße. Auf der Thiemstraße kam es im weiteren Verlauf des Tages zu rabiaten Übergriffen auf Demonstrant*innen durch die Polizei auf dieser angemeldeten Demonstrationsroute.
Gegen 13.30 Uhr bewegte sich eine große Menschengruppe auf der Thiemstraße. Sowohl die Straße als auch der Bürgersteig wurden dabei genutzt. Die Gruppe wurde auf dem linken Bürgersteig ab der Kreuzung Bahnhofstraße/ Stadtring von einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) begleitet. Auf Höhe des Kinder- und Jugendnotdienstes eskalierte die Situation plötzlich. Die für diese Aufgabe völlig unterbesetzte Polizeieinheit zog sich über die Thiemstraße und versuchte diese abzusperren. Einige der Polizist*innen hatten bereits im Laufen ihr Pfefferspray gezogen. In Panik versuchten die Demonstrant*innen der zu erwartenden Gewalt zu entgehen. Die Polizist*innen rannten auf die Straße und folgten den Fliehenden. Demonstrant*innen wurden gezielt geschubst und zu Fall gebracht. Augenzeugen und Betroffene berichten von Schlagstock- und Pfeffersprayeinsätzen, sowie gezielten Faustschlägen.
Einem 13-jährigen, der verängstigt am Rand stehen geblieben war, griff ein Beamter mit seinem Quarzhandschuh direkt ins Gesicht und schubste ihn. Eine junge Frau, die auf den Bürgersteig rannte, wurde von einem voll gepanzerten Polizisten so rabiat zu Fall gebracht, dass sie kurze Zeit bewusstlos am Boden liegen blieb. Die junge Frau erlitt einen Trümmerbruch im Oberarm und musste noch am selben Abend notoperiert werden und lag eine Woche stationär im Krankenhaus. Darüber hinaus erlitt sie Schürf- und Platzwunden am Kopf und im Gesichtsbereich, sowie diverse Prellungen am Körper. Die Demosanitäter*innen kümmerten sich vor Ort um die Verletzte und riefen einen Krankenwagen.
Zeitgleich geleiteten die Polizeikräfte die Neonazis weiter südlich über die Thiemstraße, um diese zu ihrem eigentlichen Kundgebungsort am Turnerdenkmal zu bringen. Dass dies über eine angemeldete Demonstrationsroute passieren sollte und dass deswegen Demonstrationsteilnehmende ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten, bleibt für alle Betroffenen absolut unverständlich.
Kurze Zeit später, gegen 13.40 Uhr, wurde eine Gruppe von 20–30 Personen in der Leipziger Straße/ Ecke Thiemstraße von der Polizei umzingelt. Die Gruppe bremste und hob die Hände, um einer Eskalation der Situation vorzubeugen. Die Beamt*innen trieben die Menschenmenge zusammen, bedrängten und schubsten die Leute. Einzelne hakten sich beieinander ein, um zu verhindern, dass jemand zu Fall kommt. Die Polizist*innen begannen am Rand in die Menge hinein zu schlagen. Einem Demonstranten wurde dabei mehrfach direkt auf den Kopf geschlagen, ein anderer berichtete von Schlägen in die Magengrube. Während des Gerangels knickte ein Mensch am Bordstein um und erlitt einen Bänderriss. In derselben Situation kam es außerdem zu mehreren brutalen Festnahmen
(https://www.flickr.com/photos/presseservice_rathenow/16355453740/in/album-72157650775498986/).
Auf Höhe des Klinikums spielten sich zur selben Zeit ebenfalls sehr unschöne Szenen ab. Hier wurden erneut Menschen gezielt zu Fall gebracht und landeten zum Teil im Dornengestrüpp. Einer jungen Frau wurde in die Beine getreten. Sie ging zu Boden und wurde von dem Beamten aufgefordert wieder zurück zu gehen. Als die Betroffene nicht schnell genug aufstand, brachte der Polizist sie erneut zu Fall und drückte sie zu Boden. Die junge Frau wurde am Pullover von dem Polizisten hoch gehoben und in eine nahestehende Menschenmenge geschubst. Wegen starker Schmerzen im Fuß ließ sie sich von den Sanitäter*innen vor Ort untersuchen und suchte auf deren Rat hin die Notaufnahme im Klinikum auf. Dort wurde ihr eine schwere Mittelfußprellung und eine Bänderverletzung diagnostiziert. Sie konnte nur noch auf Unterarmstützen laufen.
Gegen 13.50 Uhr gingen die Übergriffe an der Grünfläche bei der Europakreuzung weiter. Hier raste ein Mannschaftswagen der Polizei über die Wiese durch eine lose Menschengruppe hindurch. Nur durch die Aufmerksamkeit einiger Menschen dieser Gruppe wurde niemand angefahren. An derselben Stelle kam es zu weiteren Übergriffen. Augenzeugen berichteten von Polizist*innen, die auf einen am Boden liegenden Menschen eintraten. Auch hier kam es zu einem Schlagstockeinsatz. Es wurde sogar beobachtet, dass das massive Stativ einer Polizeikamera als Schlagstock genutzt wurde. Eine Frau soll außerdem geschüttelt und gegen einen Laternenmasten gestoßen worden sein.
Die Polizeiwillkür wollte allerdings auch dann noch kein Ende nehmen. Gegen 14.15 Uhr hielt es die Polizei für nötig einen Lautsprecherwagen an der Ecke Gaglower Straße/ Hermann-Löns-Straße zu durchsuchen. Während das Fahrzeug durchsucht wurde, grüßte die Moderation eine vorbei laufende Menschengruppe mit den Worten „Schön, dass ihr da seid!“. Daraufhin warf die Polizei der Lautibesatzung vor, zu Straftaten aufgerufen zu haben. Die Personalien aller Insassen wurden aufgenommen und mit Platzverweisen gedroht. Außerdem wurden sie aufgefordert den Lautsprecherwagen abzubauen. Telefonisch wurde Kontakt zu Anwält*innen aufgebaut, die Polizei verweigerte allerdings die Kommunikation und konnte keine*n Verantwortliche*n benennen. Erst als sich unter anderem die Bundestagsabgeordnete Birgit Wöllert vor Ort einfand, entspannte sich die Situation. Die Platzverweise wurden zurück genommen und galten nur noch für eine Stunde. Der Lautsprecherwagen musste dennoch abgebaut werden und durfte keine Durchsagen mehr machen.
Zum Abschluss des Tages sollte eine Spontandemonstration von der Dresdener Straße über die wenig befahrene Gartenstraße angemeldet werden. Diese Demonstration wurde mit der Begründung untersagt, es gäbe nicht ausreichend Polizeikräfte um den Straßenverkehr umzuleiten.
Trotzdem fanden die Demonstrant*innen ihren Weg zum Infopunkt von Cottbus Nazifrei! in der Weinbergstraße. Doch auch hier wollte die Polizei keine Ruhe geben. Auf einem LKW spielten vor Ort mehrere Bands, doch offenbar hielt die Einsatzleitung eine massive Polizeipräsenz vor Ort für notwendig. Behelmte Polizist*innen zogen eine Schneise zwischen den LKW und die tanzenden Menschen. Die Veranstaltung wurde daraufhin angemeldet und somit legitimiert. Doch auch dies konnte die Einsatzkräfte offenbar nicht besänftigen. Es wurde mit der sofortigen Räumung der Veranstaltung gedroht. Wegen der Gewalterfahrungen im Tagesverlauf, sollten die Veranstaltungsteilnehmer*innen nicht weiter gefährdet werden, daher wurde die Versammlung örtlich verlegt in eine Nebenstraße. Dort wurde die Veranstaltung weitergeführt und eine weitere Band konnte auftreten. Hier wurden Teilnehmende von den anwesenden Polizeibeamt*innen mit Tiergeräuschen veralbert und mit Sprüchen wie „Na, habt ihr heute nichts geschafft?“ provoziert. Im Verlauf der Abschlussparty, die ein völlig problemloses Konzert hätte sein können, kam es zu zwei weiteren Festnahmen.
Die Festgenommenen wurden zur Gefangenensammelstelle am Bonnaskenplatz gebracht. Ihnen wurde angedroht, dass sie mit einem Feuerwehrschlauch abgespritzt werden würden. Nach dieser Einschüchterung mussten sich die beiden (von denen einer erst 16 Jahre alt ist) vor versammelter Polizeimannschaft ausziehen. Vor der Wache wurden die Gefangenen nach ihrer Freilassung von solidarischen Menschen in Empfang genommen. Die beiden wirkten sehr eingeschüchtert und verstört.
Montag Nacht gegen 22.30 Uhr leistete sich die Polizei bereits den nächsten Fauxpas. Sie wollten die schwer verletzte junge Frau im Krankenhaus befragen. Dass die von der Nachtschwester geweckte Geschädigte nicht mit den Kriminalbeamt*innen sprechen wollte, überrascht nicht. Wenn Täter ihre Opfer mitten in der Nacht im Krankenhaus besuchen, ist dies an Unsensibilität wirklich kaum zu übertreffen. Für die junge Frau hat nun vor allem der Heilungsprozess höchste Priorität. Alles Weitere wird nach ihrer Entlassung mir anwaltlicher Unterstützung in die Wege geleitet werden.
Insgesamt kann festgehalten werden, dass es zu mehreren gewalttätigen Übergriffen seitens der Polizei auf Teilnehmende einer angemeldeten Demonstration kam und die Lage seitens der Polizei an verschiedenen Stellen ohne Not eskaliert wurde. Immer noch treffen verschiedene Zeugenaussagen bei den Organisator*innen der Demonstration ein und die Betroffenen erhalten juristische Unterstützung.
Fotos vom Geschehen am 15.Februar:
https://www.flickr.com/photos/presseservice_rathenow/sets/72157650775498986/
https://www.flickr.com/photos/soerenkohlhuber/sets/72157650773225356/
https://www.flickr.com/photos/neysommerfeld/sets/72157650421702917/
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